Grünes Sechseck auf weißem Grund, darin groß das Wort »Bio« und ein grünes Häkchen: Das ist das staatliche Bio-Siegel der Bundesrepublik, das vor 20 Jahren eingeführt wurde. Laut einer Umfrage des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik kennen es 99 Prozent der Verbraucherinnen — also fast alle. 58 Prozent der Befragten brachten dem deutschen Bio-Siegel ein »hohes« oder »sehr hohes Vertrauen« entgegen. Diesen Wert erreichte in der Umfrage kein anderes Label.
»Kein vergleichbares Kontrollsystem«
Dieses Vertrauen ist wichtig, denn wer Bio kauft, tut das meist aus Überzeugung: Um Klima, Wasser und Böden zu entlasten, Tieren Leid zu ersparen oder den eigenen Körper vor Pestiziden und kritischen Zusatzstoffen zu schützen. Ob ein Produkt wirklich erfüllt, was der Aufdruck »Bio« verspricht, das können Verbraucher:innen in der Regel nicht selbst überprüfen. Deshalb ist es gut zu wissen, dass die Bio-Branche ein engmaschiges Kontrollsystem etabliert hat: Als 1992 die EU-Öko-Verordnung in Kraft trat, nahmen auch die Öko-Kontrollstellen ihre Arbeit auf. »Es gibt in Europa kein vergleichbares Kontrollsystem für Lebensmittel«, sagt Alexander Beck, geschäftsführender Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL).
Mindestens einmal im Jahr besuchen die Öko-Kontrollstellen jeden Betrieb, der in Deutschland Bio-Produkte anbaut, verarbeitet, lagert, importiert oder verkauft. »Das ist die dichteste Kontrolle, die wir im Lebensmittelbereich kennen“, erläutert Beck und vergleicht: »Bei konventionellen Lebensmittelunternehmen findet im Schnitt einmal in vier Jahren eine Kontrolle statt.« Zum Vergleich: Laut Informationen des Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BOELW) werden die meisten konventionellen Höfe sogar nur einmal in einem Berufsleben überprüft.
Vom Saatkorn bis ins Regal
Die Bio-Branche schaffte es im Jahr 2022 dagegen auf einen Schnitt von 1,3 Kontrollen pro Betrieb. Das System umfasst die komplette Wertschöpfungskette — vom Saatgut bis zum verpackten Produkt, es ist ähnlich aufgebaut wie die Technischen Überwachungsvereine, besser bekannt als TÜV: Amtlich zugelassene Prüfinstitute, nämlich die Öko-Kontrollstellen, kontrollieren im Auftrag der Bundesrepublik, ob alle Bio-Betriebe sich an die EU-Öko-Verordnung halten. Die Kontrollstellen werden von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) zugelassen und ebenfalls regelmäßig kontrolliert, nämlich von den zuständigen Behörden der Bundesländer. Auch die Qualifikation der Mitarbeitenden ist streng geregelt: Voraussetzung ist zum Beispiel ein Abschluss in einem einschlägigen Beruf. »Darüber hinaus sind die Kontrollstellen verpflichtet, ihr Personal einmal jährlich umfassend zu schulen«, erklärt Susanne Abe, Sprecherin bei der BLE. 584 Personen sind aktuell bundesweit für die Kontrollstellen unterwegs. Sie untersuchen Bücher und Rechnungen, inspizieren Ställe, Felder und Weiden, Medikamentenschränke, Lagerhallen und Verkaufsräume. Und sie rechnen nach: Passt die Menge der eingekauften Rohstoffe zu dem, was der Betrieb produziert hat? Gibt es für alle eingekauften Waren Bio-Zertifikate? In rund fünf Prozent der Fälle nehmen sie zudem Proben. Gilt ein Unternehmen als möglicherweise besonders anfällig für Betrug, weil es zum Beispiel parallel auch konventionelle Ware verarbeitet, kann es häufiger und unangemeldet überprüft werden. 15 Prozent der Kontrollen 2022 waren Überraschungsbesuche.
Das System umfasst die komplette Wertschöpfungskette — vom Saatgut bis zum verpackten Produkt, es ist ähnlich aufgebaut wie die Technischen Überwachungsvereine, besser bekannt als TÜV.
Missbrauch konsequent verhindern
Kommt es zu Auffälligkeiten, darf sich das Unternehmen zunächst erklären. Falls Rückstände von chemisch-synthetischen Pestiziden gefunden wurden, muss das leider nicht bedeuten, dass der Hof diese ausgebracht hat. Oft ist die sogenannte Abdrift verantwortlich: Trotz Schutzvorkehrungen wehen Pestizide von einem konventionellen Feld auf den Bio-Acker. Erhärtet sich ein Verdacht jedoch, meldet die Kontrollstelle den Verstoß den zuständigen Behörden. 2022 stellten diese 1.500 Verstöße gegen die EU-Öko-Verordnung fest. In dieser Zahl sind auch Kleinigkeiten wie Schreibfehler bei der Angabe der Kontrollstelle enthalten. Die haben nämlich einen dreiteiligen Code, der sich meist direkt unter dem Siegel findet. So kann man erkennen, welche Kontrollstelle den Betrieb überprüft. Er beginnt mit dem Kürzel des Landes, in dem die Kontrollstelle ihren Sitz hat — also zum Beispiel »DE« für Deutschland. Es folgen die Worte »BIO« oder »ÖKO« in der jeweiligen Landessprache und die dreistellige Kennzahl der Kontrollstelle.
In Brandenburg fiel den Kontrolleur:innen auf, dass ein Betrieb bei der Angabe des Kontrollstellencodes »OEKO« statt »ÖKO« geschrieben hatte. In einem solchen Fall gibt es keine Sanktionen, trotzdem muss der Fehler innerhalb einer Frist behoben werden. In einem anderen Fall durfte ein Betrieb Ware nicht als »ökologisch« vermarkten, weil die Anlage nach der Verarbeitung konventioneller Rohstoffe nicht ausreichend gereinigt worden war. Lediglich in 13 Fällen führten Mängel 2022 zu einer vorübergehenden Aussetzung des Bio-Zertifikats — in sieben Fällen zu einem kompletten Entzug.
98 Prozent der Kontrollen ohne Mängel
»Das System funktioniert hervorragend, wenn es um die Aufdeckung von Fehlern geht«, resümiert Alexander Beck von der AöL. Leider gebe es — wie überall — auch wenige Fälle, in denen Menschen vorsätzlich Dinge täten, die nicht in Ordnung seien. »Die suchen gezielt nach den Schwachstellen im System.« Umso wichtiger findet er, dass das Kontrollverfahren stetig weiterentwickelt wird. So regele die EU-Öko-Verordnung seit 2022 sehr viel konkreter als bisher, welche Betriebe als risikoreich gelten — und daher strenger und öfter kontrolliert werden dürfen.
Die überwiegende Mehrheit der Betriebe hält sich jedoch an die Regeln: In 98 Prozent der Fälle hatten die Kontrollstellen 2022 nichts auszusetzen und stellten das Bio-Zertifikat für ein weiteres Jahr aus. Nur mit diesem Zertifikat darf ein Betrieb seine Waren als »biologisch« oder »ökologisch« vermarkten. Anders als Bezeichnungen wie »naturnah«, »nachhaltig« oder »aus kontrolliertem Anbau« sind diese Begriffe gesetzlich geschützt. Genauso wie die Synonyme »Bio«, »Öko«, »kontrolliert biologisch« und »kontrolliert ökologisch« dürfen sie nur benutzt werden, wenn ein Produkt der EU-Öko-Verordnung entspricht und eine Öko-Kontrollstelle das bestätigt hat.
Zwei Bio-Siegel, eine Bedeutung
Gleiches gilt für das deutsche Bio-Siegel — das grüne Sechseck auf weißem Grund, das streng genommen veraltet ist. 2012 wurde es offiziell vom EU-Bio-Logo abgelöst: einem stilisierten Blatt aus zwölf weißen Sternchen auf grünem Grund. Für verpackte Bio-Ware ist dieses Symbol in der EU verpflichtend. Das staatliche Logo darf in Deutschland zusätzlich genutzt werden, weil es nach wie vor mehr Menschen kennen. Wer lose Bio-Ware herstellt oder verkauft — also zum Beispiel Obst oder Gemüse — oder Bio-Lebensmittel in die EU importiert, darf die beiden Siegel ebenfalls nutzen, ist aber nicht dazu verpflichtet. Auch hier gilt allerdings: Wer mit den Labeln werben will, muss sich bei einer der derzeit 19 Kontrollstellen anmelden.
Sowohl das Blatt als auch das Sechseck garantieren, dass ein Produkt zu mindestens 95 Prozent aus ökologischen Zutaten besteht.
Bio-Siegel steht für ganzheitliche Qualität
In Deutschland traf das 2022 auf über 57.000 Unternehmen zu. Etwa 7.000 von ihnen nutzen zusätzlich das nationale Bio-Siegel. Sowohl das Blatt als auch das Sechseck garantieren, dass ein Produkt zu mindestens 95 Prozent aus ökologischen Zutaten besteht. Sie wurden ohne chemisch-synthetische Pestizide, mineralischen Dünger und Gentechnik erzeugt. Tiere aus ökologischer Haltung haben mehr Platz und Auslauf als ihre konventionellen Artgenossen. Sie dürfen nicht vorsorglich mit Antibiotika behandelt oder mit Leistungsförderern gefüttert werden. Stattdessen bekommen sie Bio-Futter, das zu einem gewissen Teil aus der Region kommt. Das Stutzen von Schnäbeln und andere brutale Praktiken sind tabu. Außerdem darf ein Bio-Hof nur so viele Tiere halten, wie seine Flächen verkraften. Im Ackerbau erhalten vielfältige Fruchtfolgen den Humus im Boden oder bauen ihn sogar auf. Weil das organische Material CO2 speichert, schützt das auch das Klima.
Auch Demeter, Naturland und Co. werden kontrolliert
Trägt ein Produkt zusätzlich zum EU-Bio-Logo ein Siegel von einem Anbauverband, erfüllt es sogar noch höhere Anforderungen: Zum Beispiel verlangen Bioland, Biokreis, Naturland, Demeter und Co., dass das komplette Unternehmen auf Bio umgestellt wird — und nicht nur ein Teil. Sie lassen noch weniger Zusatzstoffe als die EU-Öko-Verordnung zu, beschränken die zulässige Distanz für Tiertransporte und haben strengere Regeln für Düngemittel. Ob ein Betrieb die Anforderungen eines Anbauverbands erfüllt, überprüfen ebenfalls die Öko-Kontrollstellen.
Verlässlichkeit für alle
Für die Betriebe bedeutet die Öko-Kontrolle einen enormen Aufwand: Bei großen Unternehmen könne die Überprüfung auch mal eine Woche dauern, erklärt Martin Rombach vom Bundesverband der Kontrollstellen. Die Kosten lägen »je nach Aufwand und Betriebsstruktur meist im drei- bis unteren vierstelligen Bereich, können aber bis in den unteren fünfstelligen Bereich gehen«. Gerade kleine Betriebe scheuen mit Blick auf diese Zahlen womöglich eine Zertifizierung — obwohl sie vielleicht sogar nach Bio-Standards wirtschaften. Den Kund:innen bleibt dann nichts anderes übrig, als sich auf das Wort der Gärtnerin oder des Verkäufers zu verlassen. Doch können diese wirklich überblicken, woher ihre Waren kommen und wie sie hergestellt wurden? Kann eine kleine Kaffeemanufaktur einmal im Jahr jemanden nach Südamerika schicken, um sicherzustellen, dass der Kaffee ohne Pestizide wächst?
Insbesondere vor diesem Hintergrund begrüßt AöL-Vorstand Alexander Beck die neue EU-Öko-Verordnung. Sie erlaubt, dass kleine, risikoarme Betriebe — etwa eine Mutterkuhhaltung — nur noch alle zwei Jahre physisch kontrolliert werden. »Dazwischen überprüfen die Öko-Kontrollstellen weiterhin die Bücher und wichtige Dokumente«, erklärt Beck. Er hofft, dass das den Weg dafür ebnet, dass sich noch mehr Betriebe für eine Zertifizierung entscheiden. Denn die mag zwar aufwändig sein, aber sie sei den Einsatz wert: Ob für die Landwirt:innen, die Bäckerei, den Bio-Laden — und natürlich die Verbraucher:innen.
Leseempfehlung: Biozyklisch-vegane Landwirtschaft — ein Bio-Landwirt zeigt wie es geht. → Gülle war gestern
→ Theresa Horbach