Zucker hat ein schlechtes Image. Als »süßes Gift« gebrandmarkt, gilt er als Ursache und Treiber diverser Krankheiten, darunter Diabetes, Adipositas und Alzheimer. Nicht mehr als zehn Prozent der täglich aufgenommenen Kalorien sollten aus so genannten »freien Zuckern« stammen, so die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation und auch der deutschen Gesellschaft für Ernährung. Wenn jemand also täglich 2.000 Kalorien zu sich nimmt, sollten es nicht mehr als 50 Gramm sein. Das ist eine Menge, die ungefähr zwei bis drei Esslöffeln Zucker entspricht – und ist schnell erreicht: Oft schon mit einem halben Liter Limo oder 100 Gramm Schokolade (und wer hätte nicht schon einmal eine Tafel auf einen Rutsch verdrückt?). Aber warum sind wir eigentlich so versessen auf Süßes, dass wir Schokocreme-Gläser auslöffeln oder eine Familienpackung Eiscreme alleine verdrücken?
Programmiert auf süßen Geschmack
Die Lust auf Süßes begleitet uns wohl schon seit den Anfängen der Menschheit. Zucker liefert dem Hirn direkt Energie – und das ist ja eigentlich eine gute Sache. Außerdem: Was aus der Natur süß schmeckte, war in der Regel nicht giftig, während bitterer Geschmack signalisierte: Vorsicht! Wenn unsere Vorfahren also reife Beeren oder wilden Honig fanden – super! Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein war Zucker rar und teuer, so dass sich kaum jemand wegen überhöhtem Konsum Gedanken machen musste. Erst mit dem 20. Jahrhundert wurde der massenhafte Zuckerkonsum Alltag – mit allen negativen Konsequenzen.
Zuckerrübe oder Zuckerrohr
Die weltweit wichtigste Pflanze zur Gewinnung von Zucker ist das tropische Zuckerrohr. In unseren Breitengraden ist die Zuckergewinnung aus der gezüchteten Zuckerrübe weit verbreitet. Auch bei deutschen Bio-Produzenten ist Rübenzucker beliebt, kommt er doch aus der heimischen Landwirtschaft und muss nicht um die halbe Welt transportiert werden. Aus chemischer Sicht unterscheiden sich Rüben- und Rohrzucker nicht. Beide bestehen zu 100 Prozent aus Saccharose und enthalten etwa gleich viele Kalorien. Beide können übrigens auch als brauner Rohzucker auftreten, der im Volksmund als gesünder gilt, da er weniger verarbeitet ist. Leider ein Irrglaube: Zwar enthält brauner Rohzucker etwas mehr Mineralstoffe als weißer, doch man müsste ihn schon kiloweise essen, um daraus Nutzen zu ziehen. Weniger Kalorien hat er auch nicht – immerhin ist seine Ökobilanz besser, da Rohzucker bei der Herstellung weniger energieintensive Arbeitsschritte benötigt. Und sein Geschmack ist anders, etwas aromatischer und karamellartiger als der vom raffinierten weißen Haushaltszucker.
Von Kandis bis Puderzucker
Unser »normaler« Zucker heißt eigentlich Kristallzucker. Seine Varianten sind zahlreich: Beim Kandis verbinden sich die Zuckerkristalle langsam in einer Zucker-Wasser-Lösung und lösen sich später im heißen Tee ebenso langsam wieder auf. Puderzucker wird besonders fein gemahlen und häufig mit Stärke versetzt, damit er keine Feuchtigkeit ziehen kann und seine pulverähnliche Konsistenz behält. Viele empfinden ihn als den »Süßesten« von allen, was aber nur an seiner schnellen Löslichkeit im Mund liegt. Etwas aus der Mode gekommen ist der Würfelzucker, in Form gepresster Kristallzucker. Zucker steckt auch in anderen, so genannten »alternativen« Süßungsmitteln wie Honig, Ahornsirup, Dicksäften von Früchten oder Kokosblütenzucker. Da sie, wie Rohzucker einen intensiven Eigengeschmack haben, sind sie definitiv eine kulinarische Bereicherung – ein Freifahrtschein zum Naschen ohne Reue sind sie leider nicht.
Die Masse macht’s
»Zucker sparen – grundverkehrt, der Körper braucht ihn, Zucker nährt«, so flötete in den 60er Jahren die Zuckerwerbung. Tatsächlich ist Zucker, genauer gesagt Glukose, ein unverzichtbarer Treibstoff für unseren Körper. Nicht nur unsere Muskeln brauchen ihn, auch unser Gehirn und Nervensystem können ohne ihn nicht reibungslos funktionieren. Das Problem liegt jedoch in der Menge: So werden in Deutschland jährlich pro Kopf knapp 34 Kilo Haushaltszucker verbraucht – dies entspricht einer täglichen Menge von rund 93 Gramm.
Oben drauf kommt noch natürlich vorkommender Zucker in Sirupen, Honig oder auch Fruchtsäften. Damit nehmen die meisten Menschen in Deutschland mehr als doppelt so viel Zucker zu sich als die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Im Umkehrschluss heißt das: Die Menschen sollten ihren Konsum an zuckerhaltigen Nahrungsmitteln um gut die Hälfte reduzieren.
Versteckte Zuckerfallen
Das Problem: Nur 15 Prozent des pro Kopf verbrauchten Zuckers werden in den Haushalten direkt verzehrt, sind also für die Menschen kalkulier- und nachvollziehbar. Den Großteil des Zuckers nehmen Konsumenten unbewusst zu sich. So sind fast alle verarbeiteten Nahrungsmittel zuckerhaltig. Bei süßen Lebensmitteln wie Schokolade, Bonbons, Kuchen und Co. ist das keine Überraschung, die Zuckerfallen lauern in herzhaften oder als gesund geltenden Lebensmitteln, die nicht mal besonders süß schmecken. Erst ein Blick auf die Nährstofftabelle der Verpackungen verrät den Zuckergehalt.
Und auch dort versteckt er sich hinter Dutzenden von Bezeichnungen, wie Glukosesirup, Süßmolkenpulver oder Maltodextrin. Wer seinen eigenen Zuckerkonsum hinterfragen möchte, muss seine Ernährungsgewohnheiten also in der Gesamtheit betrachten. Tatsächlich möchten sich aktuell viele Menschen zuckerärmer oder sogar ganz zuckerfrei ernähren. Das ist ernährungsphysiologisch übrigens kein Problem. Zwar brauchen wir Zucker, wir müssen ihn aber nicht direkt zu uns nehmen. Unser Körper kann ihn problemlos, wenn auch vielleicht weniger genussreich, aus komplexen Kohlenhydraten wie Vollkornbrot, Haferflocken und Co. für sich gewinnen.
Weniger ist manchmal mehr
Die Zuckeraufnahme zu reduzieren, ist nicht schwer. Kleine Veränderungen im Ernährungsalltag können bereits einen großen Unterschied machen: Den Tee oder Kaffee ohne Zucker trinken, Wasser oder Saftschorle statt Limo trinken. Frische, unverarbeitete Lebensmittel essen – oder beim Einkauf sehr genau auf die Zutatenliste schauen. Den Geschmack schärfen: Wer die Zuckermenge in Gebäcken oder Desserts einfach auf Zweidrittel der angegebenen Menge reduziert, dem wird es wahrscheinlich trotzdem schmecken: Zucker reduzieren. Trotzdem genießen.
→ Kristin Kasten
Illustrationen: Luisa Fabienne Bertram
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 93 — Winter 2021