Vom Auto- zum Nagellack
Schnell trocknen soll er. Lange halten, nicht gleich absplittern, auch beim alltäglichen Zupacken, Tippen und Co. Von natur über pink bis zu schwarz wünschen wir uns alle erdenklichen Farben. Wünsche, die die konventionelle Kosmetikindustrie problemlos erfüllen kann – ganze Displays werden gefüllt mit Modefarben der Saison, vom High-End-Produkt bis zum Teenie-Taschengeldfläschchen. Allerdings: Um alle diese Ansprüche zu erfüllen, steckt in den Fläschchen auch jede Menge »harte« Chemie. Wusstet Ihr, dass der Ursprung des Nagellacks im Autolack liegt? Für die ersten Nagellacke, die in den 1920er Jahren auf den Markt kamen, übernahm man einfach die in der Auto-Industrie entwickelten Nutzung von Pigmenten für Lacke. Bis heute stecken in den bunten Fläschchen jede Menge Inhaltsstoffe, die potenziell gesundheitsschädlich sein können. Doch ein menschlicher Nagel ist eben kein Metall, sondern durchlässig. Und jeder, der schon mal Nagellack gerochen hat, kann sich vorstellen, dass das Einatmen der Dämpfe beim Lackieren auch nicht ganz ohne ist.
Lösungsmittel, Weichmacher, Nitrosamine
Die Reihe der synthetischen Inhaltsstoffe ist lang: Da hätten wir Lösungsmittel wie Toluol oder Styrol, die dafür sorgen, dass der Lack fließt, Weichmacher wie Dibutylphthalat und Stoffe, die zur Härtung beitragen sollen (klingt paradox, ist aber so). Da die Lacke in durchsichtigen Glasfläschchen stecken, müssen die Farbpigmente vor UV-Licht geschützt werden. Diesen Job übernehmen Benzophenone und weitere umstrittene Lichtschutzfilter wie Octocrylen. Weitere Problemstoffe, die in Nagellacken eigentlich nicht vorkommen sollten, es aber dennoch öfter tun, sind Nitrosamine. Die gelten als krebserregend und dürfen nach den Vorgaben der EU-Kosmetikverordnung in Produkten nicht enthalten sein, beziehungsweise lediglich in Mengen, die technisch nicht vermeidbar und gesundheitlich unbedenklich sind. Wie die Nitrosamine in die Nagellacke kommen, ist noch nicht abschließend geklärt. Unter Verdacht steht die häufig enthaltene Nitrocellulose. 2018 fand das Verbrauchermagazin ÖkoTest in vier von 23 getesteten Nagellacken Nitrosamine in nennenswerten Mengen.
Es geht auch anders
Bleibt die Frage: Geht das auch natürlich – oder wenigstens weniger giftig? Tatsächlich gibt es mittlerweile Nagellacke, die auf bestimmte Problemstoffe verzichten. Das Schlüsselwort ist »free«. Je nachdem, ob es sich um 3‑Free, 7‑Free oder gar 10-Free-Lacke handelt, verzichtet der/die Hersteller:in auf die entsprechende Zahl von Inhaltsstoffen. Häufig kommt ein 3‑Free-Lack ohne Formaldehyd, Toluol und Dibutylphthalate aus, 5‑Free zusätzlich ohne Formaldehyd-Harz und Campher, 7‑Free steht oft für tierische Bestandteile und Tierversuche und 10-Free für Parabene, Duftstoffe und Xylene. Wichtig zu wissen: Auf welche Inhaltsstoffe jeweils verzichtet wird, das bestimmt das Unternehmen selbst, der Begriff ist nicht geregelt. Ihr müsst also trotzdem selber noch einmal genau hinschauen. Und dann stellt sich – natürlich – die nächste Frage: Wie sieht es aus mit Naturkosmetik und Nagellack? Ihr ahnt es schon: Das Thema ist nicht ganz einfach. Aber die Naturkosmetik-Macher:innen stellen sich der Herausforderung und haben dabei unterschiedliche Wege gefunden.
Die Puristen
Provida bietet einen Nagellack, der auf naturreinem Schellack und Benzoeharz basiert, die in Demeter-Bio-Alkohol gelöst sind. Auf Basis des Klarlacks wurden auch farbige Lacke mit Mineralpigmenten entwickelt. Die Produkte sind Demeter-zertifiziert (das heißt, dass die pflanzlichen Bestandteile aus Demeter-Anbau stammen) und tierversuchsfrei. Da das Produkt Schellack enthält, ist es nicht vegan und es trägt keines der klassischen Naturkosmetik-Siegel wie NaTrue oder Cosmos Organic. Vor dem Auftragen gilt es, gründlich zu schütteln. Da die Farblacke matt sind, empfiehlt Provida, eine Schicht des farblosen Lacks darüber aufzutragen, wenn Glanz gewünscht ist.
Natürlich(er) und vegan
Einen anderen Weg geht Benecos: Die Happy Nails beauty & care Nagellacke in 20 Nuancen überzeugen laut Hersteller durch gute Trockenzeit, einen brillanten Glanz und pflegen mit Avocado und Biotin. Der Anwendungskomfort und die Lackeigenschaften seien vergleichbar mit jedem anderen Nagellack. Allerdings: Naturkosmetik-zertifiziert sind die Lacke nicht, wohl aber 8‑Free, was hier konkret heißt: Sie sind frei von Triphenyl Phosphaten, Toluol, Kolophonium, Campher, Phthalaten, Parabenen, Silikonen und halogenorganischen Verbindungen. Und: Die Benecos-Lacke sind vegan.
Kleine Fläschchen, große Auswahl
Vegan und cruelty-free sind auch die Nagellacke von Kia Charlotta: Die Auslobung 15-free steht für den Verzicht auf Phthalate, Diethylhexylphthalat (DEHP), Toluol, Xylol, Campher, Formaldehyd, Formaldehydharz, Ethyltosylamide, Styrene/Acrylates Copolymer, Triphenylphosphat, Kolophonium, halogenorganische Verbindungen (AOX), Parabene, Silikon, Duftstoffe und tierische Inhaltsstoffe. Die Fläschchen sind bewusst klein, damit sie möglichst vollständig aufgebraucht werden. Mit mehr als 40 Farben plus Base- und Topcoat bietet die Marke eine umfangreiche Auswahl.
Zertifizierte Naturkosmetik
Den nach eigener Auskunft ersten und einzigen Naturkosmetik-zertifizierten Nagellack bietet Naturkosmetik-Pionier Logona: Er basiert auf Bio-Alkohol, Schellack und Farbpigmenten. Die fünf Farbnuancen plus ein Topcoat sind nicht vegan (wg. Schellack), wohl aber mit NaTrue und Cosmos/BDIH gleich doppelt zertifiziert.
Mit oder ohne Tier?
Die beiden zertifizierten Nagellacksortimente von Logona und Provida sind beide nicht vegan. Die Zutat Schellack wird aus den Ausscheidungen der Lackschildlaus gewonnen. Vor der Erfindung synthetischer Kunststoffe wurde Schellack intensiv genutzt. Also: Eine natürliche Alternative, aber eben nicht vegan. Die Nagellacke von Benecos und Kia Charlotta sind vegan, aber nicht ganz so natürlich.
Untendrunter, obendrüber, wieder weg
Ein Basecoat sorgt dafür, dass der Lack perfekt hält und der Nagel nicht verfärbt wird. Zwei Schichten Lack für intensive Farbe und obendrüber ein Top-Coat für Schutz und Glanz. Trotzdem: Irgendwann muss das Ganze wieder runter. Und auch beim Nagellackentferner lohnt es sich genau hinzuschauen. In konventionellen Nagellackentfernern kommt häufig das Lösemittel Aceton zum Einsatz. Sein Nachteil: Es entzieht den Nägeln Fett und kann sie poröser machen. Die Nagellackentferner von Provida und Benecos basieren auf Alkohol und ätherischen Ölen, Logona setzt lediglich auf Alkohol und Rizinusöl. Bei Kia Charlotta kommt als Lösemittel Ethyllactat zum Einsatz, ebenfalls gepaart mit ätherischen und pflanzlichen Ölen.
Konsequente Natürlichkeit oder vegan? Feste Lieblingsfarbe oder bunte Auswahl? Welches der richtige Nagellack ist, das muss jede:r Nutzer:in nach den eigenen Prioritäten entscheiden. Alternativen zu konventionellen Produkten gibt es jedenfalls genug.
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 91 — Sommer 2021