Alles erinnert an eine Wurstfabrik. Der Anblick der gefliesten Böden, auf denen die schweren Edelstahlmaschinen für die Würstchenproduktion stehen. Die Kühlkammern, in denen tausende Würstchen an Edelstahlregalen hängen. Autoklavenkäfige, in denen sich abgepackte Super Griller und Winzi Weenies stapeln. Die Produktionshallen liegen in einem Gewerbegebiet nahe des Bahnhofs von Kernen im Remstal. Ein unscheinbarer Bau, der bis in die 90er Jahre tatsächlich einem Fleischfabrikanten gehörte. Dass vegane Fleischalternativen ausgerechnet in einer ehemaligen Wurstfabrik hergestellt werden, findet Werksleiter Christian Behne gar nicht abwegig. Viele Produktionsprozesse ähneln sich, die Maschinen und Anlagen sind die gleichen: Fleischwolf, Schälmaschinen, Koch- und Räucherkammern. »Wir benutzen hier sogar die gleichen Gewürze wie die Fleischproduktion, allerdings in Bio-Qualität.« Die fertigen Produkte sehen aus wie Fleischprodukte – und schmecken auch ganz ähnlich. Und doch kommen die Produkte des schwäbischen Unternehmens ganz ohne tierische Produkte aus.
Erstaunlich ähnlich
Christian Behne führt im weißen Kittel und mit türkisfarbener Kappe über den Haaren durch die Manufaktur – ein wahres Labyrinth aus Lagerräumen, Produktionshallen und Kühlkammern. »Ich komme aus einer Fleischereifamilie, aber ich wollte aus ethischen Gründen nicht in der Fleischindustrie arbeiten. Der Job ist brutal«, sagt er und blickt auf den veganen Bacon, der in der Kühlkammer vor ihm lagert. Sein Blick wird weich. Der studierte Lebensmitteltechniker lächelt, »eins meiner Lieblingsprodukte.« Christian Behne arbeitet seit einem Jahr für Topas. »Bio-Produkte habe ich vorher schon regelmäßig gekauft, vegane Fleischalternativen nicht.« Als er zum Gespräch eingeladen wurde, probierte er erstmals Produkte von Wheaty, »schließlich wollte ich wissen, worüber wir reden.« Und er war überrascht. »Konsistenz und Geschmack waren den Fleischprodukten erstaunlich ähnlich.«
Warum Fleischersatz wie das Original heißt
So wie Christian Behne geht es vielen, die die Produkte von Wheaty probieren. Und: So soll es auch sein. »Wir sind alle mit Fleisch aufgewachsen«, sagt Geschäftsführer Charles-Henry Debal. »Wer unsere Produkte kauft, erkennt die Funktion des Produkts sofort.« Der gebürtige Franzose ist der Schwiegersohn des Gründerpaars und arbeitet seit 2013 in dem Familienbetrieb. »Ich bin Vegetarier, kein Veganer«, sagt er schnell, ohne dass ihn jemand gefragt hätte, so als müsse er das oft erzählen, »ich esse kein Fleisch, keinen Fisch – auch nicht ab und zu.« Trotzdem wisse er natürlich, dass ein Würstchen auf den Grill oder in die Pfanne gehört. Ebenso das Steak. Der Umgang mit scheinbar bekannten Produkten sei leicht und unkompliziert. »Wenn wir etwas bewegen und die Masse erreichen wollen, müssen wir den Menschen Produkte anbieten, die sie kennen. Wer keinen Bezug zu einem Produkt hat, kauft es nicht.«
Als Klaus Gaiser und seine Ehefrau Sanni vor knapp dreißig Jahren die Firma Topas mit der Produktlinie Wheaty gründeten, waren Seitan-Produkte noch nahezu unbekannt. Seitan wird aus Weizenmehl und Wasser hergestellt und bildet die Basis für alle Wheaty-Produkte. Der Erfolg blieb lange Zeit aus. »Es war ein richtiger Kampf damals«, sagt Charles-Henry Debal, »es war schwer, die Akzeptanz der Verbraucher zu gewinnen.« Erst nach gut acht Jahren schrieb die Firma schwarze Zahlen. Der große Durchbruch kam als die Rinderseuche BSE im Jahr 2000 Deutschland erreichte. »Plötzlich ging die Umsatzkurve steil nach oben. Viele Konsumenten haben nach Alternativen gesucht, wollten bewusster essen.« Die Seitan-Produkte boomten. Die Produktpalette wuchs schnell. Bio und rein pflanzlich – das kam an.
Fleischindustrie kapert Veggie-Branche
Doch es dauerte nicht lange bis die großen Lebensmittelfirmen nachzogen. Zunächst zaghaft, dann mit voller Kraft. Das Bio-Angebot im Lebensmitteleinzelhandel wuchs sprunghaft. »Ein Regalmeter mit Bio-Ware hat sich plötzlich verzehnfacht«, sagt Charles-Henry Debal. Und auch das Angebot an veganen Alternativen hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Die Supermärkte und Discounter wurden zur spürbaren Konkurrenz für die Bio-Läden. Und dann stieg auch noch die Fleischindustrie vermehrt in den vegetarischen und veganen Fleisch- und Wurstersatzmarkt ein. »Als die großen Konzerne anfingen, ähnliche Produkte auf den Markt zu bringen, war das für uns ein großer Schlag. Wir wussten, dass sie Marketing in völlig anderen Dimensionen machen können als wir.«
Kein Grund zur Panik
Ein Grund zur Panik sei das aber nicht gewesen. Der Gründer Klaus Gaiser habe »nicht gezittert und nicht gezweifelt«. Statt den Status quo zu erhalten, habe das Gründerehepaar einen neuen Produktionsstandort übernommen und neue Produkte entwickelt. »Innovationen sind unsere große Stärke«, sagt der Geschäftsführer, »und im Gegensatz zu Großkonzernen sind wir flexibel und schnell in der Entwicklung.« Selbst als die Umsatzahlen erstmals rückläufig waren, brachte das Familienunternehmen neue Produkte auf den Markt. Das zahlte sich aus. Seit 2019 steigen die Umsätze wieder. Im vergangenen Jahr konnte das süddeutsche Unternehmen ein Umsatzwachstum von 40 Prozent verzeichnen.
Neue Veggie-Welle mit Beyond Meat
Den neuerlichen Boom verdankt das Unternehmen nicht nur der eigenen Kraft, sondern ausgerechnet auch denen, die vor einigen Jahren als große Konkurrenz auf den Markt vorpreschten: der Fleischindustrie. Sie steckt enorme Summen in ihre Werbekampagnen für Fleischersatzprodukte. »So haben sie das Thema ›vegan‹ populär gemacht. Heute ist es hip und cool, vegane Burger zu braten«, sagt Charles-Henry Debal. Gleichzeitig sei aus den USA ein neuer Trend nach Deutschland geschwappt – die Beyond-Meat-Welle. »Und davon profitieren wir jetzt stark.« Die Menschen seien eher bereit, alte Pfade zu verlassen und Neues auszuprobieren.
Produktion für den deutschen und europäischen Markt
Die Ausgangsrohstoffe für die Wheaty-Produkte, allen voran Weizen und Öl, kommen aus kontrolliert ökologischem Anbau und werden fast ausschließlich in Europa hergestellt. Nur einige Gewürze müssen naturgemäß von weiter her importiert werden. Die Qualitätskontrollen sind laut eigenen Angaben streng. Auch unabhängige externe Labore prüfen die Qualität der Rohstoffe und Produkte. Momentan laufen pro Woche rund 55 Tonnen Fleischersatzprodukte vom Band. Tendenz steigend. Das Wheaty-Sortiment umfasst heute etwa 50 Produkte. Ungefähr die Hälfte der Waren werden in Deutschland abgesetzt, weitere 20 Prozent in Frankreich, danach folgen die Beneluxstaaten und der restliche europäische Markt. An einem Überseegeschäft im großen Stil ist das Unternehmen nicht interessiert: Zu unberechenbar seien die Märkte, zu anders die Spielregeln. Zudem laufe die Anlage in Kernen bereits an ihrer Kapazitätsgrenze. Im nächsten Jahr soll die alte Fleischfabrik nach und nach abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden.
Unternehmen auf dem Sprung
»Für die Vielzahl an Produkten und Kunden braucht es eine ausgeklügelte Logistik, um in den engen Räumen effektiv zu arbeiten«, sagt Christian Behne. Gut 80 Menschen arbeiten in der Produktion. Gerade sortieren zwei Männer am Fließband Würstchen in ihre Verpackungen ein – im Rekordtempo. Auch die Gewürze werden per Hand abgewogen, der Aufschnitt von Mitarbeitenden händisch in die Verpackungen gelegt. »Aber bald bekommen wir eine neue Maschine, die das übernimmt«, sagt Christian Behne und zuckt mit den Schultern, »das ist dann natürlich viel effektiver, wobei es mir eigentlich gut gefällt, dass wir noch eine richtige Manufaktur sind.« Hinter der nächsten Tür wird es plötzlich laut. Musik wummert durch das Lager. Bei dem fünfköpfigen Team, das sich um die Etikettierung kümmert, herrscht Hochstimmung. Der Werksleiter schmunzelt. »Das ist hier immer so.«
Jetzt geht es um die Wurst
»Lassen Sie mich raten. Da unten lief Hip Hop, oder?«, fragt Charles-Henry Debal später und lacht. Menschen, Umwelt, Tiere – das alles ist dem Unternehmen wichtig. Es unterstützt etliche soziale Initiativen. Doch seit einiger Zeit muss sich Topas immer häufiger mit Rechtsstreitereien beschäftigen. »Seit Jahren versuchen entsprechende Verbände, Bezeichnungen von Wheaty-Produkten verbieten zu lassen.« Teilweise wären Produkte betroffen, die seit 20 Jahren so hießen. Die Rede ist von Verbraucher:innentäuschung, »aber ganz ehrlich, wenn irgendwo vegane Wurst drauf steht, weiß jeder, dass in dem Produkt kein Fleisch drin ist und es sich nicht um ein klassisches Würstchen handelt«, sagt der Geschäftsführer und schüttelt den Kopf, »das ist einfach nur ein lächerlicher Versuch, noch was zu retten, bevor das Schiff untergeht.« Die Fleischindustrie merke, dass sich der Wind dreht. »Schon die nächste Generation wird Fleisch bei weitem nicht mehr in der Größenordnung konsumieren, wie es die heutige Generation tut«, davon ist der Geschäftsführer überzeugt.
Kein Verständnis für Hypes
Dafür werden andere Trends an Fahrt aufnehmen: Burger aus Insekten oder auch Fleisch aus dem Labor. »Dann werden die Menschen wieder von einer Revolution sprechen und in Euphorie ausbrechen«, sagt Charles-Henry Debal, »aber wo liegt der Sinn darin, Fleisch im Labor herzustellen? Das ist so mühsam und wird so teuer werden.« Er schüttelt den Kopf. »Aber der Hype wird nicht lange andauern, dann werden die Menschen wieder das richtige Maß ansetzen, den Verstand einschalten – und bewusst konsumieren.« Und zwar: Pflanzen.
→ Text von Kristin Kasten
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 92 — Herbst 2021