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Weide, Labor oder 3D-Drucker

Wei­de, Labor oder 3D-Dru­cker
Das Fleisch der Zukunft

Eine nachhaltige und zukunftsfähige Ernährung kommt auf jeden Fall mit deutlich weniger Fleisch aus, da sind sich alle einig. Was stattdessen in Zukunft auf unseren Tellern landen und uns mit wichtigen Proteinen versorgen soll, darüber gibt es aber jede Menge unterschiedlichster Visionen, Ideen und Experimente. Einiges erinnert an Science Fiction-Filme, nicht alles klingt appetitlich.
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Die Trink­mahl­zeit lie­fert alles, was der Kör­per braucht. Vit­ami­ne, Mine­ra­li­en, Pro­te­ine und gesun­de Fet­te ste­cken in dem Shake. Ein­fach das Pul­ver mor­gens und mit­tags mit je einem hal­ben Liter Was­ser mixen und schon ist der Tages­be­darf an 42 lebens­not­wen­di­gen Nähr­stof­fen gedeckt. »Der ein­fachs­te und nach­hal­tigs­te Weg, sich gesund zu ernäh­ren«, fin­det das Bre­mer Unter­neh­men Nuti­on, das die Drinks her­stellt und ver­treibt. Vegan, kli­ma­neu­tral, die Zuta­ten aus öko­lo­gi­schem Anbau. Das Pro­dukt ver­ei­ne »Nach­hal­tig­keit, Gesund­heit und Kom­fort auf höchs­tem Niveau«, heißt es nicht ganz unbe­schei­den auf der Webseite.

 

Mit Insek­ten­bur­ger die Welt retten?

 

Immer­hin besteht nicht der Anspruch, das nor­ma­le Essen durch die Shakes kom­plett zu erset­zen. Abends sei die Zeit, in Ruhe zu kochen oder essen zu gehen. Wie wäre es dann mit einem Beat Bur­ger? Ein Drit­tel des Bur­gers besteht aus gemah­le­nen Buf­fa­lo-Insek­ten, auch bekannt als Lar­ven des Getrei­de­schim­mel­kä­fers. Die jun­ge Osna­brü­cker Fir­ma Bug­foun­da­ti­on hat das Pro­dukt 2018 zum ers­ten Mal in einem deut­schen Super­markt ver­kauft. Mitt­ler­wei­le wur­de nicht nur Soja als eine der Haupt­zu­ta­ten durch Erb­sen­pro­te­in ersetzt, auch der Name hat sich geän­dert: Aus dem Insek­ten­bur­ger wur­de erst der Bux-Bur­ger und schließ­lich der Beat Bur­ger. Klingt nach Meat, ist es aber nicht. Jeden­falls nicht so rich­tig, denn Insek­ten sind ja schließ­lich auch kei­ne Pflan­zen. Anders als Rin­der, Schwei­ne oder Hüh­ner brau­chen die pro­te­in­rei­chen Krabb­ler, die in den Nie­der­lan­den in gro­ßen Stück­zah­len, aber angeb­lich art­ge­recht gezüch­tet wer­den, nur wenig Flä­che und Was­ser: alles Plus­punk­te in der Nach­hal­tig­keits­bi­lanz. »Ein köst­li­cher Bei­trag zur Ret­tung der Welt«, fin­det das Unternehmen.

 

Labor­fleisch – gro­ßes The­ma, wenig Resultate

 

Eine Ernäh­rungs­re­vo­lu­ti­on haben auch die­je­ni­gen im Sinn, die sich seit vie­len Jah­ren damit befas­sen, Fleisch im Labor bzw. irgend­wann ein­mal in gro­ßen Bio­re­ak­to­ren wach­sen zu las­sen – aus Stamm­zel­len, die einem leben­den Tier ent­nom­men und dann mit einer Nähr­lö­sung gefüt­tert wer­den. Das so ent­ste­hen­de Gewe­be wird je nach Stand­punkt ent­we­der In-Vitro-Fleisch oder aber Cul­tu­red oder Clean Meat genannt. Befürworter:innen sehen die­se Bio­tech­no­lo­gie vor allem als Lösung der gigan­ti­schen Pro­ble­me, die die indus­tri­el­le Tier­hal­tung ver­ur­sacht. Noch ist das aber nicht sehr viel mehr als fer­ne Zukunfts­mu­sik. »Im Moment gibt es kei­ne Anzei­chen dafür, dass das In-Vitro-Fleisch bald im gro­ßen Maß­stab her­ge­stellt wird – auch wenn es in man­chen Wer­be­vi­de­os auf You­Tube so aus­sieht, als wenn Enten­brust und Hähn­chen­schnit­zel schon auf dem Markt sind«, sagt Sil­via Woll, Tech­nik­phi­lo­so­phin vom Karls­ru­her Insti­tut für Tech­no­lo­gie, die die Ent­wick­lung seit vie­len Jah­ren beob­ach­tet. Immer­hin hat Sin­ga­pur als welt­weit ers­tes Land im Dezem­ber 2020 Cul­tu­red Meat zum Ver­zehr frei­ge­ge­ben. Klingt nach Durch­bruch, aber die Hähn­chen-Nug­gets aus dem Labor wer­den dort bis­lang nur in einem ein­zi­gen exklu­si­ven Club ser­viert. »Und auch das ist kein rei­nes In-Vitro-Fleisch, son­dern mit pflanz­li­chen Stof­fen gemischt«, weiß Woll.

 

Lachs aus dem 3D-Drucker

 

Der 3D-Dru­cker soll eben­falls gute Diens­te leis­ten, wenn es dar­um geht, Fleisch oder Fisch zu imi­tie­ren. Das israe­li­sche Start-up Rede­fi­ne Meat will die Maschi­ne mit pflanz­li­chen Roh­stof­fen füt­tern und so Hack­fleisch, Bur­ger, Würst­chen und Kebab pro­du­zie­ren. Rezep­te gibt es auf der Web­sei­te schon mal. Aber die Pro­duk­te, die laut fir­men­ei­ge­ner Ankün­di­gung schon in der ers­ten Jah­res­hälf­te 2021 in deut­schen Restau­rants und Läden erhält­lich sein soll­ten, las­sen auf sich war­ten. »Bald zum Ver­kauf bereit« ist angeb­lich auch der pflanz­li­che Räu­cher­lachs aus dem 3D-Dru­cker, mit dem sich das jun­ge Wie­ner Unter­neh­men Revo Foods befasst – her­ge­stellt aus Erb­sen­pro­te­in, Algen­ex­trakt, Pflan­zen­ölen und Bal­last­stof­fen aus der Zitrone.

 

 

Das Fleisch der Zukunft – Gabel mit Maden

 

Mit einer pflanz­lich aus­ge­rich­te­ten Voll­wert­kü­che, wie sie die Bio-Bewe­gung in ihren Anfangs­ta­gen pro­pa­gier­te, hat der neue Veg­gie-Trend nur noch wenig zu tun. Denn para­do­xer­wei­se wol­len vie­le der Ersatz­pro­duk­te die ech­ten Schnit­zel, Würs­te und Bou­let­ten imi­tie­ren. Gefragt ist mög­lichst viel Ähn­lich­keit bei Geschmack, Tex­tur und Biss.

 

Ernäh­rung verändern

 

Ob schon Rea­li­tät oder noch Zukunfts­mu­sik: Start-ups und For­schungs­vor­ha­ben, die sich mit Alter­na­ti­ven zu Fleisch und tie­ri­schen Pro­duk­ten beschäf­ti­gen, schie­ßen der­zeit wie Pil­ze aus dem Boden. Und kaum jemand wird bestrei­ten, dass wir unse­re Ernäh­rung ändern müs­sen, wenn wir unse­ren Pla­ne­ten und uns selbst gesund hal­ten wol­len. Laut der neu­en Stu­die »Die Zukunft liegt auf unse­rem Tel­ler« des WWF ver­ur­sacht der bun­des­deut­sche Ver­brauch von tie­ri­schen Lebens­mit­teln wie Fleisch, Wurst und Käse rund 70 Pro­zent der ernäh­rungs­be­ding­ten Treib­haus­gas­emis­sio­nen. Weni­ger Fleisch ist also gut fürs Kli­ma. Weni­ger Fleisch, Milch und Käse bedeu­tet auch weni­ger Mas­sen­tier­hal­tung, weni­ger Tier­leid. Weni­ger Tie­re brau­chen weni­ger Vieh­fut­ter – und die frei wer­den­den Anbau­flä­chen könn­ten dafür genutzt wer­den, die wach­sen­de Welt­be­völ­ke­rung mit pflanz­li­chen Lebens­mit­teln zu ernähren.

 

Weni­ger Fleisch, neue Märkte

 

Vie­le Men­schen haben ihren Spei­se­plan schon ganz oder teil­wei­se umge­stellt, essen sel­te­ner Fleisch, wei­chen auf pflanz­li­che Drinks und Auf­stri­che aus, legen auch mal Tofu­würst­chen statt Nacken­steak auf den Grill­rost. Die Aus­wahl an vege­ta­ri­schen und vega­nen Alter­na­ti­ven wird immer grö­ßer und viel­fäl­ti­ger. Im Jahr 2020, so ver­mel­de­te das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt, pro­du­zier­ten die Unter­neh­men hier­zu­lan­de knapp 39 Pro­zent mehr Flei­scher­satz­pro­duk­te als im Vor­jahr, ins­ge­samt gut 83.700 Ton­nen im Wert von 374,9 Mil­lio­nen Euro.

 

Ver­gli­chen mit dem Wert von Fleisch und Fleisch­erzeug­nis­sen, ist das immer noch ver­hält­nis­mä­ßig wenig – der lag im Jahr 2020 bei 38,6 Mil­li­ar­den Euro, also etwa hun­dert­mal so viel. Aber es ist ein wach­sen­der Markt, der zuneh­mend wirt­schaft­lich inter­es­sant wird. Vor allem mit Blick auf die Zukunft: Wie eine Umfra­ge der Böll-Stif­tung für den aktu­el­len Flei­sch­at­las 2021 zeigt, ist der Ver­zicht auf Fleisch und tie­ri­sche Pro­duk­te beson­ders bei jun­gen Men­schen zwi­schen 15 und 29 Jah­ren ein The­ma. Knapp 13 Pro­zent von ihnen ernäh­ren sich vege­ta­risch oder vegan, rund dop­pelt so vie­le wie in der Gesamt­be­völ­ke­rung. Rund 25 Pro­zent essen nur manch­mal Fleisch. Und 44 Pro­zent der Befrag­ten wol­len künf­tig ihren Fleisch­kon­sum redu­zie­ren. Kein Wun­der also, dass nicht nur klei­ne Start-ups ihre Chan­ce wit­tern, son­dern auch vie­le inter­na­tio­na­le Fir­men neue Absatz­märk­te sehen und in For­schung, Fabri­ken und Anla­gen inves­tie­ren. Die Ent­wick­lung geht der­art rasant, dass es schon Befürch­tun­gen gibt, alter­na­ti­ve Pro­te­ine und pflanz­li­che Roh­stof­fe wür­den in zwei bis drei Jah­ren knapp.

 

Auf Kos­ten der Natürlichkeit

 

Mit einer pflanz­lich aus­ge­rich­te­ten Voll­wert­kü­che, wie sie die Bio-Bewe­gung in ihren Anfangs­ta­gen pro­pa­gier­te, hat der neue Veg­gie-Trend nur noch wenig zu tun. Denn para­do­xer­wei­se wol­len vie­le der Ersatz­pro­duk­te die ech­ten Schnit­zel, Würs­te und Bou­let­ten imi­tie­ren. Gefragt ist mög­lichst viel Ähn­lich­keit bei Geschmack, Tex­tur und Biss. Ob der Bur­ger aus pflanz­li­cher Mas­se oder aus Rin­der­hack besteht, soll optisch und sen­so­risch am bes­ten nicht zu unter­schei­den sein. Rote-Bete-Saft lässt den Nach­bau sogar ein biss­chen blu­tig wir­ken. Der Begriff »pflanz­li­ches Fleisch« wird in Sze­ne­krei­sen schon wie selbst­ver­ständ­lich genutzt.

 

Ener­gie­bi­lanz nicht viel besser

 

Geht es nur ohne Fleisch, wenn es täu­schend ähn­lich aus­se­hen­de und schme­cken­de Ersatz­pro­duk­te gibt? Und war­um hän­gen wir so am Fleisch, dass wir unse­re Hoff­nun­gen auf tech­no­lo­gi­sche Lösun­gen set­zen – sei es auf das In-Vitro-Fleisch oder auf den 3D-Dru­cker? »Die Gier nach Fleisch scheint im Men­schen ver­an­kert zu sein, ähn­lich wie die Lust auf Zucker«, glaubt Tech­nik­phi­lo­so­phin Sil­via Woll. Hin­zu kommt die Fas­zi­na­ti­on von tech­no­lo­gisch Mach­ba­rem, die ja auch ent­spre­chend ver­mark­tet wer­de. »In-Vitro-Fleisch bei­spiels­wei­se wird ja oft als die ein­zi­ge Lösung dar­ge­stellt, um die Welt­ernäh­rung zu sichern.« Argu­men­tiert wer­de dabei oft damit, dass für die Kalo­rien aus einem Kilo Rind­fleisch sie­ben­mal so viel an Pflan­zen an die Kuh ver­füt­tert wer­de. Bei Schwei­nen ist das Ver­hält­nis 1:5, bei Hüh­nern 1:2. »Doch auch in Labor­fleisch muss immer mehr Ener­gie hin­ein­ge­steckt wer­den als wir her­aus­be­kom­men, das Ver­hält­nis liegt hier eben­falls bei 1:2.«

 

Das Fleisch der Zukunft – Burger mit GemüseWeni­ger Fleisch und Wurst, Milch, Käse und Eier, dafür mehr Gemü­se, Getrei­de, Hül­sen­früch­te, Nüs­se und Saa­ten. Damit wäre schon viel gewon­nen. Tie­re könn­ten art­ge­recht gehal­ten wer­den, Kühe Gras fres­sen statt extra ange­bau­tes Hochleistungsfutter.

 

Ein­fach mehr Pflan­zen essen

 

Nicht nur Woll ist der Mei­nung, dass es das Bes­te für das Kli­ma, die Umwelt und das Tier­wohl wäre, wenn wir uns ein­fach ein wenig beschnei­den wür­den: »Reduk­ti­on wäre die Lösung.« Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten umstel­len statt nach Ersatz zu suchen: weni­ger Fleisch und Wurst, Milch, Käse und Eier, dafür mehr Gemü­se, Getrei­de, Hül­sen­früch­te, Nüs­se und Saa­ten. Damit wäre schon viel gewon­nen. Tie­re könn­ten art­ge­recht gehal­ten wer­den, Kühe Gras fres­sen statt extra ange­bau­tes Hoch­leis­tungs­fut­ter. Sich selbst aus Gemü­se- und Kar­tof­fel­ras­peln, einem Ei, Hafer­flo­cken, Kräu­tern und Gewür­zen Puf­fer zu bra­ten und nicht einen »Wie-Fleisch-Bur­ger« in die Pfan­ne zu geben, wäre ver­mut­lich auch gesün­der. Denn die beque­men Alter­na­ti­ven sind häu­fig sehr stark ver­ar­bei­tet. Die pflanz­li­chen Eiwei­ße, die das für den Kör­per so wich­ti­ge und im Fleisch so reich­lich vor­han­de­ne Pro­te­in erset­zen, müs­sen näm­lich extrem stark ver­än­dert wer­den, damit eine flei­sch­ähn­li­che Tex­tur ent­steht. Neben Gewür­zen und Salz sor­gen dann noch Aro­ma­stof­fe für den gewünsch­ten Geschmack. Natür­lich geht anders, pflanz­lich eigent­lich auch. Befürch­tet wird außer­dem ein Anstieg der Lebens­mit­tel­all­er­gien, weil in vie­len hoch ver­ar­bei­te­ten Veg­gie-Pro­duk­ten Pro­te­in­iso­la­te und ‑kon­zen­tra­te ste­cken – oft aus Erb­sen, sel­te­ner aus Soja oder Wei­zen. »Das neue All­er­gen wird die Erb­se«, pro­phe­zei­te die Ernäh­rungs­be­ra­te­rin Chris­tia­ne Schä­fer in einem Vor­trag für den Deut­schen All­er­gie- und Asth­ma­bund. Die hohen Pro­te­in­men­gen sei­en »prä­de­sti­niert für das Aus­lö­sen einer Allergie«.

 

Kon­zer­ne spie­len mit

 

Sel­ten the­ma­ti­siert wird bei der Dis­kus­si­on um eine umwelt- und kli­ma­freund­li­che Ernäh­rung, wel­che Kon­zer­ne hin­ter den Kulis­sen mit­mi­schen. Auf den Zug sind aber inzwi­schen auch sol­che Fir­men auf­ge­sprun­gen, die bis­lang nicht unbe­dingt posi­tiv in Sachen Tier- oder Kli­ma­schutz auf­ge­fal­len sind. Wie Nest­lé: Das Unter­neh­men fei­er­te im Novem­ber 2020 immer­hin den Ver­kauf von 20 Mil­lio­nen vega­nen Bur­ger­pat­tys in Deutsch­land. Oder die Fir­ma Wie­sen­hof, die sonst eher für Mast­hähn­chen­pro­duk­te bekannt ist, inzwi­schen aber auch Veg­gie-Brat­würs­te, Nug­gets und Fri­ka­del­len anbie­tet. Die Fra­ge, ob die Zuta­ten aus öko­lo­gi­schem Anbau stam­men, erüb­rigt sich.

 

→ Bir­git Schumacher

 

Die­ser Bei­trag erschien in Aus­ga­be 92 — Herbst 2021

 

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