Die »Konventionellen« dringen mit Hilfe aggressiver Substanzen wie Ammoniak oder Wasserstoffperoxid tief ins Haar ein und verändern die Haarstruktur von innen heraus. Mit diesem rabiaten Vorgehen kann es dann jeden beliebigen Farbton annehmen: Nicht nur blauschwarz oder platinblond, sondern auch aquamarinblau oder pink. Nachteil: Weil es in die Haarstruktur geht … tja, leidet die Haarstruktur halt. Viele der in synthetischen Haarfarben verwendeten Substanzen sind umstritten, weil sie zum Beispiel als allergisierend gelten.Deshalb dürfen Schwangere und Jugendliche unter 16 sie gar nicht benutzen und die Produkte müssen entsprechende Warnhinweise tragen.
Strukturmaßnahme
Zum Glück gibt’s richtig gute Alternativen: Pflanzenhaarfarben bestehen, wie der Name sagt, aus Pflanzen. Sie machen von goldblond bis tiefschwarz (fast) alles möglich. Dabei setzen sie auf ein fundamental anderes Wirkprinzip als chemisch-synthetische Haarfarben. Sie lagern sich nämlich fest an der äußeren Schicht des Haares an, der so genannten Schuppenschicht. Wie eine Lasur bilden sie eine färbende schützende Hülle. Erwünschter Nebeneffekt: Jedes einzelne Haar wird durch diese Extra-Schicht kräftiger, eine eventuell strapazierte Schuppenschicht geglättet. Dadurch wirkt der Schopf insgesamt fülliger, die Haare glänzen. Gleichzeitig liegt hier auch die Erklärung dafür, das Pflanzenhaarfarben die Haare niemals heller färben können. Auch eine Pflanzenhaarfarbe in einem Blondton kann das schon vorhandene natürliche Blond auf dem Kopf optimieren, aber nicht aufhellen – ›Bioplatinblond‹ – das bleibt leider bis auf weiteres ein Ding der Unmöglichkeit.
Natur und Tradition
Ob blond, rot oder braun: Der erste Eindruck beim Öffnen der Packung ist – grün. Eigentlich logisch, schließlich bestehen die Haarfarben aus fein vermahlenen Pflanzen. Wichtiger Rohstoff für Pflanzenhaarfarben ist Henna. Es wird seit Jahrtausenden genutzt, um Rottöne zu erzielen. Allerdings: Auch wenn fast alle Pflanzenhaarfarben Henna enthalten, heißt das nicht, dass Pflanzenhaarfarben nur rotstichige Töne könnten. Denn schließlich kommen, je nach Nuance und Hersteller noch jede Menge weitere Pflanzen in die Rezepturen. Zum Beispiel Indigo: eine weitere traditionelle Färbepflanze, die für blau-schwarze Töne steht und in Pflanzenhaarfarb-Kompositionen für dunkle Töne sorgt und Rotstiche mildern kann. Heimische Pflanzen wie Rhabarber und Kamille kommen ebenso zum Einsatz wie ayurvedische Kräuter oder auch alte Bekannte aus der Küche, zum Beispiel Rote Beete, Kaffee oder Kurkuma. Wenn das Ganze mit heißem Wasser angerührt wird, werden die jeweiligen Pigmente aktiviert und lagern sich am Haarschaft an. Aber soweit sind wir noch nicht, zumindest nicht in großem Maßstab.
Wenn du dich für Haarpflege interessierst:
→ Interview mit einer Naturfriseurin: Was Haare wirklich brauchen
Probe aufs Exempel
Denn vor dem ersten Mal heißt es: Probesträhne färben. Das Schöne und Besondere an Pflanzenhaarfarben ist, dass sie keine Standard-Ergebnisse liefern. Sie verbinden sich ganz individuell mit der natürlichen Ausgangshaarfarbe. Auch die Einwirkzeit, die zwischen 15 Minuten und zwei Stunden betragen kann, spielt eine Rolle – je länger die Farbe auf dem Haar verweilt, desto intensiver wird der Ton. Natürlich helfen die Farbtonkarten der Hersteller bei der Entscheidung. Wer erst mal ein Löffelchen anrührt und eine Strähne auf dem Kopf färbt, ist vor Überraschungen sicher. Die Mühe lohnt sich, denn eine Pflanzenfärbung ist eine permanente Färbung, keine Tönung, die sich wieder herauswäscht.
Haarritual
Sieht gut aus? Dann ist jetzt der ganze Haarschopf dran. Damit sich die Pflanzenhaarfarbe optimal anlagern kann, leuchtet ein, dass das Haar erst mal von allem befreit wird, was sich dort angelagert hat. Das ist besonders wichtig, falls vorher konventionelle Pflegeprodukte verwendet wurden und das Haar mit Silikon beschwert ist. Geeignet sind die entsprechenden Vorbehandlungen der Hersteller ebenso wie Lavaerde. Wer sowieso Naturkosmetik verwendet, kommt auch mit einer gründlichen Haarwäsche aus. Ob säuberlich Strähne für Strähne mit einem Haarfärbepinsel oder resolut mit den Händen eingeknetet: Entscheidend ist, dass die angerührte Farbe am Ende alles gleichmäßig bedeckt. Vielleicht lassen sich FreundInnen, LebensgefährtInnen oder MitbewohnerInnen einspannen? Nach der Einwirkzeit wird ausgespült – aber diesmal nicht shampooniert. Denn, das ist eine weitere Besonderheit der Natur-Farben, die Farbe will sich noch final anlagern und entwickeln. Dazu benötigt sie bis zu 48 Stunden. Was Ihr nach dem Trocknen seht, ist also noch nicht ganz endgültig.
Gegen das Grau
Graue Haare abdecken – das ist grundsätzlich kein Problem. Schimmern die grauen Haare nach den ersten Anwendungen noch deutlich heller durch, werden sie durch den »Lasureffekt« bei regelmäßiger Anwendung in den Längen immer besser abgedeckt. Liegt der Grauanteil über 40Prozent, kann eine so genannte Vorpigmentierung sinnvoll sein.
Hoch lebe die Individualität
Übrigens: Auch ganz ohne grau haben Naturhaare auf dem Kopf nicht etwa alle eine Farbe, nein, sie sind mal ein bisschen heller, mal dunkler, reflektieren das Licht unterschiedlich. Nach einer permanenten Färbung ist das vorbei: Die Chemie macht sie alle gleich. Bei Pflanzenhaarfarben sorgt das Zusammenspiel zwischen Ausgangshaarfarbe, Nuance und den natürlichen Farbunterschieden im Haar dafür, dass die Haarfarbe vollkommen lebendig und natürlich wirkt (genau deswegen ist die oben erwähnte Probesträhne so wichtig). Da Pflanzenhaarfarben einer Marke in der Regel untereinander mischbar sind, lässt sich das Färbeergebnis noch weiter individualisieren – bis hin zum eigenen Geheimritual aus Eigenmischung und optimierter Einwirkzeit.
Pflanzenfarbe aus der Tube
Geht das alles vielleicht auch ein bisschen einfacher? Neben den klassischen Pulvern gibt es Pflanzenhaarfarbe auch aus der Tube, bereits gebrauchsfertig angerührt, so dass sie nur noch aufgetragen wird. Wermutstropfen: Die Auswahl bei den Tönen ist nicht annähernd so groß.
Unterstützung aus dem Pflanzen-Salon
Eine weitere Alternative: Wer große Farbtonschritte rein pflanzlich springen möchte, wer sich nicht ganz sicher ist, im Selbstversuch wirklich die richtige Farbe zu treffen oder einfach keine Lust hat, selber Hand anzulegen, geht zu Haar-Profis, die das Färben mit Pflanzen im Angebot haben. Am besten fragt Ihr aber noch mal genau nach, ob wirklich echte Pflanzenhaarfarben verwendet werden oder lediglich die oben beschriebenen »naturnahen« Colorationen. Oder Ihr sucht gleich nach ausgesprochenen NaturfriseurInnen, wie sie zum Beispiel Culumnatura ausbildet. Die gibt es noch nicht an jeder Ecke, aber doch fast in jeder Stadt. Sie kennen sich mit dem Thema richtig gut aus und finden gemeinsam mit ihren KundInnen individuelle Lösungen. Außerdem verwenden sie Naturkosmetik zum Waschen und Stylen – so wird der Frisörbesuch zu einem richtigen kleinen Wohlfühlerlebnis.
Echte Pflanzenhaarfarben mit Brief und (Naturkosmetik-)Siegel finden sich – Ihr ahnt es wahrscheinlich – zuverlässig im Naturkosmetikregal im Bio-Markt oder im Naturkosmetik-Fachgeschäft. In den 1980er Jahren war es Naturkosmetik-Pionier Logona, der die ersten Pflanzenhaarfarben entwickelte, mittlerweile sind weitere Marken wie Khadi, Ayluna, Sante hinzugekommen, die mit Nuancen, Rezepturen und Auftritten unterschiedliche Akzente setzen und dazu einladen, den persönlichen Favoriten zu entdecken.
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 88 — Herbst 2020