In der Kaffeerösterei im Leipziger Westen riecht es am frühen Morgen nach Gras und Stroh. Keine Spur von Kaffeeduft. »Der Geruch kommt schon noch«, sagt Jens Klein, 39, der an einem Laptop neben der schwarzen Röstmaschine steht. »Erst wenn die Kaffeebohnen geröstet werden, entwickeln sie ihr Aroma.« In dem Hochregal, das Jens Klein in der Halle der Rösterei angemietet hat, liegen rund zwei Tonnen Arabica-Kaffeebohnen aus Nicaragua. Auf den Jutesäcken steht Cafe Chavalo, frei übersetzt »der Kaffeejunge«. So heißt der Bio- und fair gehandelte Kaffee, den der Leipziger seit 2014 aus Nicaragua importiert.

Unabhängigkeit vom schwankenden Weltmarkt
Für die Bauern in Nicaragua bedeutet dieser direkte Handel verlässliche Abnahme, langfristige Verträge und Preise, die über dem schwankenden Weltmarkt liegen. »Uns war es von Anfang an wichtig, dass die Produzenten nicht nur überleben, sondern von ihrer Arbeit leben können«, sagt Klein, der gerade die erste Fuhre Kaffeebohnen in die Röstmaschine gegeben hat. Die umherwirbelnden Bohnen im Inneren der Maschine sehen aus wie geschälte Erdnüsse mit einem leichten Graustich. Und sind wahre Geschmackswunder: »In jeder Bohne schlummern rund 800 verschiedene Aromen.« Klein gibt den Kaffeebohnen Zeit, röstet sie schonend, damit sie ihr gesamtes Aroma entfalten können. »Industriell gefertigter Kaffee wird bei hohen Temperaturen zwischen zwei und vier Minuten geröstet«, sagt Klein. Der Chavalo Kaffee bleibt gut zwölf Minuten in der Röstmaschine. Als der Laptop piept, öffnet Klein die Luke der Maschine. Ein Schwall dunkler Kaffeebohnen strömt dampfend und knisternd heraus. Ihr Geruch erfüllt schlagartig den Raum. Der würzige Duft lässt die Herzen von Kaffeetrinkenden höher schlagen.
Für den Kaffee wird es heiß
Und davon gibt es in Deutschland viele. Kaffee ist das mit Abstand beliebteste Heißgetränk der Deutschen. Rund 167 Liter Kaffee trinken sie jedes Jahr pro Kopf. Die Sorte Arabica macht ca. 70 Prozent des Marktes aus. Doch laut einer Studie der Forschungsgruppe Geography of Food an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften könnten Arabica-Kaffeebohnen schon bald ein rares und kostbares Gut sein. Das wissenschaftliche Team erstellte verschiedene Zukunftsszenarien für die weltweiten Kaffeeanbaugebiete. Die Testmodelle zeigen die erwartbaren Auswirkungen des Klimawandels — und die könnten verheerend sein. Der Klimawandel stellt den Kaffeesektor weltweit vor große Herausforderungen. »Die Arabica-Pflanze wächst im tropischen und subtropischen Klima. Sie mag es warm, aber nicht zu heiß«, sagt Umweltwissenschaftler Roman Grüter, 36, Mitglied des Schweizer Forschungsteams. »Sie ist eine empfindliche Pflanze.« Im sogenannten »Kaffeegürtel« entlang des Äquators sind die klimatischen Bedingungen für den Anbau optimal: Kühle Nächte, regelmäßiger Niederschlag und Tagestemperaturen zwischen 18 und 22 Grad. Steigt das Thermometer über die Wohlfühltemperaturen der Pflanze hinaus, fühlt sie sich schnell gestresst. Auf hohe Temperaturen folgen Schädlinge und Krankheiten — selbst in Höhenlagen, die bislang als sicher galten.
»Anbaueignung könnte stark abnehmen«
Massive Ernteeinbußen und sinkende Profite sind die Folge. »Alle Hauptanbaugebiete könnten in Zukunft betroffen sein«, sagt der Schweizer Wissenschaftler. Auch auf eine steigende Zahl an Extremwetterereignissen müssten sich die Kaffeeanbauenden rund um den Globus einstellen. Lange Trockenperioden, Tropenstürme oder Überschwemmungen: Die Aussichten sind düster. Bis 2050 könnten mehr als die Hälfte der für den Anbau von Arabica-Kaffeesträuchern geeigneten Flächen weltweit von negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein, so die Forschenden. »Das heißt nicht, dass der Kaffeeanbau dort nicht mehr möglich ist. Aber in einem großen Teil der Anbaugebiete könnte die Anbaueignung stark abnehmen«, sagt der Umweltwissenschaftler. »Zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort tatsächlich kein Kaffee mehr angebaut werden kann, lässt sich aber nicht prognostizieren.« Fest steht: Wenn die Profitabilität sinkt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass alternative Kulturen die Arabica-Pflanze ersetzen. Auch für Nicaragua stehen die Prognosen schlecht. Das Land befindet sich auf Platz 12 der Kaffee exportierenden Nationen. Rund ein Viertel seiner Exporteinnahmen verdankt das mittelamerikanische Land dem schwarzen Gold. Neben befürchteten Flächenreduktionen durch den Klimawandel und Extremwetterereignisse sorgen laut US-Informationsbehörde Foreign Agriculture Service auch die politischen Verhältnisse in dem Land für erschwerte Bedingungen, die beispielsweise dazu führen, dass Arbeitskräfte abwandern.

Ökologische Mischkultur als Zukunftsmodell
Jens Klein blickt trotzdem optimistisch in die Zukunft. Seinen fair gehandelten Bio-Kaffee bezieht er über zwei Kleinbauernkooperativen. Viele der Bäuerinnen und Bauern kennt er persönlich. Bilder zeigen ihn bei seinen Besuchen auf den Kaffeeplantagen der Kooperative Tierra Nueva, nordöstlich der Hauptstadt Managua. Auf den ersten Blick sind die Kaffeesträucher auf den Bildern kaum auszumachen. Sie verstecken sich zwischen Palmen, Laubbäumen und Bananenstauden. »Die Bäume dienen als Schattenspender, so ist die Kaffeepflanze vor der Sonne geschützt und die Feuchtigkeit bleibt im Boden«, sagt Klein. Arabica-Kaffeepflanzen in ökologisch angebauten Mischkulturen im Wald wachsen zu lassen, gilt als zukunftsweisendes Konzept. Auch faire Handelsbeziehungen werden in Zukunft eine größere Rolle spielen, davon ist der Leipziger überzeugt. »Wir geben schon heute unser Bestes, arbeiten transparent, lassen die Kooperativen mitentscheiden.« Einen eigenen kleinen Effekt erzielen und das Leben für die Menschen besser machen. Das ist das Ziel von Jens Klein.
Gegen die Ungerechtigkeit des globalen (Kaffee-)Handels
Bereits seit seiner Jugend interessiert er sich für fairen Handel, arbeitete in einem Eine-Welt-Laden. »Ich war immer derjenige mit der komischen Schokolade«, sagt er und lacht. Später studierte er Medienwissenschaft und Geographie, bevor er im Lokaljournalismus Fuß fasste. Doch das Fair Trade-Thema ließ ihn nicht los. Also gab er vor zwölf Jahren seinen Job als Lokaljournalist auf und flog nach Lateinamerika. »In Nicaragua besuchte ich einen Sprachkurs und arbeitete bei einer Minikooperative im Tourismus mit.« Nebenbei besuchte er Kaffee-Fincas und redete mit den Menschen über fairen Handel. »Ich bin dort völlig unbedarft hingefahren, rein aus Interesse und die Menschen waren total gastfreundlich. Das hat mich nachhaltig beeindruckt.« Nach einigen Monaten auf Reisen kehrte er nach Nicaragua zurück. »Die Kaffee-Kooperativen, die ich besucht hatte, mussten aufgrund der geringen Nachfrage einen Teil ihrer Bio-Ernte billig auf dem Weltmarkt verkaufen«, sagt Jens Klein. Fairer Handel sah für ihn anders aus. Er wollte der Ungerechtigkeit des globalen Handelns nicht mehr hilflos ausgeliefert sein, sondern selbst etwas verändern. »Also gründete ich Café Chavalo als Nebenerwerb.«
Die Erbschaft seiner Oma machte es möglich. »Sie hieß passenderweise Melitta«, sagt er. Das sei doch ein Zeichen.
Vom Einzelunternehmen zur Genossenschaft
Die erste Lieferung von fünfeinhalb Tonnen kam mit einem Containerschiff im Hamburger Hafen an, die Bio-Kontrolle wurde in der WG-Küche durchgeführt. »Heute importieren wir gut das Zehnfache.« Ein Viertel des Kaffees wird auf dem 43 Meter langen und über 100 Jahre alten Frachtsegler »Avontuur« meeresschonend nach Deutschland transportiert, der Rest auf Containerschiffen. Aus dem Einzelunternehmen ist längst eine Genossenschaft geworden. Rund 100 Mitglieder hat sie, darunter auch die beiden Kooperativen aus Nicaragua, die sich zu Generalversammlungen etc. per Zoom dazu schalten.
Zusammenarbeit mit sozialen Werkstätten
In der Leipziger Rösterei verschließt Jens Klein gerade den letzten Blecheimer mit fertig gerösteten Arabica-Bohnen. Sie werden nun per Lastenradkurier in das Leipziger Lager gebracht, ein unscheinbares Hinterhofgebäude im Norden der Stadt, gleich neben den Bahngleisen. Ein Lastwagen des Christlichen Sozialwerks Leipzig parkt an der Rampe. Klein grüßt den Fahrer, der Kartons mit fertig verpacktem Chavalo Kaffee auslädt. »In einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung wird ein Teil unseres Kaffees gemahlen, verpackt und etikettiert«, sagt Klein. Ein Sparmodell sei das nicht, sondern eine bewusste Entscheidung. »Ich habe einfach ein gutes Gefühl dabei.«
Pilotprojekt Kaffee-SoLaWi
Im Lagerraum stapeln sich 80 verschiedene Café Chavalo-Produkte in deckenhohen Regalen. Aus einem Pappkarton zieht der Kaffeehändler eine schwarze Packung »wir.Kaffee« — »fein-nussiger Bio-Kaffee aus solidarischer Landwirtschaft« steht darauf. Mit diesem Kaffee ist Jens Klein noch einen Schritt weiter gegangen. »Während der Corona-Zeit haben uns nicaraguanische Kleinbauern von ihrer schwierigen Lage berichtet.« Es fehlte an Masken, Handschuhen und einfachen Grundnahrungsmitteln. »Wir wollten ein Zeichen der Solidarität
setzen und haben die Idee der solidarischen Landwirtschaft auf unseren Kaffee übertragen — mit einer neuen Kaffeelinie.« Aber wie richtet man ein eher regional ausgerichtetes Modell auf den globalen Kaffeehandel aus? »Wir haben uns erstmal von dem Gedanken verabschiedet, Kaffee für einen Preis pro Kilogramm zu kaufen, wie es sonst üblich ist.« Stattdessen hat er die Produzenten gebeten, zu berechnen, wie viel Geld sie mit dem Kaffee pro Jahr verdienen müssen, um ein gutes Leben zu haben. »Und das ist der Betrag, den wir zahlen.« Jedes Jahr im Voraus, für die gesamte Ernte. »Auch wenn der Ernteerfolg gering ist oder es Missernten gibt.« Das Risiko verteilt sich auf die Schultern von vielen. »Das Projekt ist auf Langfristigkeit ausgelegt. Über einen gewissen Zeitraum werden sich selbst größere Schwankungen ausgleichen.«
»Im Moment ist es schwer, Menschen zu motivieren«
Rund 15 Prozent der Anteile in der SoLaWi sind bislang vergeben. »Ein Anteil entspricht ungefähr einem Kilo Bio-Kaffee, der für etwa 25 Euro gezeichnet werden kann.« Momentan beziehen etwa 150 Anteilseigner den »wir.Kaffee«: Privatpersonen, Läden, Firmen. Den Rest nimmt die Genossenschaft ab. »Im Augenblick ist es schwer, Menschen dazu zu motivieren, sich an irgendwas längerfristig zu binden und sei es nur an Kaffee.« Es ist aber gerade die Langfristigkeit, die für die 15 produzierenden Familien in Nicaragua den Unterschied macht. Erstmals sind Zukunftsinvestitionen für sie planbar. »Das eröffnet ihnen völlig neue Möglichkeiten.« Noch verdient Jens Klein kaum Geld mit dem SoLaWi-Kaffee. »Aber sobald alle Anteile vergeben sind, fallen Marketing und Vertrieb fast vollständig weg und dann bin ich nur noch der Logistiker, der den Kaffee transportiert«, sagt er. Der Kaffeehändler kennt weltweit kein vergleichbares Modell. »Andere SoLaWis ordern auch Kaffee, aber keiner nimmt den Bäuerinnen und Bauern die gesamte Ernte ab.« Als Kaffeeabo bezeichnet Klein die anderen Modelle. »Dort bestellt der Anteilseigner über die SoLaWi eine gewisse Menge. Aber was passiert mit dem Rest der Ernte?«, fragt Klein. Empowerment sieht für ihn anders aus. »Unsere SoLaWi-Familien können sich zu Jahresbeginn zusammensetzen und ihre Investitionen langfristig planen und priorisieren.«
Zukunft für Pflanzen und Menschen sichern
Wie wichtig langfristiges Planen ist, betont auch Umweltwissenschaftler Grüter. Mit dem Klimawandel kämen auf den Kaffeesektor unkalkulierbare Kosten zu. Es gebe verschiedene Ansätze, wie Kaffeeplantagen den Herausforderungen des Klimawandels begegnen können, so der Schweizer Forscher. Ein »gewisses Potenzial« sieht er in gezüchteten Pflanzensorten, die resistenter gegenüber Hitze, Trockenheit oder Schädlingen sind. Auch Anbausysteme, in denen Kaffeepflanzen von einheimischen Bäumen beschattet werden, seien wichtig. »Sie schützen die empfindlichen Pflanzen, können das Mikroklima verbessern, die Verdunstung verringern und dienen zugleich als Windschutz.« Ein weiterer wichtiger Faktor sei die Fruchtbarkeit des Bodens. Sie kann für den Ernteerfolg ebenfalls entscheidend sein. Doch das Umstellen und Forschen kostet Geld. Geld, das die meisten Kleinbauernfamilien nicht haben. Viele sind aufgrund der niedrigen Kaffeepreise schon heute in ihrer Existenz bedroht. »Der Kaffeepreis ist zu tief und die Menschen trinken zu viel davon«, resümiert Umweltwissenschaftler Grüter. Kaffee sei ein Luxusgut. Wer ihn kaufe, sollte nachhaltig angebaute Produkte von Handelsunternehmen kaufen, die mit Kooperativen zusammenarbeiten oder den Kaffee direkt importieren — ohne viel Zwischenhandel, so Grüter.
Zeit zum Handeln
Für die Kooperativen, mit denen Jens Klein in Nicaragua zusammenarbeitet, ist jetzt die Zeit zum Handeln. Klimaadaption sei ein großes Thema in dem Land. »Starke Regenfälle in der Trockenzeit zerstören ganze Ernten.« Auch der Schädlingsbefall, vor allem durch Kaffeerost, nehme zu. »Wissenschaftler empfehlen den Kaffeeanbau in höhere Lagen zu verlagern, aber Nicaragua ist geografisch limitiert«, sagt Klein. Untätig ist das Land jedoch nicht. Die Kaffeeinstitute in Mittelamerika bringen bereits heute neue Varietäten in der Arabica-Familie auf den Markt. Die Kooperativen, mit denen Klein zusammenarbeitet, versuchen zudem mit Agroforst-Projekten Pflanzen und Boden zu schützen. Und sie sorgen vor. »Früher wurde der geerntete Kaffee auf großen Betonflächen zum Trocknen ausgebreitet. Heute legen sie ihn auf Plastikplanen aus oder stellen Zelte auf, um den Kaffee vor plötzlichen Regenschauern schützen zu können.«
Für Jens Klein laufen die Geschäfte trotzdem gut. Er expandiert, verkauft den Kaffee deutschlandweit. Ein Teil des Kaffees wird mittlerweile bei einem Lohnröster in Nordrhein-Westfalen geröstet. Am Nachmittag sitzt er in seinem Büro im Leipziger Süden. Dort angekommen, macht sich Jens Klein erstmal einen Filterkaffee mit frisch gemahlenen Fair-Trade-Bohnen von der Konkurrenz. »Einige sind noch hell«, sagt er und pickt drei beigefarbene Bohnen aus dem Tütchen. »Die waren noch nicht reif.« Den Kaffee trinkt er trotzdem. »Ich war noch nie ein Kaffeegourmet«, sagt er und lacht. »Aber ich habe, selbst wenn das Geld zu Studienzeiten knapp war, immer fair gehandelten Kaffee gekauft.« Nur dann schmeckt er ihm.
Text: Kristin Kasten





