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Inter­view
Wie Bio und Bud­get zusam­men­ge­hen können

Annette Sabersky ist Ernährungswissenschaftlerin, Autorin und Fachjournalistin. Ihre Themen sind gesundes Essen, Lebensmittelqualität und Bio. Gerade ist ihr neues Buch »Günstig gut einkaufen« erschienen. Im Bioboom-Interview verrät sie ihre besten Tipps, was sie beim Thema Essen ärgert — und wie sie es selber mit dem Einkaufen hält.
Bioboom Ausgabe 103 — Interview — Annette Sabersky — Wie Bio und Budget zusammengehen können
Bioboom Ausgabe 103 — Interview — Annette Sabersky — Wie Bio und Budget zusammengehen können

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»Es geht nicht dar­um, alles per­fekt zu machen.«

 

Dein neu­es Buch »Güns­tig gut ein­kau­fen« hat den Unter­ti­tel »Preis­wert, gesund und nach­hal­tig essen«. Ich könn­te mir vor­stel­len, dass es Men­schen gibt, die da gleich sagen: Ach, das geht doch gar nicht zusammen.

 

Ja, das ken­ne ich, sol­che Gesprä­che füh­re ich immer wie­der. Wenn man zusam­men­sitzt und es kommt auf das The­ma Bio, dann ist der ers­te Satz direkt: Das ist doch so teu­er, also, ich kann mir das nicht leis­ten. Dabei muss eine gesun­de Ernäh­rung — inklu­si­ve Bio-Pro­duk­te — nicht zwangs­läu­fig teu­rer sein. Manch­mal habe ich in sol­chen Gesprä­chen sogar das Gefühl, dass ich mich jetzt dafür recht­fer­ti­gen soll, dass ich dafür soviel Geld aus­ge­be … muss ich aber gar nicht. Es gibt ein paar ganz ein­fa­che Stell­schrau­ben: Mehr Pflanz­li­ches in jeg­li­cher Form und weni­ger Fleisch, mehr sel­ber machen, weni­ger Fer­tig­ge­rich­te und auf hoch­ver­ar­bei­te­te Lebens­mit­tel ver­zich­ten, mehr Tee und Was­ser, weni­ger Limo …

 

Hmm, ich stel­le aller­dings fest, dass Men­schen auf die­se Art von Tipp doch sehr gereizt reagie­ren, das Gefühl haben, man will ihnen etwas weg­neh­men, sie beleh­ren. Ich erin­ne­re nur an den Sturm der Ent­rüs­tung, der los­brach, als dis­ku­tiert wur­de, ob es in Kan­ti­nen even­tu­ell einen — ein­zi­gen! — fleisch­frei­en Tag in der Woche geben könn­te. Wie erlebst Du das?

 

Es geht ja nicht dar­um, mit dem erho­be­nen Zei­ge­fin­ger zu fuch­teln. Mir ist in sol­chen Gesprä­chen wich­tig, dass es mir nicht um Ver­zicht geht, son­dern ums anders machen. Wenn ich weni­ger von einer Sache habe, zum Bei­spiel weni­ger Fleisch esse, dann heißt dass, das ich neue, pflanz­li­che Lebens­mit­tel ent­de­cken kann und damit neu­en Genuss ken­nen­ler­ne. Regio­nal und sai­so­nal kau­fen — das klingt ein­schrän­kend. Aber prak­tisch heißt das doch: Wenn ich auf Erd­bee­ren im März »ver­zich­te« und sie dann kau­fe, wenn sie rich­tig schön reif vom Feld in mei­ner Nähe kom­men, dann gewin­ne ich unge­mein an Geschmack — und spa­re neben­bei noch Geld.

 

Bioboom Ausgabe 103 — Interview — Annette Sabersky — »Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen.«

Annet­te Sabersky

 

Jetzt mal ganz kon­kret: Wenn ich jetzt den­ke, so, wie ich esse und koche, da ist in Sachen Nach­hal­tig­keit viel­leicht noch Luft nach oben, womit fan­ge ich an?

 

Gegen­fra­ge: Womit fan­ge ich an, wenn ich mehr Bio essen will, oder womit fan­ge ich an, wenn ich gene­rell in der Küche nach­hal­ti­ger wirt­schaf­ten will?

 

Na, bei­des natür­lich! Wobei unse­re Leser:innen in der Regel kei­ne Bio-Anfänger:innen sind, aber viel­leicht zum Wei­ter­sa­gen, weil sie bestimmt auch in die­se Art von Gesprä­chen ver­wi­ckelt werden …

 

Am ein­fachs­ten ist es, bei ein paar Basics kon­ven­tio­nel­le Pro­duk­te durch Bio zu erset­zen. Man kann zum Bei­spiel sagen, Kar­tof­feln, Äpfel und Möh­ren kau­fe ich zukünf­tig nur noch Bio. Das Gute dar­an: Das macht den Ein­kauf noch nicht mal unbe­dingt teu­rer, die gibt es immer zu kon­kur­renz­fä­hi­gen Prei­sen. Dann kann man viel­leicht noch Müs­li hin­zu­neh­men, mal aus­pro­bie­ren, wie Bio-Hafer­drink schmeckt — oft ent­wi­ckelt das dann eine Eigen­dy­na­mik und man ent­deckt immer mehr.

 

Was die zwei­te Fra­ge angeht, ist mein Tipp Num­mer eins: Eine gute Pla­nung sorgt eigent­lich auto­ma­tisch dafür, dass nach­hal­ti­ger gekocht und geges­sen wird. Das heißt, ich über­le­ge ein­mal in der Woche, was ich wann essen möch­te. Dabei kann man auch gleich gucken, gibt es Tage an denen ich Besuch habe, sel­ber zum Essen ein­ge­la­den bin oder unter­wegs bin. Dann mache ich eine ent­spre­chen­de Ein­kaufs­lis­te. Es ist sinn­voll, einen Vor­rat an bestimm­ten Din­gen zu haben, die man Immer wie­der braucht, zum Bei­spiel Nudeln, Reis oder pas­sier­te Toma­ten. Wenn man weiß, was man essen möch­te und die Sachen im Haus hat, kommt man nicht so ein­fach in Ver­su­chung, auf die Schnel­le über­teu­ert im nächst­bes­ten Super­markt ein­zu­kau­fen oder spon­tan beim Bring­dienst zu bestel­len. Das spart Geld. Und man spart Zeit, weil man sel­te­ner ein­kau­fen gehen muss.

 

Apro­pos Zeit: Ein­kau­fen und Kochen gehö­ren zur soge­nann­ten Care-Arbeit und die ist immer noch über­wie­gend Frau­en­sa­che. Wenn eine Fami­lie dei­ne Tipps umset­zen will, dann heißt das ja auch, zukünf­tig mehr sel­ber zu machen. Was kann man tun, damit das nicht an einer Per­son hän­gen bleibt?

 

Gemein­sam pla­nen! Was geges­sen wird, was ein­ge­kauft wird … wenn alle mit­re­den dür­fen, hat das auch den Vor­teil, dass auto­ma­tisch weni­ger über das Essen geme­ckert wird. Viel­leicht kann das Kochen auch auf­ge­teilt wer­den, sodass jeder mal zustän­dig ist. Bei uns haben mei­ne Kin­der schon ziem­lich jung ange­fan­gen, jeden Frei­tag zu kochen. Da gab es dann öfters Nudeln und Toma­ten­so­ße, aber das ist doch völ­lig okay. Oder eine Per­son kocht, die ande­ren schnip­peln das Gemü­se usw. Gemein­sam zu kochen, das ist für mich eine gute Art, Zeit mit ande­ren zu verbringen.

 

Du hast bei der Recher­che für Dein Buch fest­ge­stellt, dass Bio-Pro­duk­te im Bio-Laden gar nicht unbe­dingt teu­rer sein müs­sen als im Supermarkt.

 

Ja, das fin­de ich sehr span­nend, gera­de weil die meis­ten Men­schen ja den­ken, im Bio-Laden wäre alles so furcht­bar teu­er. Aber es lohnt sich, genau­er hin­zu­schau­en. Gera­de unver­ar­bei­te­te Pro­duk­te wie Gemü­se kos­ten im Bio-Markt oft weni­ger als im Super­markt. Dis­coun­ter haben zwar oft unglaub­lich nied­ri­ge Ange­bots­prei­se für Bio. Da fra­ge ich mich dann, ist das noch preis­wert, im Sin­ne von: ist das Pro­dukt sei­nen ›Preis wert‹ im Sin­ne von gut und ange­mes­sen, oder ist es ein­fach nur bil­lig auf Kos­ten der Erzeu­ge­rin­nen und Erzeuger?

 

Um gut und güns­tig ein­zu­kau­fen, set­zen vie­le ger­ne auf Ange­bo­te und Aktio­nen, es gibt ja auch Apps, die das leis­ten. Was hältst Du davon?

 

Ich fin­de das zwie­späl­tig. Auf der einen Sei­te ist es prak­tisch, ein­fach zu sehen, was es wo gera­de am güns­tigs­ten gibt. Aber wenn ich dann am Ende mit dem Auto los­fah­re und etli­che Märk­te abklap­pe­re, um über­all zwei, drei Ange­bo­te zu kau­fen, dann frisst der Sprit- und Zeit­ver­brauch die paar gespar­ten Euros natür­lich direkt auf. Außer­dem bezah­le ich den Ser­vice die­ser Apps natür­lich, auch wenn sie kos­ten­los sind: Näm­lich mit mei­nen per­sön­li­chen Daten. Ich möch­te kei­ne glä­ser­ne Kun­din sein.

 

 

Bioboom Ausgabe 103 — Interview — Wie Bio und Budget zusammengehen können

 

 

Wie hältst Du es dann mit dem Ein­kau­fen? Was ist dei­ne Routine?

 

Also, ich schaue, dass ich mög­lichst nur so ein­mal in der Woche ein­kau­fen gehe, da kommt wie­der das The­ma Pla­nung ins Spiel. Und weil ich, wie gesagt, kei­ne Lust habe, so vie­le ver­schie­de­ne Ein­kaufs­stel­len anzu­steu­ern, kau­fe ich in einem Bio-Laden in der Nähe ein, der ein gene­rell gutes Preis-Leis­tungs­ver­hält­nis anbie­tet. Da gibt es schon Unter­schie­de, und es lohnt sich, zu gucken. Aber wenn ich weiß, in einem Markt stimmt das Preis­ni­veau grund­sätz­lich und es gibt zusätz­lich Ange­bo­te, dann kann ich es auch ver­schmer­zen, wenn ein Arti­kel mal 25 Cent teu­rer ist. Die spa­re ich dann an ande­rer Stel­le wie­der, wenn ein Arti­kel güns­ti­ger ist. Und natür­lich kau­fe ich auch auf dem Wochen­markt oder mal im Super­markt ein.

 

Lebens­mit­tel fres­sen aktu­ell deut­lich mehr Bud­get als noch vor zwei Jah­ren. Wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie waren Essen und Kochen zwei der weni­gen Akti­vi­tä­ten, die noch mög­lich waren, dafür hat man ger­ne mehr Geld aus­ge­ge­ben. Als das vor­bei war, gab es wie­der mehr Mög­lich­kei­ten, das Geld ander­wei­tig aus­zu­ge­ben, zum Bei­spiel für Rei­sen. Vie­le Bio-Käufer:innen gehö­ren zum Mit­tel­stand, sie haben die Mög­lich­keit, Prio­ri­tä­ten zu set­zen, wie sie ihr Geld aus­ge­ben. Für ande­re Haus­hal­te wie­der ist es aber wirk­lich eng, sie müs­sen schau­en, wie sie jeden Monat hin­kom­men. Was sie wirk­lich nicht brau­chen, ist, dass ihnen dann noch das Gefühl ver­mit­telt wird, sie müss­ten das jetzt trotz­dem alles Bio und nach­hal­tig hin­krie­gen, sonst mach­ten sie etwas falsch.

 

Oh ja. Da muss ich spon­tan an das Buch »Arm aber Bio!« den­ken. Es ist schon etwas älter, von 2009, geschrie­ben hat es die Jour­na­lis­tin Rosa Wolf. Sie hat damals im Selbst­ver­such aus­pro­biert, sich einen Monat von den damals 4,35 Euro pro Tag, die Hartz IV für Essen vor­sah, 100 Pro­zent Bio zu ernäh­ren. Sie hat es geschafft. Aber sie hat auch ein­drück­lich beschrie­ben, wie schwer es war — und dass es oft ein­fach kei­nen Spaß gemacht hat. Ein biss­chen ken­ne ich das aus eige­ner Per­spek­ti­ve: Ich hat­te als allein­er­zie­hen­de Mut­ter mit zwei Kin­dern auch jah­re­lang wenig Geld zur Ver­fü­gung. Ich bin gele­gent­lich Kom­pro­mis­se ein­ge­gan­gen und ich ste­he dazu. Es geht nicht dar­um, alles per­fekt zu machen. Es geht dar­um, sich in klei­nen Schrit­ten in Rich­tung Nach­hal­tig­keit zu bewe­gen, hie und da etwas zu ver­än­dern, wie es für die eige­ne Situa­ti­on am bes­ten passt. Es soll kei­ne Aske­se sein, son­dern das Leben berei­chern, es genuss­vol­ler und ein­fa­cher machen.

 

Was ist Dein ein­fachs­ter Einkaufstipp?

 

Kurz vor Schluss auf den Wochen­markt gehen. Vor­zugs­wei­se, wenn er an einem Sams­tag statt­fin­det. Da kann man oft unglaub­lich güns­tig regio­na­les und sai­so­na­les Obst und Gemü­se bekom­men, das am Mon­tag nicht mehr ver­kauft wer­den könn­te. Ich kau­fe dann oft grö­ße­re Men­gen und frie­re sie ein, um sie spä­ter zu verarbeiten.

 

Wir haben jetzt viel über ganz prak­ti­sche Din­ge gere­det, die man im All­tag machen kann, um güns­tig und nach­hal­tig zu essen. Bestimm­te Fak­to­ren kön­nen wir aber gar nicht beein­flus­sen, das wäre Sache der Poli­tik. Was wür­dest Du in Sachen Ernäh­rungs­po­li­tik sofort ändern, wenn Du ent­schei­den könntest?

 

Ich wür­de die Mehr­wert­steu­er­sät­ze für Lebens­mit­tel ändern. Ich fin­de, es ist ein Unding, dass nach wie vor auf Kuh­milch sie­ben Pro­zent Mehr­wert­steu­er erho­ben wer­den und auf pflanz­li­che Milch­al­ter­na­ti­ven 19 Pro­zent. Grund­sätz­lich wür­de ich mir wün­schen, dass unge­sun­de und/oder umwelt­be­las­tend her­ge­stell­te Lebens­mit­tel höher besteu­ert wer­den, bezie­hungs­wei­se dass für Bio-Lebens­mit­tel gene­rell der nied­ri­ge Mehr­wert­steu­er­satz von sie­ben Pro­zent gilt. So könn­te der Preis­ab­stand zwi­schen Bio und kon­ven­tio­nell ver­rin­gert wer­den und die öko­lo­gi­schen und gesell­schaft­li­chen Kos­ten der Lebens­mit­tel­pro­duk­ti­on sicht­ba­rer gemacht werden.

 

Was wir natür­lich auch noch wis­sen wol­len: Wie hältst Du es sel­ber mit dem Essen und dem Kochen?

 

Ich ver­su­che schon, im Gro­ßen und Gan­zen das zu leben, wor­über ich schrei­be — aber wie gesagt, ohne Dog­ma. Was mir sehr viel Spaß macht, ist das The­ma »Lebens­mit­tel ret­ten«. Dafür nut­ze ich dann auch mal Apps wie »Too good to go«: Damit kann man Über­ra­schungs­tü­ten mit über­schüs­si­gen Lebens­mit­teln aus Läden und Restau­rants ergat­tern. Gleich­zei­tig bekommt man oft hoch­wer­ti­ge Lebens­mit­tel zum klei­nen Preis. Ich freue mich immer sehr, wenn ich zum Bei­spiel eine Tüte mit vier Voll­korn­bro­ten vom sel­ben Tag zum Preis von einem bekom­me. Und ich fin­de es wun­der­bar, den Spei­se­plan mit selbst gesam­mel­tem zu ergän­zen. Auf der Sei­te mundraub.org fin­det man Stel­len, wo man Obst, Nüs­se oder Kräu­ter fin­den kann und — mit Augen­maß — ern­ten darf. Das spart jetzt nicht soviel in Sachen Ein­kaufs­bud­get, aber es macht ein­fach unheim­lich viel Spaß, den Spei­se­plan zum Bei­spiel mit Bär­lauch oder Maro­nen zu ergänzen.

 

Vie­len Dank Annette!

 

Bioboom Ausgabe 103 — Interview — Wie Bio und Budget zusammengehen können

 

 

 

 

 

Die­ser Bei­trag erschien in Aus­ga­be 103 — Som­mer 2024

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