Die Verbraucherpreise in Deutschland sind 2023 um 5,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Besonders heftig stiegen die Preise für Lebensmittel: Sie verteuerten sich sogar um 12,4 Prozent. Brot und Müsli, Milch und Eier, Süßwaren… für alles müssen wir jetzt tiefer in die Tasche greifen. Kein Wunder, dass immer mehr Haushalte schauen, dass sie preisbewusst einkaufen.
Stabile Preise in Bio-Läden
Wer Bio-Lebensmittel herstellt oder handelt, bekam das in den letzten beiden Jahren deutlich zu spüren: Während der Corona-Pandemie war Bio insgesamt auf einem Höhenflug. Kochen, Backen und Essen gehörten zu den wenigen Aktivitäten, die noch möglich waren, wo man sich etwas gönnen konnte. Davon profitierten die Bio-Läden und Bio-Märkte, die von vielen Neu-Kund:innen als Quelle für gute Lebensmittel entdeckt wurden. 2022, mit dem Ende der Pandemie und dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs die Wende: Im Bio-Fachhandel gingen die Umsätze zurück. Gefragt waren Bio-Preiseinstiegsmarken und Bio beim Discounter. Dabei zogen gerade dort, wo es Verbraucher:innen »billig« erwarten, die Preise kräftig an. So musste im Discounter im Herbst 2022 für konventionell erzeugte Möhren 60 Prozent mehr bezahlt werden als im Vorjahreszeitraum. Im Supermarkt stieg der Möhrenpreis dagegen nur um 20 Prozent. Für Bio-Möhren stiegen die Preise im Discounter um zirka 45 Prozent und im Supermarkt um 12 Prozent, wie eine Studie des Bundesverband Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) zeigte. Preis-Leistungs-Sieger: Ausgerechnet die oft als »teuer« empfundenen Bio-Läden. Dort blieb der Bio-Möhren-Preis mit einem Mini-Anstieg von nur zwei Prozent nahezu unverändert. Die Inflation der letzten beiden Jahre hat also dazu geführt, dass die Preisdifferenz zwischen Bio- und konventionellen Lebensmitteln kleiner geworden ist. Und für den Bio-Einkauf heißt das: Genau hinschauen lohnt sich. »Bio ist im Discounter nicht automatisch am billigsten und der Einkauf im Bio-Laden muss nicht teurer sein« sagt die Ernährungswissenschaftlerin und Journalistin Annette Sabersky, die sich mit dem Thema intensiv beschäftigt hat (s. Interview ab Seite 12).
Resilienz macht sich bezahlt
Erstaunliche Ergebnisse? Eigentlich nicht. Denn schließlich werden im ökologischen Landbau kein Kunstdünger und keine Pestizide eingesetzt. Diese Produkte werden aus nicht erneuerbaren Rohstoffen hergestellt, die Herstellung verschlingt enorm viel Energie — und gerade die wurde viel, viel teurer. Die oft kürzeren, regional ausgerichteten Lieferketten im Bio-Bereich reduzieren Transportwege — auch das wirkte in der Krise preisdämpfend. Und nicht zuletzt: Die Bio-Branche ist traditionell auf Beziehung und Vernetzung ausgelegt. Die Zusammenarbeit mit Lieferant:innen ist oft langjährig und damit unabhängig von kurzfristigen Marktschwankungen. »Bio ist preisstabil und wirkt als Inflationsbremse«, so das Fazit von Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbands Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), anlässlich der Vorstellung der Studie.
Die Kosten, die durch die Vergiftung der Umwelt, die Belastung des Trinkwassers, die Zerstörung der Bio-Diver- sität entstehen, stehen nicht auf dem Etikett. Wenn das Trinkwasser mit Nitraten belastet ist, bezahlen wir alle die teure Wasseraufbereitung. Wenn Böden ausgelaugt werden, wird das künftigen Generationen angelastet — die Kosten werden externalisiert.
Nachhaltigkeit als Luxus?
Wenn man schon nicht darum herumkommt, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben, könnte man angesichts dieser Tatsachen doch einfach öfter mal zu Bio greifen, oder? Dass Vorurteil, dass nachhaltige Bio-Lebensmittel viel zu teuer seien, sitzt tief – gerade Bio-Läden haben damit zu kämpfen. Und in Krisenzeiten ist es ja auch verständlich, dass auf das verzichtet wird, was als Luxus empfunden wird, das eigene Portemonnaie wichtiger ist als ein Nutzen, der vielleicht gar nicht unmittelbar erlebbar wird — schließlich schmeckt ein fair gehandelter Bio-Kaffee nicht automatisch anders als einer, der unter miserablen Bedingungen erzeugt wurde. Und, na klar, wenn allein der Preis entscheidet, dann haben konventionelle Lebensmittel aus der industriellen Landwirtschaft eindeutig die Nase vorn.
Die Preise lügen
Das Perfide daran: Diese Preise lügen stumpf, beziehungsweise sie unterschlagen Wesentliches. Denn die Kosten, die durch die Vergiftung der Umwelt, die Belastung des Trinkwassers, die Zerstörung der Bio-Diversität entstehen, stehen nicht auf dem Etikett. Wenn das Trinkwasser mit Nitraten belastet ist, bezahlen wir alle die teure Wasseraufbereitung. Wenn Böden ausgelaugt werden, wird das künftigen Generationen angelastet — die Kosten werden externalisiert. An der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm widmet sich Professor Tobias Gaugler mit seinem Team dem Projekt FOODCoST: Mit dem ökonomischen Instrument »True Cost Accounting« sollen diese externalisierten Kosten der Lebensmittelerzeugung bestimmt und gemessen werden, damit sie (zumindest theoretisch) in die Marktpreise integriert werden können.
Die Wahrheit in Zahlen fassen
Gemeinsam mit der Universität Greifswald und dem Discounter Penny realisierte das Forschungsteam im vergangenen Sommer eine Kampagne, die die ökologischen Kosten der Lebensmittelproduktion handfest sichtbar machte. Eine Woche lang wurden neun Produkte in Penny-Märkten zu ihrem »wahren Preis« verkauft, den die Forschenden zuvor berechnet hatten — und der musste tatsächlich auch an der Kasse bezahlt werden. In den Berechnungen wurden die vier Kategorien Klima, Boden, Wasser und Gesundheit berücksichtigt. Die Wahre-Kosten-Berechnungen des Teams ergaben, dass die Aufpreise in den Produktgruppen unterschiedlich hoch ausfiellen. In der Aktion waren vier Bio-Produkte (Joghurt, Maasdamer, Mozzarella und Würstchen), sowie ein Joghurt aus regionaler Produktion, Maasdamer, Mozzarella und Würstchen aus konventioneller Produktion und ein veganes Schnitzel.
Die prozentual größten Aufschläge ergaben sich für die konventionellen Produkte: Beim Maasdamer-Käse beispielsweise verdoppelte sich der »wahre« Preis nahezu, für Wiener Würstchen betrug der Aufschlag ebenfalls 88 Prozent, für Mozzarella-Käse 74 Prozent. Für Bio-Käse und Bio-Würstchen ergaben sich Aufschläge von 69 und 63 Prozent, Bio-Mozzarella wurde 49 Prozent teurer. Beim regionalen Joghurt lag der Preisaufschlag zwischen 38 und 45 Prozent, beim Bio-Joghurt noch bei 31 Prozent. Das vegane Schnitzel wurde mit einem Aufschlag von fünf Prozent kaum teurer.
In der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Stimmung ist es nicht gerade einfacher geworden, ökologische und nachhaltige Forderungen durchzusetzen. Und so gilt es, wo immer möglich, eben doch mit dem eigenen Portemonnaie Politik zu machen.
Mit True Cost Accounting Bewusstsein schaffen
Während der Untersuchung wurden insgesamt 2.255 Teilnehmer:innen unmittelbar vor und nach der Kampagne befragt sowie Verkaufszahlen analysiert. Insgesamt sanken die Verkaufszahlen der Aktionsprodukte in der Woche — jedoch nicht so stark, wie bei so großen Preisaufschlägen zu erwarten war. Auch waren Unterschiede beim Abverkauf zwischen Bio- und konventionellen Lebensmitteln zu sehen: »Sie zeigen zwar beide einen Abwärtstrend, wohingegen der Einbruch bei Bio-Produkten durchweg etwas geringer ausfällt«, erklärt Dr. Amelie Michalke von der Uni Greifswald. Zwei Drittel der Befragten bekundeten nach der Kampagnenwoche gewachsenes Bewusstsein um das Thema. Anschließend wurde jedoch der Zuspruch für eine politische Umsetzung des True Cost Accounting wieder geringer. Für die meisten Kund:innen sei ein Preisaufschlag, der die ökologischen Folgekosten der Lebensmittelproduktion abdeckt, zu teuer; jedoch helfe eine Kampagne zu den »Wahren Preisen« von Lebensmitteln maßgeblich, das Bewusstsein der Menschen dafür zu entwickeln, so die Forschenden. »Hier muss wohl noch weiter gesellschaftsfähige Bildungsarbeit geleistet werden, um aufzuzeigen, welche Produkte nachhaltiger sind als andere«, bilanziert Tobias Gaugler.
Weniger Haushaltseinkommen für Lebensmittel als 1970
14,7 Prozent des Einkommens gab ein Haushalt in Deutschland 2022 im Schnitt für Lebensmittel aus, so eine Zahl von statista.de. Und auch wenn gerade alles gefühlt teurer geworden ist: Noch 1970 waren es 25 Prozent, also ein Viertel des Einkommens, das ein Haushalt im Monat für Lebensmittel ausgab. Auch im europäischen Vergleich ist das Niveau der Lebensmittelpreise immer noch relativ niedrig.
Nicht auf Verbraucher:innen abwälzen
Unbestritten gibt es Familien, die von Bürgergeld oder kleinen Einkommen leben und bei denen das Budget wirklich knapp ist. Aber wohl jede:r hat die »Bio-ist-so-teuer«-Klage auch schon von Menschen gehört, die eindeutig nicht jeden Cent umdrehen müssen. Was tun? Nachhaltig erzeugte Lebensmittel zur Selbstverständlichkeit zu machen, das ist nicht zuletzt eine Aufgabe der Politik — dieser Wandel kann nicht allein auf die Verbraucher:innen abgewälzt werden. So schlägt der Bürgerrat »Ernährung im Wandel« in seiner Anfang des Jahres dem Bundestag übergebenen Empfehlung vor, die Mehrwertsteuer auf Bio-Obst und ‑Gemüse auf 0 Prozent zu senken — eine Aussicht auf baldige Umsetzung besteht allerdings nicht. Mehr gesellschaftliche Diskussion über die horrenden Kosten der konventionellen Lebensmittelproduktion und mehr Bewusstsein dafür, dass diese von allen bezahlt werden, auch wenn sie nicht auf dem Preisschild stehen. Mehr Druck auf die Politik, damit die Leistungen der ökologischen Lebensmittelproduktion honoriert werden — das sind Prozesse, die noch Zeit brauchen werden (obwohl die Bio-Branche schon ein halbes Jahrhundert daran arbeitet). In der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Stimmung ist es nicht gerade einfacher geworden, ökologische und nachhaltige Forderungen durchzusetzen. Und so gilt es, wo immer möglich, eben doch mit dem eigenen Portemonnaie Politik zu machen. Jeder Kassenbon ist eine Ansage, welche Ernährung, welche Landwirtschaft und welche Tierhaltung wir haben wollen. Wir können Unternehmen abstrafen, die haarscharf an Mindeststandards entlang schrammen, die auf billige industrielle Füll- und Zusatzstoffe setzen, ihre Mitarbeitenden hier und in Übersee schlecht bezahlen und die Umwelt vergiften. Das ist kein Verzicht, sondern am Ende für uns alle dauerhaft günstiger.