Fischkonsum in Deutschland: Garnelen liegen dekorativ auf Pizzen, Lachs verschwindet gemeinsam mit Spinat zwischen Lasagneplatten und fehlt in geräucherter Form bei kaum einem Brunch. Matjesbrötchen für die Großen, Fischstäbchen für die Kleinen. Wer es ein bisschen edler will, gönnt sich einen Krabbencocktail oder Pulpo-Salat.
Globaler Fischkonsum auf Allzeit-Hoch
14,3 Kilogramm Fisch hat jede:r Deutsche 2019 im Schnitt verzehrt, verrät die Statistik des wirtschaftsnahen Fischinformationszentrums (FIZ). Am größten war der Appetit auf Lachs, sein Anteil liegt bei 18,8 Prozent, dicht gefolgt vom Seelachs (17,7), der in den meisten Fischstäbchen oder überbackenen Filets steckt. Auf Platz 3 kommt schon der Thunfisch (11,4), eine beliebte Zutat bei Pizza und Pastagerichten. Hering (10) und Garnele (7,4) liegen auf den Plätzen 4 und 5. Für das Corona-Jahr 2020 rechnet das FIZ mit einem Anstieg des Pro-Kopf-Verbrauchs – ebenso vermutlich auch für 2021. Weltweit betrachtet ist der deutsche Fisch-Konsum sogar unterdurchschnittlich. Laut dem Fischereibericht der UN-Welternährungsorganisation FAO wird rund um den Globus so viel Fisch gegessen wie noch nie zuvor: Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei 20,5 Kilogramm. Besonders viel wird laut FAO in China, Südostasien, Skandinavien und Westeuropa verzehrt, nämlich mehr als 30 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Weniger als 5 Kilogramm sind es dagegen in Ost- und Zentralafrika sowie in Zentralasien.
Bald nicht mehr viel zu holen
Der weltweite Hunger auf Fisch hat für die Bewohner der Weltmeere dramatische Folgen. Der kleine Kutter, der in der Nacht aufs Meer hinausfährt und am Vormittag mit frischem Fang zurückkehrt: Eine romantische und komplett unzutreffende Vorstellung vom Fischerei-Business. Die Realität sind riesige Fangflotten, die über mehrere Wochen hinweg unterwegs sind. Ihre Grundschleppnetze durchpflügen den Meeresboden. Die tonnenweise eingeholten Fische werden direkt an Bord eingefroren, unbrauchbarer Beifang (zum Beispiel Jungfische oder Delphine) tot über Bord geworfen. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gilt ein Drittel der kommerziell genutzten Fischbestände als überfischt, weitere 58 Prozent sind maximal genutzt. Die Menge an Wildfang hat sich zwischen 1986 und 2018 »nur« von 87 auf 96 Millionen Tonnen erhöht – das Plus von immerhin neun Millionen Tonnen innerhalb von 30 Jahren gilt als moderat und als Zeichen dafür, dass nicht sehr viel mehr zu holen ist. Zu spüren bekommen das vor allem die Küstenbewohner in ärmeren Weltregionen: »Fisch ist für viele Menschen im globalen Süden ein Grundnahrungsmittel, das dort allmählich knapp wird«, weiß Francisco Marí, Experte für Fischerei und Meerespolitik bei der christlichen Hilfsorganisation Brot für die Welt. Vor allem die illegale Raubfischerei und der Einsatz verbotener Fangmethoden führten dazu, dass den lokalen Fischern nur noch wenige und zu kleine Fische in die Netze gehen.
Der kleine Kutter, der in der Nacht aufs Meer hinausfährt und am Vormittag mit frischem Fang zurückkehrt: Eine romantische und komplett unzutreffende Vorstellung vom Fischerei- Business.
Nachhaltige Fischerei: Wie verlässlich sind Siegel?
Um Meere und Fischbestände zu schützen und Standards für eine nachhaltige Fischerei aufzubauen, ist 1997 der Marine Stewardship Council (MSC) ins Leben gerufen worden – gemeinsam von der Umweltorganisation WWF und dem Nahrungsmittelkonzern Unilever. Das MSC-Logo mit dem kleinen stilisierten Fisch ist inzwischen auf vielen Fischprodukten in deutschen Supermärkten zu finden und so etwas wie der Mindeststandard für einen verantwortungsbewussten Einkauf. Doch für wie viel Nachhaltigkeit das MSC-Siegel heute noch steht, ist umstritten. Viele Expert:innen und Umweltverbände, ja sogar Gründungsmitlied WWF selbst fordern, die Zertifizierung in Bezug auf Fangmethoden und Schutzgebiete zu überarbeiten. Auf der Webseite des WWF heißt es: »MSC hat viel Gutes bewirkt, Transparenz und Bewegung in den Fischereisektor gebracht. Jetzt steht der MSC am Wendepunkt. Er muss sicherstellen, dass das Wachstum nicht zu Lasten der Qualität geht. Das Siegel ist so attraktiv, dass auch schwierige Fischereien mit größeren Umweltauswirkungen hineindrängen. Es kommt drauf an, dass MSC auch künftig streng bleibt.« Rasche Reformen seien dringend notwendig, die Gesundheit der Meere und der Arten müsse bei allen Entscheidungen über Zertifizierungen an erster Stelle stehen. Neben dem MSC-Siegel gibt es noch zwei weitere Logos für Wildfisch, an denen sich Fischliebhaber:innen orientieren können: das Siegel Naturland Wildfisch und das Label FollowFish. Naturland zertifiziert ausschließlich kleine handwerkliche Fischereien, gibt Richtlinien für die Verarbeitung vor und legt außerdem Wert auf soziale Standards. Die Zahl der Zertifizierungen ist überschaubar: Das Naturland-Wildfisch-Zeichen gibt es derzeit für Nilbarsch (auch Viktoriabarsch genannt) aus Tansania, Seelachs aus Deutschland, Scholle aus Dänemark, Kabeljau aus Island und Thunfisch von den Azoren. FollowFish setzt bei den Wildfischen hauptsächlich auf das MSC-Label. Mit einem Tracking-Code auf der Packung soll transparent gemacht werden, wo und wie der Fisch gefangen und verarbeitet wurde.
Massentierhaltung auch im Meer
Angesichts dieser Sachverhalte hört es sich doch gut an, dass etwa die Hälfte der weltweit verzehrten Fische, Schalentiere und Muscheln mittlerweile nicht mehr wild gefangen wird, sondern aus Aquakulturen stammt. Die Produktion in solchen Wassergehegen hat sich seit 1986 mehr als verfünffacht – von 15 auf 82 Millionen Tonnen. Der bei uns so beliebte Lachs beispielsweise kommt zum größten Teil aus Aquakulturen, Hauptlieferanten für den deutschen Markt sind Norwegen, Chile und Schottland. Doch leider: Die meisten konventionellen Aquakulturen sind nichts anderes als Massentierhaltung. Wie an Land auch leben die Tiere dicht an dicht. Deshalb haben Krankheiten und Parasiten leichtes Spiel, Antibiotika und Schädlingsbekämpfungsmittel werden eingesetzt, um Abhilfe zu schaffen. Auch die Fütterung ist ein Thema: Viele Unternehmen bemühen sich mittlerweile, die Ernährung der in Gefangenschaft gehaltenen Tiere von Fischmehl auf eine weitgehend pflanzliche Kost aus Soja, Getreide, Erbsen und Raps umzustellen – zum einen wegen der gestiegenen Kosten, zum anderen wegen der anhaltenden Kritik. Das verringert zwar die absurde Praxis, dass wild lebende Fische gefangen, vermahlen und dann an ihre Knast-Genossen verfüttert werden. Artgerecht ist die Ernährung mit Soja und Co. jedoch auch nicht.
Bio spielt am Markt (noch) keine Rolle
Aber Aquakultur kann auch nachhaltiger und umweltfreundlicher betrieben werden. Als einziger ökologischer Anbauverband in Deutschland vergibt Naturland in diesem Bereich sein Label, wenn bestimmte Anforderungen erfüllt sind. So sind die Besatzdichten begrenzt, Fischmehl darf nur aus Verarbeitungsresten von Speisefischen und nicht aus eigens gefangenen Fischen bestehen, Gen-Soja ist nicht erlaubt. Außerdem gibt es Vorgaben für Schlachtung und Transport sowie soziale Standards. Die beiden anderen Siegel für Fisch und Meeresfrüchte aus Aquakultur – das EU-Bio-Siegel sowie das ASC-Label (Aquaculture Stewardship Council) – sind nicht so streng. Noch spielen biozertifizierte Produkte keine große Rolle am Markt: »Innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten macht die Öko-Aquakultur etwa 5 Prozent der gesamten Aquakultur-Produktion aus«, meint Markus Fadl, Pressesprecher bei Naturland. Der Anbauverband labelt nicht nur Lachs und Muscheln aus Irland, Shrimps aus Asien und Lateinamerika, Pangasius aus Vietnam, Wolfsbarsch und Doraden aus dem Mittelmeer sowie Forellen aus Teichwirtschaft, sondern auch Makroalgen aus ökologischer Aquakultur. Traditionell werden die vor allem in Südostasien als Salat, Suppenzutat oder gedünstetes Gemüse verzehrt, aber auch in Deutschland wird das Seegemüse immer beliebter. Allerdings kommen Nori, Wakame, Dulse und andere Sorten hier hauptsächlich getrocknet auf den Markt.
Aquakulturen wären nicht notwendig, wenn wir nachhaltig und pfleglich mit den Weltmeeren und ihrer tierischen Bevölkerung umgingen.
Meerestiere auf dem Land
Bislang keine Chance auf ein Bio-Siegel haben Fische und Garnelen aus geschlossenen Kreislaufsystemen an Land, wo die Tiere in Becken oder Tanks gezogen werden – obwohl es durchaus ökologische Vorteile gibt. Bei herkömmlicher Aquakultur sind die Gewässer um die großen Fischkäfige häufig durch den Kot und die intensive Fütterung überdüngt, bei geschlossenen Systemen wird das Wasser aufbereitet. Und die Transportwege sind kurz: Inzwischen gibt es sogar schon frische Garnelen aus deutscher Zucht. »Aber Naturnähe, wie es der Verbraucher von einem Bio-Siegel erwartet, ist hier natürlich kein Thema«, sagt Annabel Schuhn von der Fachabteilung Aquakultur und Fischerei bei Naturland. Sie hält aber weitere Überlegungen für eine Zertifizierung nicht für ausgeschlossen, falls sich diese Art der Fischaufzucht durchsetzen sollte. Noch aber gebe es nur wenige Erfahrungen, ob und wie sich solche Anlagen überhaupt wirtschaftlich rechnen: »Es ist ganz schwierig, erfolgreiche Modelle zu finden. Die Tiere wachsen nicht so schnell wie gedacht, die Erträge bleiben zurück, die Preise sind entsprechend hoch.«
Luxus statt alltäglich
Aquakulturen wären nicht notwendig, wenn wir nachhaltig und pfleglich mit den Weltmeeren und ihrer tierischen Bevölkerung umgingen. Doch die sind nicht nur geplündert, sondern auch vermüllt. Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) landen jedes Jahr mehr als 8 Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen. Bleibt es bei unserer Gewohnheit, Plastikflaschen, ‑tüten und ‑becher nach einmaligem Gebrauch wegzuwerfen, sei es möglich, dass es im Jahr 2050 mehr Plastik als Fische in den Meeren gebe, so die UNEP. Schon heute finden sich die zu Mikroplastik zerriebenen Kunststoffpartikel im Fisch: Bei einer Stichprobenuntersuchung wies Greenpeace im Dezember 2019 Mikroplastik in zwei von drei Heringen, sechs von zehn Austern und acht von 20 Miesmuscheln nach. Vielleicht vergeht uns angesichts solcher Ergebnisse der Appetit auf Fisch bald ganz von selbst. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn wir das Essen von Fisch und anderen Meeresfrüchten wieder als Luxus betrachten würden. Als Delikatesse, die nur selten auf den Tisch kommt. Und dann – wie das Stück Bio-Fleisch – verantwortungsbewusst ausgewählt und angemessen bezahlt wird.
Praktische Orientierung beim Einkauf geben die Fischratgeber von WWF fischratgeber.wwf.de und Greenpeace greenpeace.de — Fischratgeber als PDF.
→ Birgit Schumacher
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 91 — Sommer 2021