Edelstahl glänzt im kalten Neonlicht. Maschinen rattern und dröhnen. Fast alle Teile der Anlage waren schon mal woanders im Einsatz: Früher pressten sie Äpfel zu Saft, verarbeiteten Milch zu Käse oder füllten Wein in Flaschen ab. »Wir haben uns das alles aus verschiedenen Betrieben zusammengestückelt, aufgearbeitet und zum Laufen gebracht«, sagt ein hochgewachsener Mann im schwarzen Hoodie mit leicht zerzaustem Dutt. Tagelang hat er die gebrauchten Maschinen mit einem Multimeter, einem Vielfachmessgerät, durchgemessen — ohne Schaltplan. »Wir mussten einfach ausprobieren, was passiert, wenn wir welchen Knopf drücken«, sagt er und zuckt mit den Schultern. Eine blonde Frau im Norwegerpullover zieht zwei lange Schläuche von der Anlage herunter. »Es ist nicht selbstverständlich, dass man das alles selbst lösen kann.« Doch genau das sind Felix Lehmann und Marisa Endrejat — Menschen, die Probleme lösen. Gemeinsam haben sie vor sieben Jahren in Dresden die Manufaktur Elb-Ferment gegründet. In den weiß gefliesten Räumen einer ehemaligen Konditorei fermentiert das Paar Bio-Lebensmittel wie Kombucha, Kefir und Kimchi aus fair gehandelten, regionalen Zutaten. Fermentieren bedeutet, dass Mikroorganismen, wie Bakterien oder Hefen, Zucker und Stärke in Säure umwandeln — dabei entstehen neue Inhaltsstoffe und Aromen, die den Produkten ihren prägenden Geschmack geben. Momentan werden die beiden von drei Studierenden der Dualen Hochschule Sachsen und einem FÖJler unterstützt. Das Team macht alles selbst: Milch abholen, Gemüse waschen, das Abfüllen der fertigen Produkte.
Vom Holundersekt zur eigenen Manufaktur
Felix, 37, ist in Dresden aufgewachsen. »Bei meinem besten Freund zuhause wurde vieles selbst gemacht: Marmelade eingekocht, Säfte gemacht, Stollen gebacken — und Holundersekt hergestellt.« Schon als Kind durfte er kosten und war begeistert. Das Verfahren schien ihm erstaunlich einfach: Holunderblüten in eine Zuckerlösung tun, eine Woche im Tonkrug stehen lassen, abfüllen. »Von dem mikrobiologischen Teil hatte ich damals keine Ahnung, aber was dort in dem Krug passierte, faszinierte mich.« Als ihm Jahre später eine Chemiestudentin beim Lernen für das Abitur half, lebte die Faszination wieder auf. Sie hatte eine Kombucha Kultur bei sich zuhause und erklärte dem Abiturienten den mikrobiologischen Kontext.
Aus dem Kühlhaus holt Felix ein großes Einmachglas, in dem ein gallertartiger Pilz in einer leicht gelblichen Flüssigkeit an der Oberfläche schwimmt. »Das war mal ein ganz süßer Tee«, erklärt er. Was nun darin rumschwimmt, sei aber kein Pilz, wie oft fälschlicherweise behauptet werde. »Es ist eine symbiotische Kultur aus Hefen und Bakterien.« Durch die Hefen werde der Zucker in Alkohol und Kohlensäure umgewandelt, während die Bakterien den Alkohol in organische Säure umsetzen. »Je mehr Zucker ich am Anfang reinmache, desto mehr Essig bildet sich«, erklärt Felix. Das Ergebnis: ein leicht prickelndes, säuerliches Getränk mit dem typischem Kombucha-Geschmack. Die Studentin habe es damals als eine Art Medizin getrunken. »So wie manche Menschen einen Löffel Apfelessig zu sich nehmen.« Doch das war nie der Ansatz von Marisa und Felix. Sie wollten von Anfang an ein Erfrischungsgetränk machen. »Daher fermentieren wir nur halb so lang«, sagt Felix. So bleibt am Ende weniger Zucker und Essig im Getränk und es schmeckt »weder zu süß noch zu sauer.«
Die Geschichte der Manufaktur begann in der Industrieküche eines Freundes — und mit einem Zehnliter-Mayo-Eimer vom Dönerladen um die Ecke.
Fermentieren im Mayo-Eimer
Kennengelernt haben sich Marisa und Felix im Studium: Marisa studierte Lehramt, Felix Abfallwirtschaft. Als das Paar von einem Auslandsaufenthalt in Vietnam wiederkam, entdeckte Marisa in Kleinanzeigen eine Kombucha-Kultur, später auch Kefirknollen. »Wir haben damals viel containert und Foodsharing gemacht — in unserer Küche lag immer überall Gemüse herum«, erinnert sich Felix lachend. Einige machten sie ein, andere fermentierten sie. »Irgendwann standen überall Gurkengläser und Eimer.« Parallel dazu entdeckte das Paar eine Facebook-Gruppe, in der sich Menschen über Fermentation austauschten. »Ein Unternehmen hatte die Gruppe zu Werbezwecken gegründet. Sie wuchs innerhalb weniger Tage auf mehrere hunderttausend Menschen an.« Bis dahin war Kombucha für das Paar ein Nischenprodukt. »Was Omas halt zuhause in ihren Küchen machen.« Aber plötzlich spürten sie einen anderen Vibe, einen neuen Trend, der Möglichkeiten eröffnete. »Ich hätte nie gedacht, dass Fermentation so ein Lifestyle-Ding werden könnte«, sagt Marisa. Gemeinsam machten sie kleine Trend- und Marktanalysen: Wie oft wird Kombucha als Suchbegriff im Internet eingegeben, wie oft bei Wikipedia nachgeschlagen? Und welche Produkte gibt es schon auf dem Markt? »Alle, die es gab, hatten irgendwo einen Haken«, sagt Marisa. Mal war er in PET-Flaschen abgefüllt, mal pasteurisiert. »Das ist dann einfach nur noch eine Limo und hat mit dem ursprünglichen Produkt nicht mehr viel zu tun.« Marisa und Felix wollten es besser machen und gründeten Elb-Ferment. Die Geschichte der Manufaktur begann in der Industrieküche eines Freundes — und mit einem Zehnliter-Mayo-Eimer vom Dönerladen um die Ecke. »Wir hatten kein Kapital,« erinnert sich die 31-Jährige. »Aber wir brauchten auch nicht viel.« Den ersten Kombucha füllten sie in leere Milch- und Sahneflaschen ab. »Vor dem ersten Produkt waren wir schon bio- und verbandszertifiziert,« sagt Felix. Das war ihnen wichtig. »Wir wollten ein ehrliches, nachhaltiges und soziales Produkt machen — zu hundert Prozent Bio.«
Die ersten Flaschen verteilten sie an Familie und Freunde — und die kamen gut an. Der richtige Verkauf begann ein paar Wochen später über die »Marktschwärmer« in Dresden. Das Netzwerk aus regionalen Bauernhöfe, Manufakturen und Handwerkereien will anders essen und wirtschaften. Das Konzept ist einfach: Verbraucher:innen bestellen online regionale Produkte und holen sie einmal pro Woche auf einem Markt ab — der »Schwärmerei«. »Schnell reichte unser Zehnlitereimer nicht mehr aus,« sagt Marisa. »Erst kam ein 30-Liter-Fass, dann ein 60-Liter-Fass — irgendwann ein 120-Liter-Tank.«
Rund 20.000 Liter Kombucha im Jahr
Heute stehen sie in ihren eigenen Produktionsräumen im Osten Dresdens. Große Fenster an zwei Seiten des Raumes geben den Blick auf die Nachbarhäuser und viel Grün frei. »Als wir uns vor drei Jahren hier eingemietet haben, gehörte uns nur eine kleine Ecke dieses Raums«, sagt Felix. Nebenan war eine Konditorei. »Wir haben dort immer die Schüsseln ausgeleckt, weil wir es nicht ertragen konnten, dass die guten Cremes einfach weggespült werden«, sagt Marisa und lacht. Doch die Schlemmerzeiten sind längst vorbei. Die Konditorei ist ausgezogen, der Platz für Maschinen hat sich vervielfacht, die Lagerfläche ist gewachsen. Auch die Umsatzzahlen steigen, »langsam, aber stetig«, wie die beiden sagen. Mittlerweile beliefern sie rund 100 Verkaufsstellen — vom Großraum Erfurt über Berlin bis nach Nürnberg. »Im vergangenen Jahr haben wir etwa 20.000 Liter Kombucha hergestellt«, sagt Felix.
»Wir sind also nicht großindustriell unterwegs, arbeiten aber auch nicht mehr mit dem Eimerchen«, ergänzt Marisa. Kefir produzieren sie jede Woche, dazu kommen jährlich bis zu zwei Tonnen Kimchi und fünf Tonnen Sauerkraut.
Der Herbst ist für die beiden immer eine stressige Zeit. »Wir arbeiten regional und sind an die Saison gebunden«, erklärt Marisa. In den Herbstmonaten werde deshalb »richtig viel« Gemüse verarbeitet — fast alles per Hand. Die Nachfrage ist da, die Zwei könnten die Produktion problemlos hochfahren. Doch gerade sind beide Fermenter leer — es fehlt nicht an Rohstoffen oder Ideen, sondern an Lagerplatz und Leergut. Trotzdem wollen sie dieses Jahr zwei neue Produkte auf den Markt bringen: einen Sauerkraut-Saft und fermentierte Rote Bete. Beides wartet schon in zwei blauen Tonnen auf die Abfüllung.
Heute stehen sie in ihren eigenen Produktionsräumen im Osten Dresdens. Große Fenster an zwei Seiten des Raumes geben den Blick auf die Nachbarhäuser und viel Grün frei.
Handarbeit, Ausdauer und ein fairer Preis
Heute steht das Etikettieren der nächsten Charge Kimchi-Gläser an — doch die Etiketten wollen einfach nicht richtig sitzen. Der Etikettierer, ein ausgemustertes Modell aus einer Kelterei im Rheingau, zickt mal wieder rum. »Wo ist denn der Schlitzschraubenzieher?«, fragt Marisa. Eine Viertelstunde friemeln sie gemeinsam an der Halterung herum, bis die Maschine endlich ratternd anspringt. Felix stellt die Gläser aufs Laufband, während Marisa mit einem weißen Handschuh die Etiketten glattstreicht. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Alles läuft rund — bis die Etiketten plötzlich wieder schief sitzen. Marisa drückt den roten Notausknopf. Die Zwei lassen sich nicht aus der Ruhe bringen, schrauben und ruckeln an Halterungen herum. Nach fünf Minuten läuft die Maschine wieder.
Angst vor einem Einbruch der Verkaufszahlen haben Marisa und Felix nicht. Die Zahlen der Bio-Branche aus dem letzten Jahr stimmen sie zuversichtlich. »Es geht wieder aufwärts«, sagt Felix. Die Produkte von Elb-Ferment bleiben dennoch Nischenprodukte. »Natürlich ist eine Limo das Erste, auf das man verzichtet, wenn das Geld knapp wird«, gibt Felix zu. Doch mit einer fairen Preisgestaltung wollen Marisa und Felix dagegenhalten. »Wir wollen kein Lifestyleprodukt daraus machen — jeder soll sich unsere Getränke leisten können.« Und die beiden haben bereits einen treuen Kundenstamm. Menschen kommen extra vom Umland in die Stadt, um ihre Produkte zu kaufen. »Ein Mann aus Meißen fährt regelmäßig nach Dresden für unseren Kefir«, erzählt Felix stolz.
Auch faire Arbeits- und Produktionsbedingungen sind ihnen wichtig. »Jeder in der Wertschöpfungskette soll einen fairen Anteil bekommen.« Das Gefühl, das Richtige zu tun, treibt sie an.
Überzeugungen statt Kompromisse
Elb-Ferment positioniert sich nicht nur in Sachen Bio: Zur Bundestagswahl posteten sie einen neutralen Wahlaufruf mit der Bitte, eine demokratische Partei zu wählen. »Und wir haben unser Logo von Grün auf Regenbogenfarben geändert«, erinnert sich Marisa. Die Reaktionen darauf waren gemischt: »Wir wurden oft bei Facebook gemeldet — wegen angeblicher Hetze und Lügen.« Marisa zuckt mit den Schultern. »Klar macht uns das angreifbar — aber wir haben unsere Überzeugungen, und dazu stehen wir.« Anfeindungen erleben sie ansonsten kaum — an nur eine einzige Hassmail können sie sich erinnern. »Die Tatsache, dass uns nur diese eine im Gedächtnis geblieben ist, zeigt, wie selten das vorkommt«, sagt Marisa. Auch politischen Gegenwind spüren sie selten. »Wir bewegen uns größtenteils in unserer Bubble.« Unpolitisch seien sie dennoch nicht.
Ehrliche und unaufdringliche Kommunikation ist ihnen wichtig. »Wir wollen niemandem etwas vormachen, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen«, sagt Marisa. Auch faire Arbeits- und Produktionsbedingungen sind ihnen wichtig. »Jeder in der Wertschöpfungskette soll einen fairen Anteil bekommen.« Das Gefühl, das Richtige zu tun, treibt sie an. Auch ihr Netzwerk aus Bio-Bauern, Bio-Unternehmen und dem Dresdner Bio-Anbauverband »Gäa e.V.« gibt dem Paar Kraft und Motivation. »Es gibt ein Grundvertrauen ineinander: Niemand zieht den anderen über den Tisch. Wenn etwas schiefläuft, dann redet man drüber«, sagt Felix.
Und wo sehen sich die beiden in zehn Jahren? »Ich hätte gerne einen schönen Bauernhof mit Platz zum Produzieren, Lagerfläche und Wohnraum«, sagt Marisa. Auch eine »schöne Halle« auf einem Industriegelände wäre eine Option. »Wir haben keine riesigen Wachstumsambitionen und wollen damit nicht reich werden«, betont sie. »Aber wir möchten entspannt davon leben können.« An Ideen mangelt es Felix und Marisa nicht — die Welt der fermentierten Produkte bietet viele Möglichkeiten. »Langweilig wird uns sicher nicht.«
→ Kristin Kasten