Ein Traktor, der über das Feld rattert, um die Ernte einzufahren, ein Landwirt, der die Futtertröge seiner Tiere füllt, fleißige Hände, die Kisten mit Gemüse frisch vom Acker befüllen: Das sind die Bilder, die wohl bei den meisten Menschen im Kopf entstehen, wenn man an Arbeitsplätze in der Bio-Branche denkt. Dabei bietet »Arbeiten für Bio« sehr viel mehr Arbeitsbereiche als »nur« die Landwirtschaft und hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem regelrechten Jobmotor und ernstzunehmenden Wirtschaftsfaktor entwickelt.
Nachhaltigkeit schafft so viele Arbeitsplätze wie Automobilbranche
Das konnte eine Erhebung im Auftrag des Bundesverband Ökologische Landwirtschaft (BÖLW) jetzt mit handfesten Zahlen belegen: Von Juli bis November letzten Jahres nahmen 473 Betriebe aus der ökologischen Lebensmittelwirtschaft an einer Online-Umfrage teil, ergänzend wurden Statistiken der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) sowie des Statistischen Bundesamtes ausgewertet. Das Ergebnis: Mehr als 380.000 Menschen sind in der ökologischen Lebensmittelwirtschaft beschäftigt. Damit arbeiten in der Bio-Branche fast genauso viele Menschen wie im Bereich der erneuerbaren Energien, in dem laut Bundesumweltamt 387.700 Menschen beschäftigt sind. Zum Vergleich: In der Automobilindustrie sind (derzeit noch) 780.000 Personen beschäftigt. Das heißt: Die ökologische Lebensmittelwirtschaft und die erneuerbaren Energien sorgen für vergleichbar viele Arbeitsplätze wie die in Wirtschaftskommunikation und Politik stets sehr präsente Automobilbranche — ein starkes Signal für die Bedeutung nachhaltiger Wirtschaftssektoren.
Ein überraschender Anstieg
Die letzte vergleichbare Erhebung wurde im Jahr 2009 vom PresseForum BioBranche durchgeführt. Damals wies die ökologische Lebensmittelwirtschaft 180.000 Beschäftigte aus — ein Anstieg um fast 125 Prozent! »Wir dachten uns bereits, dass es ein ordentliches Wachstum in den Arbeitsplatzzahlen geben wird«, sagt Carola Krieger, Referentin für Verarbeitung und Handel beim BÖLW. »Aber dass es so viele Arbeitsplätze sind, hat uns dann doch positiv überrascht.« Die Zahlen verdeutlichen die wirtschaftliche Kraft der Bio-Branche und sollen auch der Politik deutlich kommunizieren, wie wichtig Bio für die Wirtschaft ist. 2023 erreichte der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln eine Rekordsumme von 16,08 Milliarden Euro. Für das Jahr 2024 wird diese sogar noch einmal übertroffen werden.
Was viele überraschen dürfte: Die meisten Bio-Beschäftigten sind im Bereich Verarbeitung tätig, also zwischen Feld und Regal, dort wo aus Getreide Brot und Nudeln werden, Gemüse zu Aufstrich, Suppen oder Tiefkühlware wird.
Löwenanteil der Arbeitsplätze in den Bio-Firmen
Was viele überraschen dürfte: Die meisten Bio-Beschäftigten sind im Bereich Verarbeitung tätig, also zwischen Feld und Regal, dort wo aus Getreide Brot und Nudeln werden, Gemüse zu Aufstrich, Suppen oder Tiefkühlware wird. Ob Lebensmitteltechnik, handwerkliche Verarbeitung, Marketing und Vertrieb, sowie Büro und Logistik: »Die Hälfte der Arbeitsplätze ist in diesem Sektor angesiedelt. Das liegt daran, dass es im Supermarkt kaum ein Produkt gibt, was nicht verarbeitet ist«, ordnet Carola Krieger ein. Erst darauf folgt die landwirtschaftliche Erzeugung, wo 29 Prozent der Arbeitsplätze angesiedelt sind. 21 Prozent der Arbeitsplätze entfallen auf den Lebensmittelhandel.
Chancen für Vielfalt
So viel zu den reinen Prozentzahlen. Doch die Erhebung zeigte noch mehr. »Die Bio-Branche ist sehr weiblich geprägt, insbesondere im Bereich Landwirtschaft und Verarbeitung, das ist etwas Besonderes«, so Carola Krieger. Auf alle Bereiche verteilt sind laut der Studie 55 Prozent der Beschäftigten männlich, 44 Prozent weiblich und ein Prozent divers.
Eine weitere Besonderheit der Bio-Branche als Arbeitgeber: das Engagement für Integration und Inklusion. 35 Prozent der Betriebe beschäftigen geflüchtete Menschen, 37 Prozent gaben an, Menschen mit Handicap zu beschäftigen. »In der ökologischen Landwirtschaft wird viel weniger mit gefährlichen, chemischen Stoffen gearbeitet. Das erleichtert die Zusammenarbeit mit Menschen mit Handicap«, so Carola Krieger. Bio-Unternehmen bieten auch besonders viele Ausbildungsplätze an: Knapp die Hälfte der Unternehmen bildet aus, im gesamtdeutschen Durchschnitt sind es lediglich 30 Prozent.
Arbeitsplätze mit Sinn punkten bei Gen Z
Umwelt- und Klimaschutz als Bestandteil der Unternehmenskultur, Fairness im Umgang mit Lieferant:innen sowie eine Unternehmenskultur, die Flexibilität und Individualität ermöglicht: Das sind gute Argumente, wenn es um die Wahl des Arbeitsplatzes geht. Gerade der Gen Z, die jetzt in den Arbeitsmarkt eintritt, sind diese Aspekte wichtig. Das zeigt zum Beispiel eine Studie des Personaldienstleisters Academic Work aus dem Jahr 2023, für die 1.335 junge Berufstätige in Deutschland befragt wurden. 59 Prozent gaben an, dass Flexibilität und Work-Life-Balance die wichtigsten Faktoren bei der Wahl des Arbeitgebers seien. Bei einer Studie des Personaldienstleisters ManpowerGroup aus demselben Jahr gaben 73 Prozent der 18- bis 24-Jährigen an, dass sie die Umweltbilanz eines möglichen Arbeitgebers recherchieren würden. Für 45 Prozent hat das Umweltengagement eines Unternehmens Einfluss darauf, ein Jobangebot anzunehmen oder nicht. Insgesamt wurden 5.029 Arbeitnehmende in den USA, den Niederlanden, Spanien, Deutschland, Frankreich, Schweiz und Großbritannien befragt.
Work-Life-Balance in Bio-Qualität
Ein Beispiel dafür, wie Bio-Betriebe Sinn, Flexibilität und Work-Life-Balance verbinden, ist die österreichische Firma Sonnentor. Gestartet mit rund 30 Mitarbeitenden sind heute im Firmenverbund an die 600 Mitarbeitende beschäftigt, am Hauptstandort Sprögnitz sind es rund 300. Klaus Doppler ist als Teil der Geschäftsführung von Anfang an dabei und bildet mit seiner langen Betriebszugehörigkeit keine Ausnahme: »Mitarbeitende bleiben rund sechs bis sieben Jahre im Betrieb. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass die Firma erst 35 Jahre alt ist und erst seit 20 Jahren größere Dimensionen von 350 Mitarbeitenden umfasst«, so Doppler. Sonnentor punktet mit 150 verschiedenen Zeitmodellen, der 4‑Tage-Woche (selbst in der Produktion) und einem kostenlosen Sportangebot. Außerdem gibt es seit 2014 einen Kindergarten am Standort Sprögnitz, in dem 17 Kinder das ganze Jahr über betreut werden. Im ebenfalls 2014 eröffneten Gasthaus gibt es für die Mitarbeitenden jeden Tag ein kostenloses Mittagessen — natürlich Bio. Klaus Doppler ist davon überzeugt, dass Bio-Unternehmen in den Bereichen Work-Life-Balance und Fairness am Arbeitsplatz sozusagen von Natur aus eine Vorreiterrolle einnehmen: »In Bio-Betrieben sind schon von Anfang an gewisse Werte zugrunde gelegt. Alles soll so aufbereitet sein, dass nicht der eine ein Vielfaches bekommt während andere ausgepresst werden. ›Sinnmaximierung statt Gewinnmaximierung‹, wie unser Firmengründer Johannes Gutman zu sagen pflegt.«
Eine auf Zukunft und Nachhaltigkeit ausgerichtete Branche mit stetigem Wachstum: Bio sichert langfristig Arbeits- und Ausbildungsplätze und schafft eine stabile Nachfrage nach lokaler Infrastruktur wie Handwerk, Schulen und Nahversorgung.
Stark im ländlichen Raum
Eine offizielle Landkarte, die zeigt, in welchen Regionen sich Bio-Betriebe ansiedeln, gibt es nicht. Aber: »Grundsätzlich siedeln sich Verarbeitungsbetriebe naturgemäß eher ländlich an, da hier die notwendigen Rohstoffe verfügbar und gleichzeitig die Gewerbeflächen günstiger sind als im urbanen Raum«, sagt Carola Krieger. Das kann Christof Henne, Geschäftsführender Gesellschafter des Bio-Feinkost-Unternehmens Petersilchen, bestätigen. Seit 2014 ist das Unternehmen am ländlichen Standort Steinheim in Nordrhein-Westfalen angesiedelt: »An unserem aktuellen Standort haben wir eine angemessene Gewerbeimmobilie gefunden, die auch bezahlbar war. Aus privater Sicht schätze ich die hohe Lebensqualität dieser Region, insbesondere die meiner Heimatstadt Detmold.« Eine auf Zukunft und Nachhaltigkeit ausgerichtete Branche mit stetigem Wachstum: Bio sichert langfristig Arbeits- und Ausbildungsplätze und schafft eine stabile Nachfrage nach lokaler Infrastruktur wie Handwerk, Schulen und Nahversorgung. Während Großbetriebe zunehmend ihre Produktion ins Ausland verlagern oder Stellen abbauen, bleiben viele Bio-Betriebe eng mit ihrem Standort verbunden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sie oft inhabergeführt und mittelständisch sind. »Viele Bio-Unternehmen pflegen langfristige Partnerschaften mit festen Zulieferern, etwa durch Vertragslandwirtschaft mit gemeinsamer Anbauplanung. In Krisenzeiten halten sie zusammen und stärken sich gegenseitig«, erklärt Krieger. Auch das Unternehmen Bio Planète, Hersteller von biologischen Ölen, ist im ländlichen Raum angesiedelt. Gründerin und Inhaberin Judith Faller-Moog erklärt, warum: »Sowohl Bram als auch Klappendorf sind kleine, landwirtschaftlich geprägte Dörfer. Bio-Landwirtschaft ist die Grundlage für unsere Öle. Deshalb ist es nur logisch, dass sich unsere Ölmühle direkt zwischen den Feldern befindet.« Und sie lobt den Standort und seine Menschen: »Der Zusammenhalt der Menschen hier ist einzigartig. Es wird gemeinsam viel gelacht, gefeiert und sich umeinander gekümmert.«
Impulse für die gesamte Lebensmittelwirtschaft
Die Impulse, die die Bio-Branche setzt, wirken allerdings weit über den ländlichen Raum hinaus: »Ökolandbau und Ökolebensmittelwirtschaft sind ein wichtiger Bestandteil der gesamten Ernährungsbranche«, sagt Dr. Heike Kuhnert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thünen-Institut, einem Forschungsinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. »Aus der Öko-Branche sind in den letzten Jahren häufig Innovationen gekommen, die Impulse für die gesamte Ernährungsbranche gesetzt haben — sowohl auf Ebene der Landwirtschaft als auch auf der Verarbeitungsebene. Beispielsweise haben Öko-Molkereien neue Rezepturen für Bio-Joghurts entwickelt, die mit sehr wenigen, im Öko-Bereich erlaubten, Zusatzstoffen auskommen.«
Für eine bessere Zukunft
Heike Kuhnert geht davon aus, dass die Bio-Branche auch in Zukunft stetig weiterwachsen wird, wenn auch vielleicht auf einem niedrigeren Niveau als in den Jahren zuvor. Carola Krieger geht ebenfalls von einer positiven Entwicklung aus. Somit wird die Bio-Branche auch weiterhin ein wichtiger Faktor bleiben, wenn es um Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze geht. Gut so. Denn Bio macht vor, wie Arbeitsplätze zukunftssicher und fair gestaltet werden können. Wie die Lebensmittelversorgung nachhaltiger werden kann. Wie erfolgreiches Wirtschaften im Einklang mit Umwelt- und Klimaschutz funktioniert. Und wie Arbeitsplätze mit Sinn neben viel Freude auch den Weg für eine bessere Zukunft bereiten.
→ Katrin Brahner