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Bioboom-Ausgabe-100-Ortstermin-Schlagmuehle

Zu Besuch bei der Schlag­müh­le Wal­lau
Alles auf einen Schlag: Hier wird umgestellt.

Im Rhein-Main Gebiet bewirtschaften Ann­kathrin Tempel und Boris Danielowski den Hof der Schlagmühle Wallau in der 13. ­Generation. Kurz nach der Übernahme und mitten in schwierigen Zeiten stellt das Paar den Betrieb auf Bio um, baut einen Hof­laden, einen mobilen Hühnerstall und öffnet den Hof für kleine und große Gäste. Zahlt sich ihr Mut aus?
Bioboom 100 Jubiläumsausgabe Herbst 2023
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Hin­ter der Fall­obst­wie­se beginnt der Acker. Die Geräu­sche der Auto­bahn, die von Frank­furt am Main nach Wies­ba­den führt, sind ein lei­ses Rau­schen im Hin­ter­grund. Brust­hoch wach­sen die Pflan­zen auf dem Feld. Erb­sen und Tri­ti­ca­le, eine Kreu­zung aus Wei­zen als weib­li­chem und Rog­gen als männ­li­chem Part­ner. Zwei Hän­de fah­ren durch die Pflan­zen hin­durch, pflü­cken eine Erb­sen­scho­te und bre­chen sie auf. Sechs gel­be Erb­sen kul­lern her­aus. »Vor zwei Jah­ren haben wir die Win­ter­erb­se noch kon­ven­tio­nell ange­baut«, erin­nert sich Ann­kath­rin Tem­pel, »sie ist uns in gro­ßen Tei­len umge­kippt.« Jetzt dient das Getrei­de der Erb­se als Stütz­frucht. Auch die Unkraut­pro­ble­me hät­ten auf dem Acker abge­nom­men. »Wenn die Erb­se abtrock­net, lässt sie viel Licht an den Boden, durch die Tri­ti­ca­le wird er ver­deckt.« Außer ein paar ver­ein­zel­ten Dis­teln ist der Boden fast unkraut­frei. »Und es ist acker­bau­lich toll, zwei Kul­tu­ren auf einem Acker zu haben, weil es die Bio­di­ver­si­tät för­dert.« Im Bio-Anbau hat Gemen­ge, also der Misch­an­bau, eine lan­ge Tra­di­ti­on. Für Ann­kath­rin Tem­pel, 35, und Boris Danie­low­ski, 42, ist das alles noch neu.

 

Zurück­ge­kom­men, um zu bleiben

 

Ann­kath­rin Tem­pel ist auf dem Hof auf­ge­wach­sen, zu der auch die alte Schlag­müh­le gehört. Das »Klap­pern am rau­schen­den Bach« gibt es hier längst nicht mehr. Seit 50 Jah­ren steht das Mühl­rad still. »Mein Opa hat den Betrieb damals auf Getrei­de­han­del umge­stellt und neben­her noch ein biss­chen Land­wirt­schaft gemacht.« Das alte Mühl­rad ist ver­ros­tet, Brenn­nes­seln wach­sen hüft­hoch. In Metall­rah­men hän­gen Pla­ka­te, die die Geschich­te der 1691 erbau­ten Schlag­müh­le in Wal­lau erzäh­len. Tem­pels Eltern haben den Betrieb in der zwölf­ten Genera­ti­on geführt. »Den Getrei­de­han­del haben sie Anfang der 2000er Jah­re auf­ge­ge­ben und den land­wirt­schaft­li­chen Betrieb Stück für Stück erwei­tert und pro­fes­sio­na­li­siert.« Der kon­ven­tio­nel­le Anbau lief eigent­lich gut. Irgend­wann stand die Fra­ge der Hof­nach­fol­ge im Raum. Tem­pels Bru­der, der Land­wirt­schaft stu­diert hat, arbei­te­te mitt­ler­wei­le in der Wirt­schaft. »Mein Freund und ich haben dann ent­schie­den, dass wir es mal probieren.«

 

»Einen kon­ven­tio­nel­len Betrieb woll­ten wir nicht«

 

Boris Danie­low­ski eilt über den Hof. In drei Tagen beginnt die Ern­te, der Mäh­dre­scher ist schon bestellt. Der Mann mit dem grau­me­lier­ten Voll­bart und der brau­nen Wuschelm­äh­ne hat­te mit der Land­wirt­schaft bis­lang wenig zu tun. Er hat Musik­the­ra­pie stu­diert und als Sozi­al­ar­bei­ter in der psy­cho­so­zia­len Bera­tung gear­bei­tet. »Aber mein Onkel hat seit vie­len Jah­ren einen Deme­ter-Hof und baut Gemü­se an.« Auch Ann­kath­rin Tem­pel kann­te die Land­wirt­schaft nur aus ihrer Kind­heit. Sie hat den elter­li­chen Hof für das Stu­di­um ver­las­sen und spä­ter in der Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit gear­bei­tet. Jah­re­lang über­leg­te das Paar, wie sie die Hof­über­nah­me ange­hen sol­len, haben ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en durch­ge­spielt. Das Land ver­pach­ten oder selbst bewirt­schaf­ten? »Es war ein Pro­zess«, sagt Ann­kath­rin Tem­pel. Eins wuss­ten sie aber sicher: »Einen kon­ven­tio­nel­len Betrieb, so wie mein Papa ihn geführt hat, woll­ten wir nicht.« Das wäre ihnen schein­hei­lig erschie­nen, wo doch in ihrem eige­nen Kühl­schrank und den Küchen­re­ga­len fast nur Bio-Pro­duk­te liegen.

 

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Mehr Hand­lungs­spiel­raum im Öko-Landbau

 

Doch es war nicht nur der Wunsch nach gesun­den und nach­hal­tig pro­du­zier­ten Lebens­mit­teln, der sie antrieb. »Wenn man spe­zi­el­le­re Sachen anbau­en will, ist man im kon­ven­tio­nel­len Bereich schnell ein biss­chen ein­ge­schränkt. Sie las­sen sich auch schlech­ter ver­mark­ten als im Bio-Bereich«, sagt Ann­kath­rin Tem­pel. Zum Bei­spiel bei Ölsaa­ten sei der Bio-Markt inter­es­san­ter, eben­falls bei Mohn, der auf den Fel­dern der bei­den wächst. »Im ers­ten Jahr haben wir den Mohn noch kon­ven­tio­nell ange­baut und für die Ver­mark­tung bei klei­ne­ren Ölmüh­len ange­fragt, aber vie­le woll­ten nur Bio-Mohn annehmen.«

 

Ganz oder gar nicht

 

Vie­les sprach also für den Öko-Land­bau, auch wenn die Land­wir­tin das Schwarz-Weiß-Den­ken »Bio gegen kon­ven­tio­nell« nicht in allen Berei­chen teilt. »Manch­mal wäre es schön, wenn wir das Bes­te aus bei­den Wel­ten kom­bi­nie­ren könn­ten.« Doch bei Bio geht eben nur ganz oder gar nicht und ihre Ent­schei­dung war klar: Sie woll­ten es – ganz. »Wir möch­ten den Betrieb aber viel­fäl­ti­ger auf­stel­len, unse­re Pro­duk­te direkt ver­mark­ten und den Hof als Lern- und Erleb­nis­ort für Kin­der und Erwach­se­ne öff­nen.« Vie­le Ver­än­de­run­gen in kur­zer Zeit, auch für die Eltern, die den Betrieb jahr­zehn­te­lang erfolg­reich bewirt­schaf­tet hat­ten. »Glück­li­cher­wei­se haben mei­ne Eltern selbst schon mal über­legt, auf Bio umzu­stel­len.« Der Getrei­de­han­del mach­te ihnen damals jedoch einen Strich durch die Rech­nung. »Sie hät­ten ent­we­der bei­de Betrie­be kom­plett von­ein­an­der tren­nen müs­sen, doku­men­tie­ren, dass sich nichts ver­mischt oder nur noch Bio-Getrei­de anneh­men dür­fen.« Damals gab es jedoch kaum Bio-Land­wir­te in der Regi­on. »Es wäre ein­fach zu stres­sig und auf­wen­dig gewe­sen, daher ent­schie­den sie sich dage­gen.« Nun aber schien der rich­ti­ge Zeit­punkt gekom­men zu sein.

 

Umstel­lung auf bio­lo­gi­sche Land­wirt­schaft: Nicht immer einfach

 

Ann­kath­rin Tem­pel und Boris Danie­low­ski lie­ßen sich bera­ten. Sowohl der Anbau­ver­band Bio­land als auch der Lan­des­be­trieb Land­wirt­schaft Hes­sen, eine staat­li­che Bil­dungs- und Bera­tungs­ein­rich­tung, stan­den ihnen zur Sei­te und ent­wi­ckel­ten gemein­sam mit ihnen eine Frucht­fol­ge. »Wir woll­ten best­mög­lich vor­be­rei­tet sein«, sagt Ann­kath­rin Tem­pel. Im Juni 2021 mel­de­ten sie den Betrieb bei der Bio-Kon­troll­stel­le an und bega­ben sich ins Bio-Kon­troll­ver­fah­ren. Das war der Start­schuss, die Umstel­lungs­zeit begann. Zwei Jah­re dau­ert sie. Alle pflanz­li­chen Erzeug­nis­se vom Hof sind seit­dem Umstel­lungs­wa­re und dür­fen auch als sol­che ver­mark­tet wer­den. »Das letz­te Jahr war ein gutes Jahr, die Erzeu­ger­prei­se waren super.« Auch die För­der­gel­der sei­en im Bio-Bereich deut­lich höher als im kon­ven­tio­nel­len Anbau. Doch das Paar muss­te zeit­gleich viel Geld in Maschi­nen zur Unkraut­be­kämp­fung inves­tie­ren. Auch die Ver­bands­ge­bühr sei nicht ohne, »aber wir müs­sen in der Umstel­lungs­zeit nur 50 Pro­zent bezah­len.« Trotz­dem: Wären sie kon­ven­tio­nell geblie­ben, wür­den sie zum jet­zi­gen Zeit­punkt finan­zi­ell bes­ser daste­hen. Auch der Blick auf die Fel­der tue manch­mal weh. »Wir ern­ten jetzt nur noch die Hälf­te oder zwei Drit­tel«, sagt Ann­kath­rin Tem­pel, »gera­de im letz­ten Jahr, als es durch den Ukrai­ne­krieg eine Getrei­de­knapp­heit am Markt gab, habe ich mich gefragt, wie sinn­voll das ist.« Die Bio-Bran­che müs­se sich wei­ter­ent­wi­ckeln, fin­det die Land­wir­tin, mehr for­schen und den Anspruch haben, bes­ser zu wer­den. Genau wie sie selbst. Das Paar will den Betrieb mit Bio zum Erfolg füh­ren, unbedingt.

 

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Copy­right Saja Seus Fotografie

Ler­nen durch Erfahrung

 

Was sie bereits gelernt haben: Im Öko­land­bau ist es wich­tig, prä­ven­tiv zu arbei­ten. »Wenn der Schäd­ling schon auf dem Acker ist, ist es zu spät.« Denn der Ein­satz von che­misch-syn­the­ti­schen Dün­ge­mit­teln und Pes­ti­zi­den ist ver­bo­ten. Die zwei­te Erkennt­nis: Was in einem Jahr klappt, muss nicht zwangs­läu­fig auch im nächs­ten klap­pen. »Die­ses Jahr hat­ten wir einen feuch­ten Früh­ling. Durch die Näs­se hat­ten wir Gelb­rost, einen Pilz, im Getrei­de.« Im kom­men­den Jahr wol­len sie eine Sor­te aus­wäh­len, die weni­ger anfäl­lig ist. Auch Unkraut ist immer wie­der ein Pro­blem. Da schau­en benach­bar­te Landwirt:innen schon mal skep­tisch auf den Acker. »Aber da muss man dann halt drü­ber ste­hen.« Das Paar hat sich einen Strie­gel gekauft, eine klas­si­sche Maschi­ne, um Unkraut zu bekämp­fen. »Aber wir müs­sen sehr ›on point‹ sein, um das Unkraut auf dem Acker im rich­ti­gen Moment zu erwi­schen«, sagt Ann­kath­rin Tem­pel. Da hel­fen nur Erfah­rungs­wer­te – und die müs­sen sie eben manch­mal erst noch sammeln.

 

Wis­sen zwi­schen Genera­tio­nen weitergeben

 

Um mehr Wis­sen ern­ten zu kön­nen, hat sich die Land­wir­tin neben­be­ruf­lich zur Berufs­spe­zia­lis­tin für öko­lo­gi­schen Land­bau wei­ter­ge­bil­det. »Und zum Glück kön­nen wir immer mei­nen Vater fra­gen«, sagt sie. »Er kennt das noch aus sei­ner Kind­heit. Bevor die che­mi­sche Indus­trie groß gewor­den ist, war der Öko­land­bau mehr oder weni­ger die Norm.« Die gut 100 Hekt­ar gro­ßen Flä­chen bear­bei­ten Vater, Toch­ter und Freund im Drei­er­ge­spann, »mei­ne Mut­ter küm­mert sich lie­be­voll um die Hof­s­tel­le.« Hin­zu kom­men ein Hüh­ner­mo­bil mit 200 Hen­nen, zwei bis drei Hekt­ar Streu­obst­wie­sen und rund 20 Bie­nen­völ­ker, die umsorgt wer­den wol­len. »Es ist ein inten­si­ver Job. Wir haben Arbeits­spit­zen, die sind nicht ohne«, sagt Boris Danie­low­ski, »und wir sind sehr vom Wet­ter getrie­ben.« An eini­gen Tagen schaut er stünd­lich auf die Wet­ter-App. Der Kli­ma­wan­del ist in der Regi­on spür­bar. »Das kann einem wirk­lich Angst machen, wenn man in die Land­wirt­schaft ein­steigt, weil vie­les zum Glücks­spiel wird.« Unwet­ter häu­fen sich, die Win­ter wer­den mil­der und nas­ser, dafür gibt es im Som­mer immer län­ge­re Dür­re­pe­ri­oden. »Von Som­mer­ge­trei­de las­sen wir mehr und mehr die Fin­ger«, sagt Boris Danie­low­ski. Ann­kath­rin Tem­pel zeigt Rich­tung Wicker­bach, der an der Müh­le vor­bei­fließt. »Vor drei Jah­ren ist der Wicker­bach zum ers­ten Mal tro­cken gefal­len, im ver­gan­ge­nen Jahr dann gleich nochmal.«

 

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Neue Wege auf alten Pfaden

 

Für den Hof selbst hat das Paar gro­ße Plä­ne. Der alte Pfer­de­stall wur­de bereits auf­wen­dig saniert und aus­ge­baut. Aus ihm soll ein Bio-Hof­la­den wer­den, wo ab dem Spät­som­mer die eige­nen Pro­duk­te direkt ver­mark­tet wer­den. Auch eine klei­ne Pro­duk­ti­ons­kü­che gibt es, »damit wir mit den Lebens­mit­teln auch arbei­ten kön­nen.« Momen­tan gibt es nur eine klei­ne rot-weiß gestri­che­ne Holz­hüt­te im Hof, in der neben Eiern auch hand­ge­mach­te Honigs­ei­fe, Mohn­öl und Apfel­saft ver­kauft ­wer­den. Im neu­en Laden sol­len dann auch Getrei­de­pro­duk­te erhält­lich sein. Ob unver­packt als Korn oder schon gemah­len steht noch nicht fest. »Es ist hier in der Regi­on nicht leicht, eine Müh­le zu fin­den, die bio­zer­ti­fi­ziert ist.« Eine Alter­na­ti­ve wäre eine eige­ne klei­ne Müh­le im Laden, in der sich Kun­din­nen und Kun­den ihr Getrei­de selbst mah­len können.

 

Momen­tan wächst auf den Äckern Wei­zen, Som­mer- und Win­ter­gers­te, Tri­ti­ca­le, Lupi­nen, Acker­boh­nen und Gemen­ge. Das Getrei­de ver­kau­fen sie wäh­rend der Umstel­lungs­zeit als Fut­ter­ge­trei­de. Ab dem nächs­ten Jahr dür­fen sie ihre Ern­te dann auch als Spei­se­wa­re ver­kau­fen. Die Ver­mark­tungs­ge­mein­schaft, in der sie sind, koope­riert mit einer gro­ßen, regio­na­len Bio-Bäcke­rei. »Dort kön­nen wir dann unser Getrei­de in Form von Brot und Bröt­chen zurück­kau­fen.« Dar­auf freut sich die Land­wir­tin schon sehr.

 

→ Kris­tin Kasten

→ schlagmuehle-wallau.de

 

Die­ser Bei­trag erschien in Aus­ga­be 100 — Herbst 2023

Bioboom Cover der Jubiläumsausgabe Herbst 2023 Nr. 100

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