Die Henne versteckt sich in der Wildhecke. Dort picken und scharren schon ihre Mitbewohnerinnen. Sie kommt nur zaghaft näher. Doch eine plötzliche Bewegung erschrickt die Henne. Mit federnden Schritten eilt sie zwischen die Sträucher zurück. »Eine Henne ist eine Waldrandbewohnerin. Sie braucht einen Ort, wo sie schnell in Deckung gehen kann, wo Halbschatten ist. Dort fühlt sie sich wohl«, sagt Bio-Bauer Sebastian Frey und blickt auf den mobilen Hühnerstall. Der steht auf einer weiten, grünen Wiese, die von Sträuchern und jungen Bäumen eingerahmt ist. Früher haben sich die Hennen vor allem im engen Umkreis um den Stall herum bewegt und dort schwarze Erde hinterlassen. Heute nutzen sie die Flächen aus, davon zeugen die ausgetretenen Pfade rund um die Hecke. »So ist es einfach viel schöner und die Hennen scheinen sich wohlzufühlen«, sagt der Landwirt, »gleichzeitig tun wir etwas für das Klima und die Biodiversität auf unseren Flächen.«
Co-Working mit der Natur
Der von Naturland zertifizierte Bio-Hof liegt auf etwa 400 Meter Höhe im bayerischen Teil des Odenwaldes – inmitten eines Postkartenpanoramas: Sanfte Hügel, Wälder, grüne Wiesen. Von den 77 Hektar des Betriebs sind weit über die Hälfte Ackerflächen, dazu kommen neun Hektar Wald, der Rest ist Grünland. Die Eltern von Sebastian Frey haben beide Landwirtschaft studiert. Sie haben den Hof 1992 übernommen und leiten ihn auch heute noch mit. »Unser Zugpferd in der Vermarktung sind die Eier«, sagt Sebastian Frey. 4.000 Legehennen wohnen in drei mobilen Hühnerställen. Das Getreide, das auf den Äckern wächst, dient hauptsächlich als Futter für die Hennen. »Nur unser Roggen und Dinkel gehen an eine Bäckerei im nahegelegenen Miltenberg.« Ihre Eier verkaufen sie direkt am Hof, beliefern aber auch zahlreiche regionale Bio-Läden und Geschäfte.
Sebastian Frey hat den Beruf des Landwirts von der Pike auf gelernt, in verschiedenen Betrieben Erfahrungen gesammelt, auch im Ausland. Auf seinen Reisen nach Argentinien, Peru und Tansania erlebte er, wie gut Bäume mit Acker- und Weideland kombiniert werden können. »Die Kaffeebauern in Peru haben den Wald auf eine Art und Weise kultiviert, dass dort zwischen den Bäumen Schattenkaffee wachsen konnte, der dann per Hand gepflückt wurde«, erinnert sich Sebastian Frey. Das hat ihm imponiert und zum Nachdenken gebracht. »Im Ökolandbau suchen wir immer einen Weg, wie wir möglichst nah an der Natur produzieren können.« Co-Working sei ein gutes Stichwort. »Wir versuchen, die Natur wieder ein Stück weit in die Agrarlandschaft zurückzuholen. Und suchen nach Symbiosen, die dann am Ende auch noch Produkte abwerfen, von denen wir als Landwirte leben können.«
Essbare Landschaft für Mensch und Tier
Trotzdem war das erste Agroforst-Projekt auf dem Hof gar nicht als solches angedacht. »Klar, ich kannte den Begriff damals schon, aber eigentlich fanden wir unsere Idee einfach sinnvoll«, sagt Sebastian Frey. Das Ziel war schlicht, einen möglichst grünen Auslauf für die Hühner zu schaffen. Familie Frey zäunte ein viereinhalb Hektar großes Areal ein und pflanzte Wildhecken: Weißdorn‑, Holunder‑, Sanddorn- und Schneeballsträucher, am Rand der Fläche Flatterulmen, Esskastanien, Pappeln, Weiden, Ahorn- und Kirschbäume. »Viele der Bäume und Sträucher in unseren Wildhecken haben wir unserem eigenen Waldgebiet entnommen«, sagt Sebastian Frey und streichelt gedankenverloren einen der zwei Hütehunde, die über das weitläufige Gelände streunen und Gäste mit lautem Bellen begrüßen. Die Hennen zeigen sich gänzlich unbeeindruckt von den großen, weißen Hunden und gackern im Gestrüpp der Sträucher fröhlich weiter. Auf den Wiesen des Hühnerauslaufs stehen etliche Obstgehölze: Äpfel, Pfirsiche, Kirschen, Quitten, Aprikosen, Zwetschgen und Nüsse. Erste Früchte konnten schon geerntet werden.
»Im Ökolandbau suchen wir immer einen Weg, wie wir möglichst nah an der Natur produzieren können.«
Agroforst wächst nicht von selbst
Was heute so schön aussieht, ist das Resultat harter Arbeit und Ausdauer. »Im Sommer 2018 ist uns richtig viel vertrocknet, obwohl wir immer wieder gegossen haben«, berichtet Sebastian Frey. Mit dem Ackerbau sei der Anbau von Bäumen nicht zu vergleichen. »Wenn ich auf einem Feld etwas anbaue und das nichts wird, muss ich mir das ein Jahr angucken und mache dann im nächsten Jahr einfach was anderes.« Bei Bäumen ist das naturgemäß anders, schließlich sollen sie beständig in den Himmel wachsen. Gerade am Anfang musste der Landwirt viel lernen und Rückschläge hinnehmen. So hat er den Hunger der Feldmäuse auf junge Baumwurzeln unterschätzt, vor allem der Ahorn musste unter den Nagetieren leiden. Auch bei den Pappeln lief nicht alles wie geplant. »Wir haben zu Beginn Pappel-Stecklinge gekauft, die nur 30 Zentimeter lang waren«, sagt Sebastian Frey, »wenn es genug regnet, funktioniert das auch.« Doch der Regen lässt im Odenwald oft wochenlang auf sich warten – zu lang für die jungen Pappeln.
Dürre und Starkregen machen zu schaffen
Der Hitzesommer 2018, ein Jahr nach dem Bau des Hühnerauslaufs, war ein gedanklicher Wendepunkt für die Arbeit auf dem Hof. »Die jungen Bäume gingen ein«, erinnert sich der Landwirt, »die Wiesen waren braun wie in der Steppe.« Die Dürre ließ das Futter für die Rinder knapp werden. Statt zwei oder drei Grasschnitten war nur noch einer möglich. »Wir mussten schon Ende Juli das Winterfutter dazu füttern.« Ein Schlüsselerlebnis, zumal ein weiteres Problem hinzukam. »Die Starkregen-Ereignisse haben in den vergangenen Jahren zugenommen.« Auf den immer öfter trockenen Feldern kann das Wasser jedoch nur schwer einsickern. »Da läuft viel Flüssigkeit oberflächlich ab, in die Mud und den Main«, sagt Sebastian Frey.
Dabei brauchen die Flächen dringend Wasserreserven für die heißen Sommer. »Wir müssen es also irgendwie schaffen, das Wasser im lokalen Kreislauf zu halten.« Die Lösung im Odenwald: Ackerbäume. Mit ihren tiefen Wurzeln verhindern sie das Abfließen des Wassers. »Entlang von Wurzelballen gelangt Wasser in tiefere Bodenschichten«, sagt der Landwirt, »und wird dort gespeichert.« Bei Trockenheit können die Bäume das Wasser dann wieder hervorholen. Gleichzeitig spenden die Bäume dem Acker Schatten, die Temperatur auf der beschatteten Fläche sinkt. Das hat messbare Effekte. »Wo Wasser der wachstumslimitierende Faktor ist, bringt der kühlende Effekt der Bäume höhere Erträge im Getreide«, sagt Sebastian Frey, »das Getreide braucht nicht mehr so viel Wasser, um sich selbst zu kühlen und kann mehr Wasser ins Korn stecken.« Das sei mittlerweile auch wissenschaftlich bewiesen.
Ackerbäume als Wasserretter
Mittlerweile stapft Sebastian Frey einen grünen Hügel hinauf, Kuhfladen säumen den Weg. Über die Kuppe des Hügels zieht sich ein fünf Hektar großer Acker, auf dem Roggen eingesät ist. Auf knapp einem Fünftel der Fläche wachsen jetzt gut 2.000 junge Bäume. »Wir haben zusammen mit einer Firma, die sonst große Pappelplantagen anlegt, maschinell fünf verschiedene Pappelsorten gepflanzt.« Auch Robinien wachsen auf dem Acker. Dass er jetzt weniger Ackerfläche hat, stört den Bauern nicht. »Trotzdem wächst dort ja etwas, auch wenn keiner von uns sagen kann, wie in zwanzig Jahren die Preise für Holz sind.« So lange dauert es nämlich, bis die Bäume gewinnbringend gefällt werden können.
»Wir müssen es also irgendwie schaffen, das Wasser im lokalen Kreislauf zu halten.« Die Lösung im Odenwald: Ackerbäume.
Aus Fehlern lernen
Aus Anfangsfehlern hat der Landwirt schnell gelernt. Statt der 30 Zentimeter langen Stecklinge, die er noch zu Beginn des Projekts gepflanzt hat, waren die Stecklinge auf dem Acker bereits 90 Zentimeter lang. »Wir haben sie dann 70 Zentimeter in den Boden rein gedrückt, damit sie da unten wurzeln und von dort die Feuchtigkeit aufnehmen können.« An der Ackerkante zu den Bäumen hin pflügt er besonders tief, so zwingt er die Wurzeln der Bäume in die Tiefe und nicht in die Breite zu wachsen. »Schließlich sollen sie der Kultur auf dem Acker keine Konkurrenz machen.« Und die Bäume brauchen Pflege und Aufmerksamkeit. »Im ersten Jahr sind die Jungpflanzen konkurrenzschwach. Gras, Quecke und Melde machen dem Baum im Spross und in der Wurzel Konkurrenz um Wasser und Nährstoffe«, sagt Sebastian Frey.
Zwei, drei Mal mussten sie den Boden zwischen den Baumreihen per Hand hacken, erst dann waren die Bäume robust genug, dass die Maschine den Job erledigen konnte. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Die Pappeln und Robinien wachsen in akkuraten Blöcken aus Dreierreihen parallel zu den Feldgrenzen. Die kleinen Mini-Plantagen auf dem Acker dienen als Lebensraum für Kleintiere, Vögel und Insekten. Später sollen sie als Energie- und Wertholz verwertet werden: Aus den Robinien könnte mal Pfostenholz werden. Die Pappeln werden einmal Hackschnitzel für den Hühnerstall liefern, den Stickstoff aus dem Hühnerkot binden und später als Dünger wieder auf den Äckern landen.
Hoffen auf Unterstützung
Zwischen den Robinien wachsen derweil Zwiebeln, Kürbisse und Tomaten. Auch die Kohlköpfe, die unter einem schützenden, grünen Netz stecken, sehen stattlich aus. Nur zwei Kohlköpfe wurden von Feldhasen angeknabbert. Es ist ein ganzes junges Ökosystem, das sich unter dem prüfenden Blick des engagierten Landwirts entwickelt. Allerdings: Ob sich die Mühe am Ende auch finanziell auszahlen wird, bleibt abzuwarten. Die Investitionskosten sind hoch und Zuschüsse rar. Für Agroforstflächen gibt es momentan noch keine Fördergelder vom Staat, weil eine offizielle Kodierung für Agroforstflächen fehlt. Das heißt: Für die Flächen, die jetzt Agroforstflächen sind, gab es Fördergelder, solange sie noch reiner Acker waren.
Jetzt gibt es erstmal nichts mehr. »Wir haben nicht mal den Anspruch, dass wir eine Förderung für die Flächen kriegen, wir wollen nur einfach für unsere Agroforstprojekte nicht auch noch abgestraft werden«, sagt Sebastian Frey. Im Jahr 2023 soll es eine neue Verordnung geben, die auch Agroforstflächen berücksichtigt. Aber noch muss die Familie Frey vieles aus eigenen Mitteln finanzieren. Immerhin konnten sie einen lokalen Betrieb als Sponsor für das Pflanzmaterial und die Arbeitszeit der ersten zwei Jahre gewinnen. »Das war für uns eine große Motivation.« Einen kleinen Beitrag liefern auch die Baumpatenschaften, die interessierte Bürger für zwanzig Euro je Baum erwerben können.
Für Bio-Landwirt Sebastian Frey bleibt dennoch ein schales Gefühl: »Agroforstprojekte werden zwar politisch beworben, aber in der praktischen Umsetzung sind sie definitiv nicht gewollt.« »Noch nicht«, schiebt er hoffnungsvoll hinterher, »ich glaube, im nächsten Jahr ändert sich wirklich was.«
→ bauernhof-frey.de
© Fotos und Text: Kristin Kasten
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