Das Wort, um das es geht, ist ziemlich sperrig. Und doch so wichtig, dass es die beiden Mitgründer der Purpose Stiftung, Adrian und Achim Hensen, immer wieder benutzen: Verantwortungseigentum. Die Gesellschafter:innen eines in Verantwortungseigentum geführten Unternehmens sind Treuhänder:innen auf Zeit. Sie stellen die Sinnhaftigkeit und verantwortungsbewusstes Handeln ins Zentrum ihres unternehmerischen Handelns, nicht den Profit. Erzielte Gewinne werden gespendet oder fließen zurück in das Unternehmen. Das Unternehmen als Spekulationsobjekt verkaufen? Ausgeschlossen. »Wir haben diese Form von Unternehmertum nicht erfunden«, sagt Achim, »wir haben ihr nur ein Rechtskleid und eine Sprache gegeben.« Insgesamt sind es mittlerweile rund 25 Menschen in Deutschland, der Schweiz, den USA und Südamerika, die planen, durch ein Neudenken von Eigentum die Wirtschaftswelt zu verändern.
Das Thema auf den Tisch bringen
Adrian und Achim sind vor 36 Jahren als eineiige Zwillinge auf die Welt gekommen. »Wir haben uns also schon sehr früh mit dem Thema Zusammenarbeit auseinandersetzen müssen«, sagt Achim und lacht, »ich bin begeistert davon, was Menschen miteinander ins Leben bringen können.« Trotzdem hätte vor fünf Jahren keiner der beiden gedacht, wie schnell diese Idee die Welt begeistern wird. »Als wir damals über unsere Idee gesprochen haben, wurde uns oft niedlich über den Kopf getätschelt«, sagt Adrian. »Wir haben es uns natürlich gewünscht«, ergänzt sein Bruder, »vor allem den gesellschaftlichen Diskurs, der in den letzten Jahren entstanden ist.« Ihn berührt es, wenn Unternehmer:innen sagen, sie hätten dank der Arbeit von Purpose endlich eine Sprache für das bekommen, was sie sowieso machen wollten.
»Wir waren faktisch fremdbesessen«
Der Weg der beiden Wirtschaftspsychologen führte nach dem Studium jedoch erst einmal in die klassische Unternehmenswelt. »Ich habe in einem Unternehmen gearbeitet, das eine Plattform für Ferienwohnungen betreibt«, sagt Achim. Das Unternehmen sei von 25 auf 140 Mitarbeiter gewachsen. »Wir haben es auf ein neues Level weiterentwickelt, Hierarchien abgeschafft, moderne Formen der Zusammenarbeit umgesetzt.« Er habe viel Lebensenergie und Schaffenskraft in das Unternehmen gesteckt. »Wir waren ein gut funktionierender Mittelständler in Deutschland. Doch dann kam ein großer Player um die Ecke und hat den Laden gekauft.« Das sei ein »Life-Changing-Moment« für ihn gewesen. »Wir waren faktisch fremdbesessen«, sagt Achim, »das Ende der Geschichte: Dieses Unternehmen wurde bis nach Indien weiterverkauft und gehört jetzt zu einem großen Konglomerat.«
In dem Berliner Start-up, in dem sein Bruder Adrian zu der Zeit arbeitete, passierte Ähnliches. »Auch ich habe dort ganz viel Herzblut reingesteckt, aber auch dieses Unternehmen wurde verkauft.« Diese »fundamentalen Brocken« ihrer Lebensgeschichte teilen sich die Brüder. Und sie haben sie geprägt. »Wir haben uns ganz lange mit der Frage beschäftigt, wie man Organisationsstrukturen so weiterentwickeln kann, dass Menschen auf einer Basis von Vertrauen, Sinnorientierung und Eigenverantwortung zusammenarbeiten«, sagt Achim, »und so richtig gut funktioniert das, wenn das Unternehmen selbstbestimmt ist.« Damit rückte die Eigentumsfrage in den Fokus der Brüder.

Die Arbeit begann. Zunächst schauten sie sich Unternehmen in Deutschland an, die Eigentum anders denken. Damit Unternehmen sich selbst gehören, können sie beispielsweise die Firmenanteile in eine Stiftung überführen. »Wir haben uns an den Vorreitern orientiert, das waren Bosch und Ernst Abbe von Zeiss.« Bosch ist zwar als GmbH organisiert, aber rund 92 Prozent der Geschäftsanteile gehören der Robert-Bosch Stiftung, die nicht die Gewinnmaximierung sondern gemeinnützige Projekte in den Mittelpunkt stellt. Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 hat sie rund 1,6 Milliarden Euro in diese Projekte gesteckt. Die beiden Brüder fragten sich, warum diese Eigentumsform trotz ihres offensichtlichen Erfolgs nicht schon viel verbreiteter ist. Auf zwei Gründe sind sie gestoßen: Sie ist nicht bekannt genug und relativ schwer umzusetzen.
Purpose statt Profit
Die Purpose Stiftung, die die beiden Brüder zusammen mit Alexander Kühl und Armin Steuernagel 2015 gründeten, ist angetreten, das zu ändern. Ein festes Büro hat die Stiftung noch nie besessen. Sie leistet Ideenarbeit, ist beratend tätig – immer dort, wo sich Menschen treffen, die ihr Potential bündeln wollen, um Sinnstiftendes zu erschaffen. »Wir stellen Open Source Materialien zur Verfügung, schreiben Bücher, organisieren Konferenzen, betreiben Forschung, gehen an die Universitäten«, sagt Achim, »wir helfen und begleiten Unternehmen auf ihrem Weg.« Das Ziel der Stiftung: Eine gesunde Wirtschaft, die dem Menschen dient. Sie sehen sich als Gedankenpartner:innen und Prozessbegleitung, wollen für jedes Unternehmen die passende Eigentumsform finden.
Doch eine Rechtsform für Verantwortungseigentum gibt es in Deutschland noch nicht. Die große Frage war also: Wie kann man es für mittelständische Unternehmen oder Start-ups vereinfachen, dieses Ziel zu erreichen, ohne selber Stiftungskonstruktionen aufzusetzen, die kompliziert und kostspielig sind. »Denn sie können ja nicht wie Bosch unzählige Anwälte über viele Jahren hinweg anstellen, um zu dieser Eigentumsform zu kommen«, sagt Achim. Zugleich sollte die Eigentumsform bindend sein, und zwar über die nächsten Generationen hinaus. »Eine GmbH könnte jederzeit die Prinzipien des Verantwortungseigentums in ihre Satzung übernehmen. Wenn aber in fünf Jahren dem Unternehmen jemand viele Millionen anbietet, könnte es theoretisch trotzdem darauf eingehen. Wir brauchen also eine Form von Verewigungsmechanismus, den Stiftungen normalerweise haben.«