»Mit scharf?« so lautet die Standard-Frage bei jeder Bestellung in unserem Stadtteil-Döner-Laden. Wird genickt, folgt unweigerlich das Nachhaken »mit viel scharf?«. Es macht Spaß, beim Schlange stehen zu beobachten, wie unterschiedlich die Reaktionen der Befragten ausfallen – von Begeisterung bis Ablehnung ist das ganze Spektrum vertreten. Scharf ist eine Frage des Geschmacks. Oder vielmehr des Empfindens: Denn anders als salzig, sauer, süß, bitter und umami ist scharf kein Geschmack, sondern eine Empfindung, und zwar eine Schmerzempfindung. Das muss man mögen. Wie sehr oder wenig wir scharf mögen, das ist eine Frage der Gewohnheit: Je häufiger und schärfer gegessen wird, desto abgehärteter reagieren wir.
Der Stoff, aus dem die Schärfe ist
Aber warum tun sich Menschen das überhaupt an? Verantwortlich für das Feuer im Mund ist der Stoff Capsaicin. Er ist in fast allen Früchten der Familie Paprika, auch Capsicum genannt, enthalten – allerdings in äußerst unterschiedlichen Kombinationen. Das Spektrum reicht dabei von einer Gemüsepaprika, die überhaupt nicht scharf schmeckt, bis zu den höllischen Höhen einer Habanero-Chili.
Familie Capsicum
Paprika, Peperoni, Chili – so unterschiedlich sie schmecken, so schwierig ist es, die Unterschiede lupenrein zu definieren. Grundsätzlich gehören sie nämlich alle zur Gattung Capsicum, die ihren Ursprung in Süd- und Mittelamerika hat. Hier in Deutschland nennen wir die milden Gemüse-Exemplare in der Regel Paprikaschoten. Als Peperoni werden die spitzeren, leicht bis ordentlich scharfen Schoten aus dem Mittelmeerraum bezeichnet und die richtig scharfen Schoten als Chili.
Ein schöner Schmerz
Aber zurück zum Capsaicin: Das löst auf der Mundschleimhaut einen Schmerzreiz aus, durch den wiederum werden Endorphine ausgeschüttet. Deshalb sagt man Chili und anderen scharfen Gewürzen nach, dass sie glücklich machen. Gleichzeitig wird’s uns heiß, wir kommen ins Schwitzen: Das ist vermutlich auch der Grund dafür, das überall da, wo es heiß ist, auch gerne chilischarf gegessen wird. Zum Vergleich: In Mexiko und Thailand werden täglich zwischen 25–200 mg Capsaicinoide durch den Verzehr von Chilis aufgenommen. In Mitteleuropa beträgt die durchschnittliche Aufnahme hingegen lediglich 1,5 mg pro Tag, so das Landeszentrum für Ernährung Baden-Württemberg auf seiner Internetseite. Übrigens: Eigentlich hat die Schärfe bei der Wildform der Schoten, die botanisch betrachtet übrigens Beeren sind, die Funktion, Fressfeinde abzuschrecken. Das hat also nicht so richtig geklappt.
Von 0 auf 16.000
Wie scharf ist das? Um diese Frage zu beantworten, entwickelte Wilbur Scoville bereits 1912 die bis heute gebräuchliche und nach ihm benannte Scoville-Skala. Kosteten damals noch Probanden, wird der Schärfegrad heute messtechnisch bestimmt. In der »Chiliheads« genannten Szene der extremen Chili-Fans geht es darum, Rekorde zu brechen – sei es beim Züchten oder beim Essen. Sorten wie »Carolina Reaper« oder »Dragon’s Breath« erreichen Werte von über 2.200.000 Scoville – ein übliches Pfefferspray liegt bei 100.000 bis 200.000 Scoville. Puh. Essen kann man diese Chilis nicht wirklich, sie lösen einen enormen Schärfeschmerz nicht nur im Mund sondern auch im Magen aus. Dass das nicht gesund ist, zu Magen- und Kreislaufproblemen führen kann, liegt auf der Hand, ebenso, dass man die wirklich scharfen Sachen kindersicher aufbewahren sollte. Und auch wenn wir die Extreme gerne den Chiliheads überlassen und in die tägliche Küche zurückkehren, noch ein Tipp: Wasser trinken gegen zu viel Chili – das bringt gar nichts. Capsaicin ist nämlich nicht wasserlöslich. Mit Fetthaltigem wie Milch oder Joghurt funktioniert es besser, auch ein Stück Brot gründlich zu kauen hilft.
Frisch geschärft
Auch bei der Vorbereitung ist im Umgang mit frischen Chilis Vorsicht geboten, wie jeder weiß, der erst eine Chili zerschnippelte und sich dann gedankenverloren die Nase oder gar die Augen rieb. Also, aufpassen, hinterher gründlich die Hände waschen, Messer und Brett sorgfältig abspülen. Noch eine Tücke der frischen Chili: Manche schmecken unten ganz harmlos und entfalten erst im oberen Bereich eine höllische Schärfe (besonders viel Capsa-icin ist in den Samenhäuten enthalten). Auch Exemplare, die von einem Strauch stammen, können ganz unterschiedlich in der Intensität sein (Chili, Peperoni und Co. lassen sich bestens nicht nur im Garten, sondern sogar im Kübel auf dem Balkon ziehen).
Würzen und Nachwürzen
Gleichmäßige Schärfe liefern und rund ums Jahr zur Hand sind die Schoten getrocknet und vermahlen als Gewürz. Als milder Paprika verleihen sie Aroma ohne Schärfe, als rosenscharfe Variante sind sie »pikant«, wie eine beliebte Umschreibung für ein bisschen Schärfe lautet. Chili als Flocken oder fein vermahlen bringen genau den gewünschten Schärfegrad ins Essen. Übrigens: Schärfe passt nicht nur in herzhafte Gerichte. Auch Süß und Scharf sind ein gutes Paar, zum Beispiel Schoko und Chili.
Von der Hausfrauenküche ins Supermarktregal
Da Schärfe aber nun mal nicht jedermanns oder jederfraus Sache ist, sind Chili-Zubereitungen zum Nachwürzen bei Tisch eine feine Sache. Unangefochtener Marktführer ist das – leider konventionelle – Tabasco, das fast schon ein Synonym für Chili-Würzsauce ist. Bereits 1912 wurde sie patentiert. Aber davon mal abgesehen: Vom kanarischen roten Mojo über das nordafrikanische Harissa bis zu thailändischen Currypasten: Jeder Kontinent hat seine Scharfmacher, die für authentischen Geschmack sorgen und auch hierzulande ihre Fans haben. Doch leider: Auf dem Weg von der Familienküche des jeweiligen Landes in die Regale der Supermärkte leidet das Flair, gesellen sich Aromen, Stabilisatoren, Konservierungsstoffe, kurz die gesamten »Segnungen« der modernen Lebensmittelindustrie dazu. Wie gut, dass es auch Bio-Macher gibt, die es scharf mögen und uns mit ihren Kreationen einheizen.
Lieber Bio-Schärfe
Ob frisch als Gemüse oder getrocknet als Gewürz: Leider fallen sowohl konventionelle Paprika als auch Paprika, Chili und die aus ihnen hergestellten Mischungen und Produkte immer mal wieder unliebsam auf. Mal sind es Schimmelpilzgifte, mal Schwermetalle und natürlich immer wieder Pestizidrückstände. Logisch, dass Pflanzen, die ökologisch angebaut wurden, in der Regel weniger problembehaftet sind. Auch bei der Verarbeitung und Qualitätskontrolle lassen Bio-Hersteller besondere Sorgfalt walten. Die Eingangsfrage beantworten wir für uns jedenfalls ganz klar: Mit viel scharf. Und zwar bitte in Bio.
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 88 — Herbst 2020