Hinter der Fallobstwiese beginnt der Acker. Die Geräusche der Autobahn, die von Frankfurt am Main nach Wiesbaden führt, sind ein leises Rauschen im Hintergrund. Brusthoch wachsen die Pflanzen auf dem Feld. Erbsen und Triticale, eine Kreuzung aus Weizen als weiblichem und Roggen als männlichem Partner. Zwei Hände fahren durch die Pflanzen hindurch, pflücken eine Erbsenschote und brechen sie auf. Sechs gelbe Erbsen kullern heraus. »Vor zwei Jahren haben wir die Wintererbse noch konventionell angebaut«, erinnert sich Annkathrin Tempel, »sie ist uns in großen Teilen umgekippt.« Jetzt dient das Getreide der Erbse als Stützfrucht. Auch die Unkrautprobleme hätten auf dem Acker abgenommen. »Wenn die Erbse abtrocknet, lässt sie viel Licht an den Boden, durch die Triticale wird er verdeckt.« Außer ein paar vereinzelten Disteln ist der Boden fast unkrautfrei. »Und es ist ackerbaulich toll, zwei Kulturen auf einem Acker zu haben, weil es die Biodiversität fördert.« Im Bio-Anbau hat Gemenge, also der Mischanbau, eine lange Tradition. Für Annkathrin Tempel, 35, und Boris Danielowski, 42, ist das alles noch neu.
Zurückgekommen, um zu bleiben
Annkathrin Tempel ist auf dem Hof aufgewachsen, zu der auch die alte Schlagmühle gehört. Das »Klappern am rauschenden Bach« gibt es hier längst nicht mehr. Seit 50 Jahren steht das Mühlrad still. »Mein Opa hat den Betrieb damals auf Getreidehandel umgestellt und nebenher noch ein bisschen Landwirtschaft gemacht.« Das alte Mühlrad ist verrostet, Brennnesseln wachsen hüfthoch. In Metallrahmen hängen Plakate, die die Geschichte der 1691 erbauten Schlagmühle in Wallau erzählen. Tempels Eltern haben den Betrieb in der zwölften Generation geführt. »Den Getreidehandel haben sie Anfang der 2000er Jahre aufgegeben und den landwirtschaftlichen Betrieb Stück für Stück erweitert und professionalisiert.« Der konventionelle Anbau lief eigentlich gut. Irgendwann stand die Frage der Hofnachfolge im Raum. Tempels Bruder, der Landwirtschaft studiert hat, arbeitete mittlerweile in der Wirtschaft. »Mein Freund und ich haben dann entschieden, dass wir es mal probieren.«
»Einen konventionellen Betrieb wollten wir nicht«
Boris Danielowski eilt über den Hof. In drei Tagen beginnt die Ernte, der Mähdrescher ist schon bestellt. Der Mann mit dem graumelierten Vollbart und der braunen Wuschelmähne hatte mit der Landwirtschaft bislang wenig zu tun. Er hat Musiktherapie studiert und als Sozialarbeiter in der psychosozialen Beratung gearbeitet. »Aber mein Onkel hat seit vielen Jahren einen Demeter-Hof und baut Gemüse an.« Auch Annkathrin Tempel kannte die Landwirtschaft nur aus ihrer Kindheit. Sie hat den elterlichen Hof für das Studium verlassen und später in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet. Jahrelang überlegte das Paar, wie sie die Hofübernahme angehen sollen, haben verschiedene Szenarien durchgespielt. Das Land verpachten oder selbst bewirtschaften? »Es war ein Prozess«, sagt Annkathrin Tempel. Eins wussten sie aber sicher: »Einen konventionellen Betrieb, so wie mein Papa ihn geführt hat, wollten wir nicht.« Das wäre ihnen scheinheilig erschienen, wo doch in ihrem eigenen Kühlschrank und den Küchenregalen fast nur Bio-Produkte liegen.
Mehr Handlungsspielraum im Öko-Landbau
Doch es war nicht nur der Wunsch nach gesunden und nachhaltig produzierten Lebensmitteln, der sie antrieb. »Wenn man speziellere Sachen anbauen will, ist man im konventionellen Bereich schnell ein bisschen eingeschränkt. Sie lassen sich auch schlechter vermarkten als im Bio-Bereich«, sagt Annkathrin Tempel. Zum Beispiel bei Ölsaaten sei der Bio-Markt interessanter, ebenfalls bei Mohn, der auf den Feldern der beiden wächst. »Im ersten Jahr haben wir den Mohn noch konventionell angebaut und für die Vermarktung bei kleineren Ölmühlen angefragt, aber viele wollten nur Bio-Mohn annehmen.«
Ganz oder gar nicht
Vieles sprach also für den Öko-Landbau, auch wenn die Landwirtin das Schwarz-Weiß-Denken »Bio gegen konventionell« nicht in allen Bereichen teilt. »Manchmal wäre es schön, wenn wir das Beste aus beiden Welten kombinieren könnten.« Doch bei Bio geht eben nur ganz oder gar nicht und ihre Entscheidung war klar: Sie wollten es – ganz. »Wir möchten den Betrieb aber vielfältiger aufstellen, unsere Produkte direkt vermarkten und den Hof als Lern- und Erlebnisort für Kinder und Erwachsene öffnen.« Viele Veränderungen in kurzer Zeit, auch für die Eltern, die den Betrieb jahrzehntelang erfolgreich bewirtschaftet hatten. »Glücklicherweise haben meine Eltern selbst schon mal überlegt, auf Bio umzustellen.« Der Getreidehandel machte ihnen damals jedoch einen Strich durch die Rechnung. »Sie hätten entweder beide Betriebe komplett voneinander trennen müssen, dokumentieren, dass sich nichts vermischt oder nur noch Bio-Getreide annehmen dürfen.« Damals gab es jedoch kaum Bio-Landwirte in der Region. »Es wäre einfach zu stressig und aufwendig gewesen, daher entschieden sie sich dagegen.« Nun aber schien der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein.
Umstellung auf biologische Landwirtschaft: Nicht immer einfach
Annkathrin Tempel und Boris Danielowski ließen sich beraten. Sowohl der Anbauverband Bioland als auch der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, eine staatliche Bildungs- und Beratungseinrichtung, standen ihnen zur Seite und entwickelten gemeinsam mit ihnen eine Fruchtfolge. »Wir wollten bestmöglich vorbereitet sein«, sagt Annkathrin Tempel. Im Juni 2021 meldeten sie den Betrieb bei der Bio-Kontrollstelle an und begaben sich ins Bio-Kontrollverfahren. Das war der Startschuss, die Umstellungszeit begann. Zwei Jahre dauert sie. Alle pflanzlichen Erzeugnisse vom Hof sind seitdem Umstellungsware und dürfen auch als solche vermarktet werden. »Das letzte Jahr war ein gutes Jahr, die Erzeugerpreise waren super.« Auch die Fördergelder seien im Bio-Bereich deutlich höher als im konventionellen Anbau. Doch das Paar musste zeitgleich viel Geld in Maschinen zur Unkrautbekämpfung investieren. Auch die Verbandsgebühr sei nicht ohne, »aber wir müssen in der Umstellungszeit nur 50 Prozent bezahlen.« Trotzdem: Wären sie konventionell geblieben, würden sie zum jetzigen Zeitpunkt finanziell besser dastehen. Auch der Blick auf die Felder tue manchmal weh. »Wir ernten jetzt nur noch die Hälfte oder zwei Drittel«, sagt Annkathrin Tempel, »gerade im letzten Jahr, als es durch den Ukrainekrieg eine Getreideknappheit am Markt gab, habe ich mich gefragt, wie sinnvoll das ist.« Die Bio-Branche müsse sich weiterentwickeln, findet die Landwirtin, mehr forschen und den Anspruch haben, besser zu werden. Genau wie sie selbst. Das Paar will den Betrieb mit Bio zum Erfolg führen, unbedingt.
Lernen durch Erfahrung
Was sie bereits gelernt haben: Im Ökolandbau ist es wichtig, präventiv zu arbeiten. »Wenn der Schädling schon auf dem Acker ist, ist es zu spät.« Denn der Einsatz von chemisch-synthetischen Düngemitteln und Pestiziden ist verboten. Die zweite Erkenntnis: Was in einem Jahr klappt, muss nicht zwangsläufig auch im nächsten klappen. »Dieses Jahr hatten wir einen feuchten Frühling. Durch die Nässe hatten wir Gelbrost, einen Pilz, im Getreide.« Im kommenden Jahr wollen sie eine Sorte auswählen, die weniger anfällig ist. Auch Unkraut ist immer wieder ein Problem. Da schauen benachbarte Landwirt:innen schon mal skeptisch auf den Acker. »Aber da muss man dann halt drüber stehen.« Das Paar hat sich einen Striegel gekauft, eine klassische Maschine, um Unkraut zu bekämpfen. »Aber wir müssen sehr ›on point‹ sein, um das Unkraut auf dem Acker im richtigen Moment zu erwischen«, sagt Annkathrin Tempel. Da helfen nur Erfahrungswerte – und die müssen sie eben manchmal erst noch sammeln.
Wissen zwischen Generationen weitergeben
Um mehr Wissen ernten zu können, hat sich die Landwirtin nebenberuflich zur Berufsspezialistin für ökologischen Landbau weitergebildet. »Und zum Glück können wir immer meinen Vater fragen«, sagt sie. »Er kennt das noch aus seiner Kindheit. Bevor die chemische Industrie groß geworden ist, war der Ökolandbau mehr oder weniger die Norm.« Die gut 100 Hektar großen Flächen bearbeiten Vater, Tochter und Freund im Dreiergespann, »meine Mutter kümmert sich liebevoll um die Hofstelle.« Hinzu kommen ein Hühnermobil mit 200 Hennen, zwei bis drei Hektar Streuobstwiesen und rund 20 Bienenvölker, die umsorgt werden wollen. »Es ist ein intensiver Job. Wir haben Arbeitsspitzen, die sind nicht ohne«, sagt Boris Danielowski, »und wir sind sehr vom Wetter getrieben.« An einigen Tagen schaut er stündlich auf die Wetter-App. Der Klimawandel ist in der Region spürbar. »Das kann einem wirklich Angst machen, wenn man in die Landwirtschaft einsteigt, weil vieles zum Glücksspiel wird.« Unwetter häufen sich, die Winter werden milder und nasser, dafür gibt es im Sommer immer längere Dürreperioden. »Von Sommergetreide lassen wir mehr und mehr die Finger«, sagt Boris Danielowski. Annkathrin Tempel zeigt Richtung Wickerbach, der an der Mühle vorbeifließt. »Vor drei Jahren ist der Wickerbach zum ersten Mal trocken gefallen, im vergangenen Jahr dann gleich nochmal.«
Neue Wege auf alten Pfaden
Für den Hof selbst hat das Paar große Pläne. Der alte Pferdestall wurde bereits aufwendig saniert und ausgebaut. Aus ihm soll ein Bio-Hofladen werden, wo ab dem Spätsommer die eigenen Produkte direkt vermarktet werden. Auch eine kleine Produktionsküche gibt es, »damit wir mit den Lebensmitteln auch arbeiten können.« Momentan gibt es nur eine kleine rot-weiß gestrichene Holzhütte im Hof, in der neben Eiern auch handgemachte Honigseife, Mohnöl und Apfelsaft verkauft werden. Im neuen Laden sollen dann auch Getreideprodukte erhältlich sein. Ob unverpackt als Korn oder schon gemahlen steht noch nicht fest. »Es ist hier in der Region nicht leicht, eine Mühle zu finden, die biozertifiziert ist.« Eine Alternative wäre eine eigene kleine Mühle im Laden, in der sich Kundinnen und Kunden ihr Getreide selbst mahlen können.
Momentan wächst auf den Äckern Weizen, Sommer- und Wintergerste, Triticale, Lupinen, Ackerbohnen und Gemenge. Das Getreide verkaufen sie während der Umstellungszeit als Futtergetreide. Ab dem nächsten Jahr dürfen sie ihre Ernte dann auch als Speiseware verkaufen. Die Vermarktungsgemeinschaft, in der sie sind, kooperiert mit einer großen, regionalen Bio-Bäckerei. »Dort können wir dann unser Getreide in Form von Brot und Brötchen zurückkaufen.« Darauf freut sich die Landwirtin schon sehr.
→ Kristin Kasten
→ schlagmuehle-wallau.de