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Bio ist Genuss
Eine Fra­ge des Bauchgefühls

Essen ernährt nicht nur unseren Körper. Was und wie wir essen, das verändert auch unsere Stimmung und unsere Emotionen. Aber was macht gutes Essen eigentlich aus? Was bedeutet Genuss? Was kann Bio dazu beitragen? Und wie lassen sich Genuss und Wohlbefinden verbinden? Bioboom wirft einen Blick über den Tellerrand.
Bioboom Ausgabe 105 Hintergrund — Bio ist Genuss — Eine Frage des Bauchgefühls
Bioboom Ausgabe 105 Hintergrund — Bio ist Genuss — Eine Frage des Bauchgefühls

Siehe auch:

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Ein gutes Essen ist auch Bal­sam für die See­le — das wer­den wohl nahe­zu alle Men­schen bestä­ti­gen. Auch Ernäh­rungs­be­ra­te­rin und Diplom-Öko­tro­pho­lo­gin Pame­la Wieck­mann: Sie ist seit über 25 Jah­ren in der Bio-Bran­che tätig und seit 2012 als Refe­ren­tin im Bio-Bereich aktiv. Sie bestä­tigt, dass essen mehr ist als nur ein rei­ner Ener­gie­lie­fe­rant: »Was wir essen ver­än­dert unser Kör­per­ge­fühl und hat selbst Ein­fluss auf unse­re Emo­tio­nen«, so Wieck­mann. »Wenn ich an einem stres­si­gen Arbeits­tag mit­tags schnell einen Fast-Food-Bur­ger esse, habe ich zwar geges­sen, ich bin satt. Aber ich füh­le mich weder aus­ge­wo­gen noch zufrieden.«

 

Essen, das beschreibt den Vor­gang der Nah­rungs­auf­nah­me. Ernäh­rung dage­gen ist umfas­sen­der: Der Begriff umfasst die Koh­len­hy­dra­te, Fet­te, Vit­ami­ne, Spu­ren­ele­men­te, aber auch das Ganz­heit­li­che. Das bedeu­tet: Eine gesun­de Ernäh­rung ist die Grund­la­ge für Vita­li­tät und Wohl­be­fin­den. Und: Wer sich gesund ernäh­ren will, muss voll­wer­tig und nahr­haft essen, abge­stimmt auf die indi­vi­du­el­len Bedürfnisse.

 

Wis­sen, was uns gut tut

 

Im Opti­mal­fall wis­se man intui­tiv, was gut tut, sagt Wieck­mann. »Als Ernäh­rungs­be­ra­te­rin schrei­be ich den Men­schen nur ungern vor, was sie essen sol­len.« Statt­des­sen sol­le jeder Mensch auf den eige­nen Kör­per hören und sich selbst fra­gen: Was nährt mich, was kann ich essen, damit ich mich aus­ge­wo­gen und balan­ciert füh­le? Und: Wie kann ich mich gut ernäh­ren, ohne den Genuss beim Essen zu verlieren?

 

Prä­gung, Trends und Überzeugung

 

Lei­der essen die meis­ten von uns viel zu ver­kopft, fin­det die Exper­tin. »Wir beschäf­ti­gen uns zu sehr über den Ver­stand mit der Fra­ge, was wir essen soll­ten und was nicht, anstatt aus einer kör­per­li­chen Intel­li­genz her­aus zu han­deln«, sagt sie. Dabei haben wir als Kin­der noch ein ganz natür­li­ches Nah­rungs­emp­fin­den, wis­sen, was wir essen möch­ten und wann wir satt sind. Im Lau­fe des Lebens ver­än­dert sich das. Wir wer­den geprägt von dem Ess­ver­hal­ten unse­rer Eltern, gren­zen uns dann wäh­rend der Puber­tät oft bewusst davon ab und wer­den im Erwach­se­nen­al­ter beein­flusst sowohl von gesell­schaft­li­chen Trends als auch eige­nen Über­zeu­gun­gen, ver­zich­ten zum Bei­spiel bewusst auf Fleisch, um Tie­re und Kli­ma zu schüt­zen. Dass Über­zeu­gun­gen das Ein­kaufs­ver­hal­ten beein­flus­sen, zeigt unter ande­rem das vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ernäh­rung und Land­wirt­schaft (BMEL) in Auf­trag gege­be­ne Öko­ba­ro­me­ter 2022: Von 859 Per­so­nen, die regel­mä­ßig Bio-Lebens­mit­tel kau­fen, gaben 90 Pro­zent an, wegen der art­ge­rech­ten Tier­hal­tung auf Bio-Lebens­mit­tel zurück­zu­grei­fen. 88 Pro­zent wol­len regio­na­le Betrie­be unter­stüt­zen und 87 Pro­zent kau­fen Bio, um sich gesund zu ernähren.

 

Genuss und Geschmack auf einem Nenner

 

Vor allem aber ist es der Geschmack, der eine ent­schei­den­de Rol­le spielt, wenn es dar­um geht, was Men­schen essen und wie sehr sie etwas genie­ßen. »Über Geschmack lässt sich nicht strei­ten«, sagt der Volks­mund — er ist nun­mal bekannt­lich von Mensch zu Mensch ver­schie­den, ent­wi­ckelt sich schon im Mut­ter­leib und ver­än­dert sich mit dem Älter­wer­den. Ob Bio-Lebens­mit­tel bes­ser schme­cken als kon­ven­tio­nel­le Lebens­mit­tel — die­se Fra­ge lässt sich nicht pau­schal beant­wor­ten. Wenn es dar­um geht, in Sachen Geschmack zu über­zeu­gen und gleich­zei­tig gesund zu blei­ben, dann ist Bio auf jeden Fall enga­giert dabei, wie zum Bei­spiel das Pro­jekt Reform­BIO zeigt: For­schen­de an der Hoch­schu­le Bre­mer­ha­ven such­ten von 2020 bis 2023 nach Mög­lich­kei­ten, wie sich der Zucker­ge­halt in ver­ar­bei­te­ten Bio-Lebens­mit­teln redu­zie­ren lässt, ohne dass Geschmack und Kon­sis­tenz lei­den. Mit Erfolg: Das Team konn­te ein Knus­per­müs­li ent­wi­ckeln, das genau­so knusp­rig ist wie die her­kömm­li­chen Alter­na­ti­ven, jedoch 30 Pro­zent weni­ger Zucker enthält.

 

 

 

Bioboom Ausgabe 105 Hintergrund — Bio ist Genuss

»Wir beschäf­ti­gen uns zu sehr über den Ver­stand mit der Fra­ge, was wir essen soll­ten und was nicht, anstatt aus einer kör­per­li­chen Intel­li­genz her­aus zu handeln.«

 

 

Wirk­sen­so­rik fühlt Effekte

 

Dass Genuss nicht nur eine Fra­ge des Geschmacks ist, erklärt Dr. Uwe Gei­er: »Es gibt einen Unter­schied zwi­schen dem Geschmack eines Lebens­mit­tels und des­sen Wir­kung auf unse­ren Kör­per und unse­re Emo­tio­nen«, so der stu­dier­te Agrar­wis­sen­schaft­ler. Er forscht seit knapp 20 Jah­ren im Bereich Lebens­mit­tel­qua­li­tät und begrün­de­te 2016 die Wirk­sen­so­rik-Metho­de. »Die Wirk­sen­so­rik macht einen Schritt hin­ter den Geschmack und fragt: wie füh­le ich mich kör­per­lich und emo­tio­nal nach dem Ver­zehr eines Lebens­mit­tels?«, erklärt er.

 

Wär­mend, bele­bend, aufhellend

 

Die­ser Effekt tre­te etwa eine Minu­te nach dem Ver­zehr ein, so Gei­er. Rund ein Dut­zend Lebens­mit­tel hat Gei­er schon auf ihre Wir­kung getes­tet, sowohl mit unge­schul­ten Ver­suchs­per­so­nen als auch mit geschul­ten Expert:innen Im Test ver­kos­ten die Proband:innen Lebens­mit­tel und bewer­ten anschlie­ßend deren Wir­kung, zunächst auf Basis eines Punk­te­sys­tems, aber auch mit­tels einer frei­en Beschrei­bung. Bei der Punk­te­ver­ga­be ste­hen zwölf pola­re Merk­ma­le wie wach/müde, nervös/entspannt, oder warm/ kalt zur Aus­wahl. Ein bekann­tes Bei­spiel aus dem All­tag ist Kaf­fee: Der macht bekannt­lich wach. Aller­dings steigt Kaf­fee, so die Ergeb­nis­se der Wirk­sen­so­rik-Tests auch stark in den Kopf, regt den Atem an und kann ein beeng­tes oder ner­vö­ses Gefühl aus­lö­sen. Grü­ner Tee macht eben­falls wach, aber viel sanf­ter als Kaf­fee. Er löse ein war­mes, woh­li­ges Gefühl aus, dass nicht nur auf den Kopf­be­reich fixiert sei, so die Tester:innen. Nicht immer sind die Ergeb­nis­se ein­deu­tig, berich­tet Gei­er. So wur­de Kuh­milch als wär­mend kate­go­ri­siert und Möh­ren eine wach­ma­chen­de und auf­hel­len­de Wir­kung attes­tiert. Aber: Die­se Eigen­schaf­ten wür­den zwar ähn­lich emp­fun­den, aber könn­ten durch­aus unter­schied­lich bewer­tet wer­den. »Für man­che ist die Wär­me der Milch viel­leicht unan­ge­nehm, ande­re bewer­ten die­se als woh­lig«, so der Wirksensorik-Trainer.

 

Bewusst­sein im All­tag einbauen

 

Für Uwe Gei­er ist es ein wich­ti­ger Bestand­teil von Genuss, wenn er nach dem Essen die eine posi­ti­ve Wir­kung spü­ren kann. Und um die­se Wahr­neh­mung zu ent­wi­ckeln, muss man nicht in Wirk­sen­so­rik aus­ge­bil­det sein: Ein­fach mehr Zeit beim Essen las­sen, einen Moment der Acht­sam­keit ein­bau­en, inne­hal­ten und wirk­lich nach­spü­ren, was nach dem Essen mit unse­rem Kör­per und unse­rer Stim­mung pas­siert. »Dann essen wir Lebens­mit­tel, die uns im ers­ten Moment zwar gut schme­cken, uns aber nicht gut füh­len las­sen, auto­ma­tisch nicht mehr im Über­fluss«, sagt Gei­er. Bes­tes Bei­spiel sei die gan­ze Packung Scho­ko­la­de oder das zwei­te Stück Sahnetorte.

 

Bio punk­tet

 

Auch die Wir­kung von Bio-Lebens­mit­teln im Ver­gleich zu kon­ven­tio­nel­len Lebens­mit­teln hat Dr. Uwe Gei­er in eini­gen Tests unter­sucht. Das Ergeb­nis: Nach dem Genuss von Bio-Lebens­mit­teln fühl­ten sich die Test­per­so­nen ten­den­zi­ell bes­ser. So pro­bier­ten zwölf Test­per­so­nen 2023 im Blind­test zwei Rog­gen­bröt­chen: Eines war mit Licht­korn­rog­gen aus bio­lo­gi­schem Anbau geba­cken wor­den, das ande­re mit kon­ven­tio­nel­lem Rog­gen. Nach dem Bröt­chen aus Licht­korn­rog­gen fühl­ten sich die Test­per­so­nen nach eige­ner Aus­kunft signi­fi­kant leich­ter, hel­ler, wacher, kon­zen­trier­ter, erfrisch­ter, moti­vier­ter, zufrie­de­ner und aus­ge­wo­ge­ner, als nach dem Ver­zehr des kon­ven­tio­nel­len Ver­gleichs­bröt­chens. »Die Sor­ten­viel­falt im Bio-Bereich sorgt für vita­le­re Lebens­mit­tel mit mehr Cha­rak­ter«, kom­men­tiert Pame­la Wieck­mann die Ergeb­nis­se. »Zudem sind vie­le Zusatz­stof­fe bei Bio-Lebens­mit­teln nicht erlaubt. Gera­de bei Back­wa­ren, bei denen in der kon­ven­tio­nel­len Her­stel­lung häu­fig tech­ni­sche Hilfs­stof­fe ein­ge­setzt wer­den, macht sich die­ser Unter­schied bemerkbar.«

 

 

 

 

Bioboom Ausgabe 105 Hintergrund — Bio ist Genuss

 

Die Indi­zi­en spre­chen eben­falls dafür, dass wir uns mit Bio bes­ser füh­len. Dabei spie­len ganz unter­schied­li­che Fak­to­ren eine Rol­le: Der Anbau und die Ver­ar­bei­tung gehö­ren eben­so dazu wie unse­re Ein­stel­lung zu Ernäh­rung und die sub­jek­ti­ve Wahrnehmung.

 

 

Gefühlt bes­ser

 

Nun lie­ße sich argu­men­tie­ren, dass die Wirk­sen­so­rik auf sub­jek­ti­ver Wahr­neh­mung beruht. Zu ähn­li­chen Ergeb­nis­sen kommt aber auch die Stu­die »Eat orga­nic — feel good« aus dem Jahr 2018. Für sie wur­den 600 Per­so­nen zum Kon­sum von Bio-Pro­duk­ten befragt. Es zeig­te sich, dass Glück und Genuss eng mit dem Ver­zehr von Bio-Lebens­mit­teln ver­bun­den sind: Auch hier berich­te­ten die, die Bio-Lebens­mit­tel kon­su­mier­ten, über mehr Wohl­be­fin­den. Aller­dings zeig­te sich eben­falls, dass das Bio-Label allein schon die Wahr­neh­mung der Konsument:innen beein­flus­sen kann und eine Art Pla­ce­bo-Effekt her­bei­füh­ren kann: Allein zu wis­sen, dass ein Lebens­mit­tel Bio ist, konn­te die Wahr­neh­mung beein­flus­sen. Beson­ders aus­ge­prägt zeig­te sich die­ser Effekt — nicht über­ra­schend — bei Men­schen, die gro­ßen Wert auf ihre Gesund­heit legten.

 

Bio-Kund:innen ernäh­ren sich bewusster

 

Kein Wun­der ist es, dass Men­schen, die vie­le Bio-Pro­duk­te ein­kau­fen, sich all­ge­mein gesün­der ernäh­ren. Das stell­te die zwei­te Natio­na­le Ver­zehrs­stu­die des Max-Rub­ner-Insti­tuts in Karls­ru­he aus dem Jahr 2008 fest. Für die Stu­die wur­den über 20.000 Bür­ge­rin­nen und Bür­ger zwi­schen 14 und 80 Jah­ren in allen Tei­len Deutsch­lands befragt. Laut den Stu­di­en­ergeb­nis­sen kom­men bei Bio-Käufer:innen mehr Obst und Gemü­se auf den Tel­ler, dafür weni­ger Süßig­kei­ten und Fleisch als bei Per­so­nen, die sich nicht für Bio-Lebens­mit­tel inter­es­sie­ren. Und: Bio-Käufer:innen kann­ten sich bes­ser in Sachen Ernäh­rung aus: Rund 39 Pro­zent der Per­so­nen, die regel­mä­ßig Bio kau­fen, gaben an, sich mit dem The­ma Ernäh­rung zu beschäf­ti­gen. Das kann auch Pame­la Wieck­mann nach­voll­zie­hen: »Wer Bio kauft, hat schon ein gewis­ses Bewusst­sein in das eige­ne Ess­ver­hal­ten gebracht«, so die Expertin.

 

Genuss und Gesund­heit auf einem Nenner

 

Was macht nun gutes Essen und Genuss aus? Der Geschmack? Die Wir­kung auf unse­ren Kör­per und Geist? Oder soll es haupt­säch­lich nahr­haft und gesund sein? »Opti­mal ist, wenn der Geschmack und die Wir­kung eines Lebens­mit­tels zusam­men­pas­sen«, fasst Dr. Uwe Gei­er zusam­men. Also wenn das, was uns schmeckt uns auch gut tut. Wel­che Lebens­mit­tel das sind, wie viel und was wir essen soll­ten, das kann dabei von Mensch zu Mensch unter­schied­lich sein. Was für uns alle gilt: lang­sa­mer und acht­sa­mer beim Essen sein. Dann kön­nen wir wie­der mehr genie­ßen, ein Gefühl für unse­ren Kör­per ent­wi­ckeln und mit der Zeit ver­ste­hen, was wir täg­lich an Essen brau­chen, um die Ener­gie für unser Leben zu haben. Die Indi­zi­en spre­chen eben­falls dafür, dass wir uns mit Bio bes­ser füh­len. Dabei spie­len ganz unter­schied­li­che Fak­to­ren eine Rol­le: Der Anbau und die Ver­ar­bei­tung gehö­ren eben­so dazu wie unse­re Ein­stel­lung zu Ernäh­rung und die sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mung. Wer zu Bio-Lebens­mit­teln greift, ist hier gleich dop­pelt auf der siche­ren Sei­te: »Bio-Lebens­mit­tel haben oft einen inten­si­ve­ren Geschmack und sind ten­den­zi­ell bekömm­li­cher und vita­ler«, so Pame­la Wieck­mann. Kurz gesagt: Bio schmeckt gut und tut gut — und ist damit ein per­fek­ter Beglei­ter für den gesun­den Genuss.

 

 

 


Lese­emp­feh­lung zum The­ma: Ist Bio gesün­der? → Kei­ne Glaubensfrage


 

 

→ The­re­sa Horbach

 

Die­ser Bei­trag erschien in Aus­ga­be 105 — Win­ter 2024

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