Ein gutes Essen ist auch Balsam für die Seele — das werden wohl nahezu alle Menschen bestätigen. Auch Ernährungsberaterin und Diplom-Ökotrophologin Pamela Wieckmann: Sie ist seit über 25 Jahren in der Bio-Branche tätig und seit 2012 als Referentin im Bio-Bereich aktiv. Sie bestätigt, dass essen mehr ist als nur ein reiner Energielieferant: »Was wir essen verändert unser Körpergefühl und hat selbst Einfluss auf unsere Emotionen«, so Wieckmann. »Wenn ich an einem stressigen Arbeitstag mittags schnell einen Fast-Food-Burger esse, habe ich zwar gegessen, ich bin satt. Aber ich fühle mich weder ausgewogen noch zufrieden.«
Essen, das beschreibt den Vorgang der Nahrungsaufnahme. Ernährung dagegen ist umfassender: Der Begriff umfasst die Kohlenhydrate, Fette, Vitamine, Spurenelemente, aber auch das Ganzheitliche. Das bedeutet: Eine gesunde Ernährung ist die Grundlage für Vitalität und Wohlbefinden. Und: Wer sich gesund ernähren will, muss vollwertig und nahrhaft essen, abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse.
Wissen, was uns gut tut
Im Optimalfall wisse man intuitiv, was gut tut, sagt Wieckmann. »Als Ernährungsberaterin schreibe ich den Menschen nur ungern vor, was sie essen sollen.« Stattdessen solle jeder Mensch auf den eigenen Körper hören und sich selbst fragen: Was nährt mich, was kann ich essen, damit ich mich ausgewogen und balanciert fühle? Und: Wie kann ich mich gut ernähren, ohne den Genuss beim Essen zu verlieren?
Prägung, Trends und Überzeugung
Leider essen die meisten von uns viel zu verkopft, findet die Expertin. »Wir beschäftigen uns zu sehr über den Verstand mit der Frage, was wir essen sollten und was nicht, anstatt aus einer körperlichen Intelligenz heraus zu handeln«, sagt sie. Dabei haben wir als Kinder noch ein ganz natürliches Nahrungsempfinden, wissen, was wir essen möchten und wann wir satt sind. Im Laufe des Lebens verändert sich das. Wir werden geprägt von dem Essverhalten unserer Eltern, grenzen uns dann während der Pubertät oft bewusst davon ab und werden im Erwachsenenalter beeinflusst sowohl von gesellschaftlichen Trends als auch eigenen Überzeugungen, verzichten zum Beispiel bewusst auf Fleisch, um Tiere und Klima zu schützen. Dass Überzeugungen das Einkaufsverhalten beeinflussen, zeigt unter anderem das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Auftrag gegebene Ökobarometer 2022: Von 859 Personen, die regelmäßig Bio-Lebensmittel kaufen, gaben 90 Prozent an, wegen der artgerechten Tierhaltung auf Bio-Lebensmittel zurückzugreifen. 88 Prozent wollen regionale Betriebe unterstützen und 87 Prozent kaufen Bio, um sich gesund zu ernähren.
Genuss und Geschmack auf einem Nenner
Vor allem aber ist es der Geschmack, der eine entscheidende Rolle spielt, wenn es darum geht, was Menschen essen und wie sehr sie etwas genießen. »Über Geschmack lässt sich nicht streiten«, sagt der Volksmund — er ist nunmal bekanntlich von Mensch zu Mensch verschieden, entwickelt sich schon im Mutterleib und verändert sich mit dem Älterwerden. Ob Bio-Lebensmittel besser schmecken als konventionelle Lebensmittel — diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Wenn es darum geht, in Sachen Geschmack zu überzeugen und gleichzeitig gesund zu bleiben, dann ist Bio auf jeden Fall engagiert dabei, wie zum Beispiel das Projekt ReformBIO zeigt: Forschende an der Hochschule Bremerhaven suchten von 2020 bis 2023 nach Möglichkeiten, wie sich der Zuckergehalt in verarbeiteten Bio-Lebensmitteln reduzieren lässt, ohne dass Geschmack und Konsistenz leiden. Mit Erfolg: Das Team konnte ein Knuspermüsli entwickeln, das genauso knusprig ist wie die herkömmlichen Alternativen, jedoch 30 Prozent weniger Zucker enthält.
»Wir beschäftigen uns zu sehr über den Verstand mit der Frage, was wir essen sollten und was nicht, anstatt aus einer körperlichen Intelligenz heraus zu handeln.«
Wirksensorik fühlt Effekte
Dass Genuss nicht nur eine Frage des Geschmacks ist, erklärt Dr. Uwe Geier: »Es gibt einen Unterschied zwischen dem Geschmack eines Lebensmittels und dessen Wirkung auf unseren Körper und unsere Emotionen«, so der studierte Agrarwissenschaftler. Er forscht seit knapp 20 Jahren im Bereich Lebensmittelqualität und begründete 2016 die Wirksensorik-Methode. »Die Wirksensorik macht einen Schritt hinter den Geschmack und fragt: wie fühle ich mich körperlich und emotional nach dem Verzehr eines Lebensmittels?«, erklärt er.
Wärmend, belebend, aufhellend
Dieser Effekt trete etwa eine Minute nach dem Verzehr ein, so Geier. Rund ein Dutzend Lebensmittel hat Geier schon auf ihre Wirkung getestet, sowohl mit ungeschulten Versuchspersonen als auch mit geschulten Expert:innen Im Test verkosten die Proband:innen Lebensmittel und bewerten anschließend deren Wirkung, zunächst auf Basis eines Punktesystems, aber auch mittels einer freien Beschreibung. Bei der Punktevergabe stehen zwölf polare Merkmale wie wach/müde, nervös/entspannt, oder warm/ kalt zur Auswahl. Ein bekanntes Beispiel aus dem Alltag ist Kaffee: Der macht bekanntlich wach. Allerdings steigt Kaffee, so die Ergebnisse der Wirksensorik-Tests auch stark in den Kopf, regt den Atem an und kann ein beengtes oder nervöses Gefühl auslösen. Grüner Tee macht ebenfalls wach, aber viel sanfter als Kaffee. Er löse ein warmes, wohliges Gefühl aus, dass nicht nur auf den Kopfbereich fixiert sei, so die Tester:innen. Nicht immer sind die Ergebnisse eindeutig, berichtet Geier. So wurde Kuhmilch als wärmend kategorisiert und Möhren eine wachmachende und aufhellende Wirkung attestiert. Aber: Diese Eigenschaften würden zwar ähnlich empfunden, aber könnten durchaus unterschiedlich bewertet werden. »Für manche ist die Wärme der Milch vielleicht unangenehm, andere bewerten diese als wohlig«, so der Wirksensorik-Trainer.
Bewusstsein im Alltag einbauen
Für Uwe Geier ist es ein wichtiger Bestandteil von Genuss, wenn er nach dem Essen die eine positive Wirkung spüren kann. Und um diese Wahrnehmung zu entwickeln, muss man nicht in Wirksensorik ausgebildet sein: Einfach mehr Zeit beim Essen lassen, einen Moment der Achtsamkeit einbauen, innehalten und wirklich nachspüren, was nach dem Essen mit unserem Körper und unserer Stimmung passiert. »Dann essen wir Lebensmittel, die uns im ersten Moment zwar gut schmecken, uns aber nicht gut fühlen lassen, automatisch nicht mehr im Überfluss«, sagt Geier. Bestes Beispiel sei die ganze Packung Schokolade oder das zweite Stück Sahnetorte.
Bio punktet
Auch die Wirkung von Bio-Lebensmitteln im Vergleich zu konventionellen Lebensmitteln hat Dr. Uwe Geier in einigen Tests untersucht. Das Ergebnis: Nach dem Genuss von Bio-Lebensmitteln fühlten sich die Testpersonen tendenziell besser. So probierten zwölf Testpersonen 2023 im Blindtest zwei Roggenbrötchen: Eines war mit Lichtkornroggen aus biologischem Anbau gebacken worden, das andere mit konventionellem Roggen. Nach dem Brötchen aus Lichtkornroggen fühlten sich die Testpersonen nach eigener Auskunft signifikant leichter, heller, wacher, konzentrierter, erfrischter, motivierter, zufriedener und ausgewogener, als nach dem Verzehr des konventionellen Vergleichsbrötchens. »Die Sortenvielfalt im Bio-Bereich sorgt für vitalere Lebensmittel mit mehr Charakter«, kommentiert Pamela Wieckmann die Ergebnisse. »Zudem sind viele Zusatzstoffe bei Bio-Lebensmitteln nicht erlaubt. Gerade bei Backwaren, bei denen in der konventionellen Herstellung häufig technische Hilfsstoffe eingesetzt werden, macht sich dieser Unterschied bemerkbar.«
Die Indizien sprechen ebenfalls dafür, dass wir uns mit Bio besser fühlen. Dabei spielen ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle: Der Anbau und die Verarbeitung gehören ebenso dazu wie unsere Einstellung zu Ernährung und die subjektive Wahrnehmung.
Gefühlt besser
Nun ließe sich argumentieren, dass die Wirksensorik auf subjektiver Wahrnehmung beruht. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt aber auch die Studie »Eat organic — feel good« aus dem Jahr 2018. Für sie wurden 600 Personen zum Konsum von Bio-Produkten befragt. Es zeigte sich, dass Glück und Genuss eng mit dem Verzehr von Bio-Lebensmitteln verbunden sind: Auch hier berichteten die, die Bio-Lebensmittel konsumierten, über mehr Wohlbefinden. Allerdings zeigte sich ebenfalls, dass das Bio-Label allein schon die Wahrnehmung der Konsument:innen beeinflussen kann und eine Art Placebo-Effekt herbeiführen kann: Allein zu wissen, dass ein Lebensmittel Bio ist, konnte die Wahrnehmung beeinflussen. Besonders ausgeprägt zeigte sich dieser Effekt — nicht überraschend — bei Menschen, die großen Wert auf ihre Gesundheit legten.
Bio-Kund:innen ernähren sich bewusster
Kein Wunder ist es, dass Menschen, die viele Bio-Produkte einkaufen, sich allgemein gesünder ernähren. Das stellte die zweite Nationale Verzehrsstudie des Max-Rubner-Instituts in Karlsruhe aus dem Jahr 2008 fest. Für die Studie wurden über 20.000 Bürgerinnen und Bürger zwischen 14 und 80 Jahren in allen Teilen Deutschlands befragt. Laut den Studienergebnissen kommen bei Bio-Käufer:innen mehr Obst und Gemüse auf den Teller, dafür weniger Süßigkeiten und Fleisch als bei Personen, die sich nicht für Bio-Lebensmittel interessieren. Und: Bio-Käufer:innen kannten sich besser in Sachen Ernährung aus: Rund 39 Prozent der Personen, die regelmäßig Bio kaufen, gaben an, sich mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen. Das kann auch Pamela Wieckmann nachvollziehen: »Wer Bio kauft, hat schon ein gewisses Bewusstsein in das eigene Essverhalten gebracht«, so die Expertin.
Genuss und Gesundheit auf einem Nenner
Was macht nun gutes Essen und Genuss aus? Der Geschmack? Die Wirkung auf unseren Körper und Geist? Oder soll es hauptsächlich nahrhaft und gesund sein? »Optimal ist, wenn der Geschmack und die Wirkung eines Lebensmittels zusammenpassen«, fasst Dr. Uwe Geier zusammen. Also wenn das, was uns schmeckt uns auch gut tut. Welche Lebensmittel das sind, wie viel und was wir essen sollten, das kann dabei von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein. Was für uns alle gilt: langsamer und achtsamer beim Essen sein. Dann können wir wieder mehr genießen, ein Gefühl für unseren Körper entwickeln und mit der Zeit verstehen, was wir täglich an Essen brauchen, um die Energie für unser Leben zu haben. Die Indizien sprechen ebenfalls dafür, dass wir uns mit Bio besser fühlen. Dabei spielen ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle: Der Anbau und die Verarbeitung gehören ebenso dazu wie unsere Einstellung zu Ernährung und die subjektive Wahrnehmung. Wer zu Bio-Lebensmitteln greift, ist hier gleich doppelt auf der sicheren Seite: »Bio-Lebensmittel haben oft einen intensiveren Geschmack und sind tendenziell bekömmlicher und vitaler«, so Pamela Wieckmann. Kurz gesagt: Bio schmeckt gut und tut gut — und ist damit ein perfekter Begleiter für den gesunden Genuss.
→ Theresa Horbach