Er dürfte so um die 600 Tonnen wiegen und fast 2000 Jahre alt sein. Vieles über sein Leben und das seiner Artgenossen sowie ihre Bedeutung für das Öko-System ist noch gar nicht erforscht. Noch bis in die 1970er Jahre war man der Meinung, Pilze seien Pflanzen. Heute wird ihnen zuerkannt, ein ganz eigenes Reich zu sein: Nicht Pflanze und auch nicht Tier – eben Pilz. Das, was wir Menschen verspeisen, wenn wir Pilze essen, ist (siehe oben) nur die Spitze des Eisbergs: Nämlich der Fruchtkörper, den das Myzel ausbildet.
Vom Wild- zum Zuchtpilz
Seit es Menschen gibt, haben sie Pilze und Erfahrungen mit ihnen gesammelt: Denn bei weitem nicht alles, was auf Wald und Wiesen wächst, ist essbar – oder auch nur genießbar. Wer Pilze wild sammelt, sollte sich auskennen, zumal einige essbare Varietäten leicht mit Giftpilzen zu verwechseln sind. Pilze nehmen im Ökosystem Wald sehr vielfältige ökologische Rollen wahr. Entsprechend nachhaltig und verantwortungsbewusst sollten sie diesem Öko-System entnommen werden.
Leider gibt es aber auch noch einen anderen Grund, Wildpilze sparsam zu genießen: Fast 34 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind laut Bundesamt für Strahlenschutz bestimmte Wildpilze noch immer stark mit radioaktivem Cäsium belastet, vor allem in Südbayern und dem Bayerischen Wald. Viele Menschen lassen angesichts dieser Gemengelage einfach die Finger von Wildpilzen, denn schließlich lassen sich Pilze auch vom Menschen kultivieren. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts wurden am Hofe Ludwigs XIV. Feld- und Wiesenchampignons in dunklen Gewölben und Kellern angebaut. Die kommerzielle Pilzzucht, wie sie uns heute versorgt, entstand erst Anfang des 20. Jahrhunderts.
Der Pilz ist, was er isst
Und sie ist ein außerordentlich anspruchsvolles Lebensmittelhandwerk, das heute mit jeder Menge technischer Unterstützung stattfindet. Die aromatischen Schätzchen gedeihen nämlich nur unter ganz bestimmten Bedingungen gut. Und: Sie lassen sich saisonunabhängig rund ums Jahr genießen. Auch in Bio-Qualität gehören frische Pilze ganzjährig zum Angebot. Aber was machen Bio-Züchter eigentlich anders? »Der konventionelle und ökologische Pilzbau unterscheiden sich grundsätzlich nur durch die Herkunft der Substratbestandteile und die Zertifizierung«, sagt Ulrich Groos, Pilzbauberater und Geschäftsführer der Hessischen Landesfachgruppe Pilzbau (HLP, www.pilzbau.de). Pflanzenschutzmittel seien nämlich im konventionellen Pilzbau auch nicht zugelassen.
Allerdings: Der Pilz ist, was er isst. Auf das Substrat, den Nährboden kommt es also an. In freier Natur wachsen Pilze auf dem Waldboden, beziehungsweise auf Holz, also Baumstämmen und ‑stümpfen, oder auf Wiesen und Weiden. Entsprechend bilden Holz und Stroh in der Pilzzucht die Basis des Substrats. Bio-Betriebe verwenden Stroh, das von ökologisch wirtschaftenden Getreidebetrieben stammt – beim Anbau wurden keine chemisch synthetischen Pestizide oder Wuchshemmstoffe eingesetzt, wie sie im konventionellen Anbau üblich sind. Auch Hühnermist aus konventioneller Massentierhaltung ist im Bio-Substrat tabu. Bio-Betriebe wie Pilzgarten oder der Bio-Pilzhof stellen ihr Substrat selbst her und fügen weitere Nährstofflieferanten wie Ölpresskuchen, Kleie oder Kalk hinzu – das sorgt für Transparenz und beste Qualität.
»Jeder Pilz bekommt bei uns sein spezielles Substrat«, sagt Heike Jonas, Marketingleiterin beim Demeter-zertifizierten Hersteller Pilzgarten. »Und für jedes Substrat haben wir ein eigenes Rezept entwickelt.« Ebenfalls verboten sind in der Pilzzucht Schädlingsbekämpfungs- oder aggressive Reinigungsmittel. »Die braucht man auch nicht, wenn man vernünftig arbeitet«, stellt die erfahrene Pilz-Frau resolut fest.
Klimatechnik und Handarbeit
Das vorbereitete Substrat wird mit Wasserdampf desinfiziert und mit der Pilzbrut der jeweiligen Sorte geimpft. Dann geht es in, mit detaillierter Klimatechnik gesteuerte Produktionsräume, die der empfindlichen Kultur genau die Temperatur und Luftfeuchtigkeit bieten, die sie in ihrer jeweiligen Lebensphase brauchen. Trotz aller Technik: Geerntet wird per Hand, häufig direkt in die Verkaufsverpackung. Das hat den Vorteil, dass die druckempfindliche Ware möglichst wenig berührt wird. Und dann geht es ab in die Gemüseabteilung.
Energie und Entsorgung:
Nachhaltig gedacht
Immer wieder ist die Rede von Temperatursteuerung, klimatisierten Hallen, Produktionstechnik – wie schneiden Bio-Pilze da eigentlich ab, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt des klimaschonenden Essens betrachtet? »Der Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten der Pilzerzeugung liegt bei Betrieben, die gut wirtschaften, bei fünf Prozent«, weiß Ulrich Groos. Gerade Bio-Unternehmen investierten in nachhaltige Energien. Das abgeerntete Substrat kehrt in den Bio-Kreislauf zurück und dient dort als Kompost zur Bodenverbesserung.
Pilz-Hitliste:
Bio auf dem Vormarsch
Unangefochten angeführt wird die Hitliste der produzierten Speisepilze erwartungsgemäß vom Champignon. 75.000 Tonnen wurden 2019 in deutschen Betrieben erzeugt, so eine Statistik vom Bund Deutscher Champignon- und Kulturpilzanbauer (BDC) und der Hessischen Landesfachgruppe Pilzbau. Der Anteil an ökologisch erzeugten Champignons liege bei circa zehn Prozent, Tendenz steigend. Die »Edelpilze«, also Austern- und Kräuterseitlinge, Shiitake, Samthauben und Co. werden überwiegend in Bio-Betrieben produziert, so HLP-Geschäftsführer Ulrich Groos – allerdings liegt ihr Anteil am Pilz-Sortiment mit 3.900 Tonnen insgesamt doch recht niedrig, verglichen mit dem großen Bruder Champignon. »Während sich Kräuterseitlinge und Shiitake mittlerweile gut etabliert haben, tun sich etwas außergewöhnliche Sorten wie der Limonenseitling oder die Samthaube immer noch schwer«, bedauert Heike Jonas – obwohl die Edelpilze bei Verkostungen stets begeistern.
Pilze mit Nährwert
Pilze liefern Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe, enthalten aber wenig Fett oder Kohlenhydrate und sind daher kalorienarm. Dass Bio-Pilze immer gefragter werden, liegt natürlich auch daran, dass sie sich in vegetarisch/veganen Gerichten bestens machen.
Pilze praktisch
Pilze waschen? Bitte nicht. Wir wissen ja jetzt, dass es in der Pilzzucht höchst hygienisch zugeht. Also, falls nötig ein bisschen abbürsten oder ‑wischen. Und niemals ins Wasser legen, denn nicht umsonst werden Pilze in Bayern und Österreich auch »Schwammerl« genannt: Sie saugen sich voll und verlieren an Geschmack. Pilze sind empfindliche Lebensmittel, sie sollten möglichst frisch verspeist und kühl gelagert werden – das gilt auch für zubereitete Pilzmahlzeiten. Sie gehören in den Kühlschrank – entgegen einer verbreiteten Meinung dürfen sie aber am nächsten Tag durchaus noch einmal aufgewärmt werden.
Selber züchten
Wer jetzt Lust bekommen hat, sich selber mal als Pilzzüchter zu versuchen: Bio-Pilzzuchtkits machen es möglich. So kann man das unbekannte Reich zwischen Tieren und Pflanzen ganz nah erleben – und natürlich leckere Pilzmahlzeiten ganz frisch ernten.
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 86 — Frühling 2020