Kurz vor der Grenze zu Tschechien, am Übergang vom Osterzgebirge zur Sächsischen Schweiz, wachsen die Bio-Weihnachtsbäume von Ingo Mette. Eine der Anbauflächen des 45-jährigen Försters liegt in dem sächsischen Ort Gersdorf. Der Mann in grüner Arbeitshose, brauner Jacke und grau meliertem Bart biegt mit seinem Geländewagen auf einen kleinen Feldweg ab und hält an einer baumbewachsenen Wiese an. Ingo Mette zeigt auf zwei große Holztische, die geschützt in einer kleinen Senke stehen, »das ist unsere Baumschule«.
Hinweisschilder gibt es nicht. Die rund 2.000 zukünftigen Weihnachtsbäume dürfen in ihren kleinen schwarzen Pflanzkästen in Ruhe wachsen. »In Deutschland gibt es nur zwei Bio-Baumschulen, die Jungpflanzen in Bio-Qualität verkaufen. Daher versuchen wir jetzt selber, Pflanzen anzuziehen«, sagt Ingo Mette. Die Jungpflanzen hier sind vor allem Nordmanntannen, die von den Kunden am stärksten gefragt sind, aber auch ein paar Blaufichten. In der »Baumschule« wachsen die Bäume drei bis vier Jahre lang. Erst dann sind sie stabil und verwurzelt genug, um auf die große Anbaufläche rausgepflanzt zu werden, die nur eine kurze Autofahrt entfernt liegt.
»Am Anfang wurden wir belächelt«
Auf einem Hügel über der Baumschule versperrt ein Metalltor die Durchfahrt. Ingo Mette steigt aus, schließt das Schloss auf und öffnet das Tor. Das sechs Hektar große Gelände war einst ein Wildgatter, die Heimat von Hirschen und Muffelwild, bis Ingo Mette es 2006 kaufte. »Das Gelände ist für uns perfekt, weil es komplett umzäunt und wilddicht ist«, sagt der gebürtige Niedersachse, der vor vielen Jahren in die Heimat seiner Frau gezogen ist. Jedes Jahr hat er einen Hektar aufgeforstet – 5.000 Bäume jährlich. Zunächst wuchsen konventionelle Bäume auf seinem Grund, heute sind hier alle Bäume biozertifiziert.
»Wir haben den Betrieb im Jahr 2015 auf zertifizierten Ökolandbau umgestellt«, sagt Ingo Mette, »das bedeutet, dass wir die gesamte Kette vom Samenkorn bis zum fertigen Weihnachtsbaum in Bio machen.« Am Anfang sei die Skepsis groß gewesen. »Wir wurden belächelt«, erzählt Ingo Mette, »den Baum kann man doch nicht essen, war das Kernargument von vielen.« Damit hätten die Menschen per se nicht Unrecht. »Aber die positiven Effekte des Ökolandbaus wirken natürlich auch beim Anbau von Weihnachtsbäumen. Wir schützen das Grundwasser, unsere Böden und die Artenvielfalt. Damit ist doch alles gesagt.«
Tannenbaum Anbau: Schäden durch Hitzejahre
Reihe um Reihe wachsen die Weihnachtsbäume auf sanften Hügeln. In der Ferne kann man den Dresdener Fernsehturm und die Kuppel der Frauenkirche sehen – ein traumhafter Arbeitsplatz. Ingo Mette lacht: »Nicht bei Regen und eisigem Wind im November.« Acht bis zehn Jahre stehen die Bäume hier, bis sie die perfekte Größe erreicht haben und pünktlich zum Fest geschlagen werden. Das Gelände bietet Platz für 30.000 Bäume.
Doch nicht alle Plätze sind belegt. Nur etwa 60 bis 70 Prozent schaffen es und stehen am Ende als Weihnachtsbäume in der Stube. Neben Hagel und Frostschäden sorgen vor allem fehlende Niederschläge für Ausfälle. »Bei den Jungpflanzen hatten wir in den vergangenen Jahren riesige Schäden durch die Trockenheit. Allein am Gewicht haben wir gemerkt, dass die Wasserversorgung alles andere als optimal war.« Das wasserreiche Jahr 2021 hat den Bäumen gut getan. »Jetzt haben wir wieder Wasser in den Oberböden drin.« Er greift sich einen Zweig und zeigt die prallen Knospen. »Die sehen ordentlich vital aus, so wie wir es von früher kennen.«
Läuse bedrohen Tannen und Fichten
Und dann sind da noch die Läuse. In konventionellen Betrieben werden sie mit hocheffektiven Pflanzenschutzmitteln ausgetrieben. »Aber diese bergen auch große Gefahren für Mensch und Tier«, sagt Ingo Mette. Auf seinen Flächen setzt er weder chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel noch chemische Düngemittel ein. »Das sind die wesentlichen Parameter, die uns vom konventionellen Anbau unterscheiden.« Es gibt eine Betriebsmittelliste für den ökologischen Landbau in Deutschland. An diese sogenannte FiBL-Liste hält sich auch Ingo Mette. »Die zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass sie im Vergleich zu den konventionellen Mitteln wenig Wirksamkeit haben«, sagt er und zieht die Schultern hilflos hoch. »Es gab schon Jahre, da haben wir die ganze Bandbreite der in der FiBL-Liste aufgestellten Produkte nutzen müssen.« Nicht immer mit Erfolg.
Vor allem mit der Tannentrieb- und der Sitkafichtenlaus haben die Bäume zu kämpfen. »Die Bäume, die am stärksten befallen waren, mussten wir rausnehmen und verbrennen.« Vor der Bio-Zertifizierung hätte er sie spritzen und retten können. Das Betriebsrisiko sei insgesamt viel höher als im konventionellen Anbau. Warum er sich trotzdem für den Bio-Anbau entschieden hat? »Aus Grundüberzeugung. Ich möchte weder meinen Kunden, noch meinen Mitarbeitern oder mir selbst den Umgang mit synthetisch hergestellten Pflanzenschutzmitteln zumuten. Das ist einfach nicht meine Philosophie.«
Individueller Tannenbaum – »Wir wollen keine uniformen Bäume«
Doch obwohl er viel Erfahrung hat, ist der Anbau von Weihnachtsbäumen ein Lernprozess – gerade in Zeiten, in denen der Klimawandel das Wetter beeinflusst. »Früher haben wir ein Feld abgeerntet, komplett gemulcht und gefräst. Und dann ein Jahr eine Zwischenfrucht wachsen lassen.« Klee, Leguminosen und Senf, damit sich der Boden erholen kann. »Aber in den Trockenjahren hatten wir das Problem, das kein Schatten und kein Windschutz auf der Fläche ist, deswegen lassen wir jetzt Streifen mit alten, unverkäuflichen Bäume stehen, räumen die Reihen dazwischen auf und pflanzen die kleinen Bäume dazwischen.«
Ingo Mette streift mit seinen zwei Hunden Chili und Bella durch die Baumreihen. Erste Bäume wurden von Händlern bereits etikettiert, tragen verschiedenfarbige Bänder. Darunter sind auch Bäume mit zwei Spitzen oder solche, die auf einer Seite etwas kahler sind als auf der anderen. Auch im Bio-Anbau werden Bäume mit groben Fehlern in Formschnitt gebracht. Der konventionelle Anbau arbeite hingegen oft mit Wachstumshemmern, die das Herauswachsen der Spitze verlangsamen und für einen kompakten Wuchs sorgen. Das hat Ingo Mette noch nie gemacht. »Wir sind nicht darauf aus, dass alle Bäume wie aus einem Guss aussehen, sondern setzen auf Individualität und lassen der Natur auch an dieser Stelle Freiraum.«
Artenreiches Ökosystem
Wenn man auf seine Flächen schaut, sieht man deutliche Unterschiede zu konventionellen Weihnachtsbaum-Plantagen. »Wir haben Bienenwiesen auf den Zwischenfruchtflächen, Blühstreifen entlang der Arbeitsgassen und überall dort, wo keine Bäume gepflanzt werden.« Eidechsen, Schlangen und eine reichhaltige Vogelwelt haben hier ein Zuhause gefunden. Ebenso zwölf Shropshire-Schafe, die sich um den sogenannten Begleitwuchs kümmern und Gräser, Kräuter und Klee in Schach halten. Die Schafe mit ihrer weißen dichten Wolle gelten als »kultursicher«, das heißt, sie gehen weder an die Blaufichten noch an die Nordmanntannen. Dafür lieben sie die Salzlecksteine, die Ingo Mette aufstellt – natürlich in Bio-Qualität, so wie alles, was der Experte zukauft. »Da habe ich einmal einen Anranzer bei einer Kontrolle bekommen«, sagt Ingo Mette, »ich hatte konventionelles Saatgut für die Zwischenfrucht genommen. Und da habe ich zurecht eine Abmahnung bekommen. So weit hatte ich einfach nicht gedacht.«
Zum Düngen verteilt der Weihnachtsbaumexperte Humus auf die Flächen: Fichtenholzmulch und Haarmehlpellets aus Schweineborsten. »Der konventionelle Anbau nutzt stattdessen Blaukorn«, sagt er und schüttelt den Kopf. Zum Mähen nutzt Ingo Mette seit jeher nur mechanische Verfahren. »Aber andere Kollegen, die ebenfalls auf Bio umgestellt haben, waren am Anfang erstaunt, wie oft sie mähen müssen. Früher haben sie im ausgehenden Winter einmal mit Glyphosat gespritzt und dann war Ruhe.«
Mehr Zeitaufwand, höhere Kosten
Die Bio-Zertifizierung gibt es übrigens nicht umsonst. »Sie kostet mich jedes Jahr ein paar tausend Euro«, sagt Ingo Mette. Dafür darf er das EU-Bio-Label und das Bioland-Siegel verwenden. »Das sind Aushängeschilder für unseren Betrieb.« Wie hoch der Preis für einen Baum ist, hängt von seiner Größe ab. »Aber sie kosten im Durchschnitt etwa 20 bis 30 Prozent mehr als im konventionellen Anbau. Das deckt die höheren Kosten, die längeren Produktionszeiträume und das höhere Betriebsrisiko.« Und den größeren Aufwand. Allein die Dokumentation koste viel Zeit. Lieferscheine vom Einkauf müssten beispielsweise kontrolliert und unterschrieben werden. »Das ist eigentlich auch logisch. Niemand möchte vermeintliche Bio-Produkte kaufen, aber konventionelle Ware erhalten.« Hinzu kommen die jährliche Regelkontrolle und die stichpunktartigen unregelmäßigen Kontrollen. Doch Ingo Mette will sich nicht darüber beklagen; Zeit und Geld investiert er gerne. Sein Blick wandert über die Tannenreihen hinweg. »Sind es nicht prächtige Bäume?«
Schadstofffreie Weihnachtsbäume
Ingo Mette beliefert insgesamt rund zwanzig größere Verkaufsstellen mit Bio-Weihnachtsbäumen. Nicht jede davon legt wirklich Wert auf das Bio-Label. »Es gibt auch Händler, die wollen einfach nur lokale Bäume haben. Die vermarkten das dann auch nicht als Bio-Bäume.« Auf der anderen Seite seien durch die Umstellung auf Bio auch neue Kund:innen hinzugekommen. Heute werden seine Weihnachtsbäume sowohl in und um Dresden als auch in Leipzig verkauft.
In Klingenberg hat Ingo Mette eine weitere, etwa zwei Hektar große Anbaufläche. »Dort machen wir an den Adventswochenenden den Hofverkauf für Einzelkunden. Sie bekommen eine Säge in die Hand und können selbst durch die Reihen streifen.« Dazu gibt es Glühwein, Kinderpunsch und Wildbratwürste aus dem heimischen Revier. Und einen Weihnachtsbaum, der nicht durch Pestizide belastet ist. »Das ist doch das Wichtigste«, sagt Ingo Mette, »schließlich wollen wir nichts in unsere Stube stellen, das uns oder unsere
Kinder schädigt.«
→ Zur Website von Ingo Mettes Forsthof
→ Text und Fotos von Kristin Kasten
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 93 — Winter 2021