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Bio und vegan
Ein ech­tes Dreamteam

Schnitzel, Steak und Würstchen, Käse, Joghurt, Skyr: Kaum noch ein tierisches Produkt, zu dem es keine pflanzliche Alternative gibt. Wer nicht gleich auf alles Gewohnte verzichten muss, tut sich leichter, wenn es darum geht, weniger Fleisch und Milchprodukte zu konsumieren. Das wiederum ist gut für Mensch und Umwelt. Dass der Markt für pflanzliche Ersatzprodukte rasant wächst, ist also prinzipiell eine gute Nachricht. Allerdings: In vielen Alternativen stecken nicht nur Soja, Weizen, Erbsen, Lupinen, Pilze und Co., sondern auch jede Menge Zusatzstoffe — wenn man nicht auf Bio setzt.
Bioboom Ausgabe 101 Hintergrund — Bio und vegan — Ein echtes Dreamteam
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Der Wunsch, Fleisch durch pflanz­li­che Alter­na­ti­ven zu erset­zen hat Tra­di­ti­on: Tofu, das pro­te­in­rei­che Lebens­mit­tel aus der Soja­boh­ne, wird bereits seit über 2.000 Jah­ren ver­speist. Und bereits im 6. Jahr­hun­dert ent­deck­ten bud­dhis­ti­sche Mön­che in Chi­na, die aus reli­giö­sen Grün­den kein Fleisch essen, wie man aus Wei­zen­mehl das Wei­zen­ei­weiß her­aus­be­kommt und in eine schnitt­fes­te, fase­ri­ge und flei­sch­ähn­li­che Mas­se ver­wan­delt. Aus dem stell­ten sie dann Alter­na­ti­ven zu »Schwei­ne­fleisch« und »gebra­te­ner Dick­darm« her. Geor­ges Osha­wa, Begrün­der der Makro­bio­tik, brach­te das Wei­zen­ei­weiß, das er Seit­an nann­te, in den 1960er Jah­ren in die USA, dort lern­ten es euro­päi­sche Fans von Makro­bio­tik und alter­na­ti­ver Ernäh­rung ken­nen. Das wie­der­um erklärt, dass Tofu und Seit­an von Anfang an zum Sor­ti­ment der ers­ten Bio-Läden, die in den 1970er Jah­ren ent­stan­den, gehör­te, eben­so wie sehr bald auch die ers­ten »Würst­chen« und Bratlinge.

 

600 Pro­zent Umsatz­zu­wachs in zwei Jahren

 

Was lan­ge eine Nische war, ist heu­te Mega-Trend: Der Umsatz mit vege­ta­ri­schen und vega­nen Alter­na­ti­ven hat sich in Deutsch­land in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren fast ver­drei­facht. Den Groß­teil machen nach wie vor Pflan­zen­drinks aus — doch das »Pflan­zen­fleisch« holt auf. Von 2018 bis 2020 stieg der Umsatz in die­sem Seg­ment laut der Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on »Pro­Veg« um 600 Pro­zent. Neben Soja und Wei­zen wer­den heu­te immer häu­fi­ger pro­te­in­rei­che Lebens­mit­tel wie Erb­sen, Lupi­nen oder Pil­ze als Basis genutzt. Ein Ende des Booms ist nicht abseh­bar: Man­che Pro­gno­sen gehen davon aus, dass »Vleisch« bis 2030 dem Markt für Fleisch und Wurst bereits 25 Pro­zent des Umsat­zes abneh­men könn­te. Ent­spre­chend hat die Lebens­mit­tel­in­dus­trie den Trend, der ursprüng­lich im Bio-Laden zuhau­se war, für sich ent­deckt: Heu­te fin­det man »Vleisch« und »Visch« in jedem Super­markt und fast allen Dis­coun­tern. Die Rügen­wal­der Müh­le, ein Lebens­mit­tel­rie­se, bei dem die Wurst im Logo prangt, ver­kauf­te 2021 erst­mals mehr vege­ta­ri­sche und vega­ne Pro­duk­te als her­kömm­li­che Fleisch- und Wurstwaren.

 

Vega­nes ist nicht preiswerter

 

Dass sich das Geschäft lohnt, dürf­te auch dar­an lie­gen, dass die pflanz­li­chen Alter­na­ti­ven nicht unbe­dingt weni­ger kos­ten als das Ori­gi­nal — obwohl die Roh­stof­fe in der Regel güns­ti­ger sind. Zum Bei­spiel fand die Autorin die vega­nen Müh­len­fri­ka­del­len aus Soja­pro­te­in im Super­markt für 18,12 Euro pro Kilo­gramm — die Fri­ka­del­len aus Fleisch waren für nur 16,91 Euro zu haben. Wie der World Wild Life Fund For Natu­re (WWF) berich­tet, ist das kei­ne Aus­nah­me. Die Umwelt­or­ga­ni­sa­ti­on ver­gleicht regel­mä­ßig zu Beginn der Grill­sai­son Prei­se von Fleisch und vege­ta­risch-vega­nem Grill­gut und stell­te fest, dass 2023 ein Kilo­gramm Grill­fleisch im Schnitt fast zwei Euro weni­ger kos­te­te als rein pflanz­li­che Fleischalternativen.

 

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Man­che Pro­gno­sen gehen davon aus, dass »Vleisch« bis 2030 dem Markt für Fleisch und Wurst bereits 25 Pro­zent des Umsat­zes abneh­men könn­te. Ent­spre­chend hat die Lebens­mit­tel­in­dus­trie den Trend, der ursprüng­lich im Bio-Laden zuhau­se war, für sich entdeckt.

 

Bes­ser für Kli­ma und Umwelt

Für den WWF ist das ein Unding: »Der Lebens­mit­tel­ein­zel­han­del soll­te von Rabat­ten und Lock­an­ge­bo­ten für tie­ri­sche Pro­duk­te abse­hen«, for­dert er. Denn dass die pflanz­li­chen Alter­na­ti­ven bes­ser für Umwelt und Kli­ma sind, dar­an besteht kein Zwei­fel. Wer sich vegan ernährt, ver­ur­sacht je nach Berech­nung allein durch sei­ne Ess­ge­wohn­hei­ten bis zu 70 Pro­zent weni­ger CO2-Aus­stoß als Men­schen, die regel­mä­ßig Fleisch essen. Und das gilt auch, wenn ein­fach nur Vleisch statt Fleisch geges­sen wird. Das Umwelt­bun­des­amt (UBA) ver­glich 2020 die Öko­bi­lanz von Fleisch und Flei­sch­al­ter­na­ti­ven. Das Ergeb­nis war ein­deu­tig: Pro­duk­te auf Pflan­zen­ba­sis schnit­ten bes­ser ab als her­kömm­li­che Fleisch- und Wurst­wa­ren — und übri­gens auch bes­ser als Lebens­mit­tel aus Insek­ten oder Fleisch aus der Petri­scha­le. Um 100 Gramm Fleisch­pro­te­in zu erhal­ten, braucht man sechs- bis sie­ben­mal mehr Flä­che als für 100 Gramm Eiweiß aus Soja — der Umweg über das Tier ist ein­fach nicht effektiv.

 

Auch in Sachen Kli­ma kön­nen die Ersatz­pro­duk­te punk­ten: Laut UBA liegt der CO2-Aus­stoß von Rind­fleisch 27-mal über dem eines Ersat­zes auf Soja­ba­sis. Wer die Lasa­gne mit Soja­gra­nu­lat statt Rin­der­hack backt, redu­ziert ihren CO2-Fuß­ab­druck so um mehr als die Hälf­te. Das hat das ifeu (Insti­tut für Ener­gie- und Umwelt­for­schung) aus Hei­del­berg berech­net. Posi­ti­ver Neben­ef­fekt: Soja, Lupi­ne und Erb­se, auf denen vie­le Ersatz­pro­duk­te basie­ren, ver­bes­sern die Qua­li­tät des Bodens. Wer sie in die Frucht­fol­ge inte­griert, braucht weni­ger Dün­ger — der dann gar nicht erst vom Feld ins Grund­was­ser gelan­gen kann. Und wo wir schon dabei sind: Noch bes­ser wird die Umwelt­bi­lanz, wenn die Roh­stof­fe aus kon­trol­liert-bio­lo­gi­schem Anbau stam­men, in dem grund­sätz­lich kein Kunst­dün­ger und kei­ne Pes­ti­zi­de ein­ge­setzt werden.

 

Ist das gesund?

 

Als »Kil­ler« bezeich­ne­te Ernäh­rungs­me­di­zi­ner Mat­thi­as Riedl auf­merk­sam­keits­wirk­sam vega­ne und vege­ta­ri­sche Ersatz­pro­duk­te Anfang des Jah­res in der Sen­dung »stern TV«: Sie ent­hiel­ten zu vie­le Zusatz­stof­fe, Salz und Fett. Für die­se Aus­sa­ge ern­te­te er mas­si­ve Kri­tik — unter ande­rem von Mar­kus Kel­ler, der das For­schungs­in­sti­tut für pflan­zen­ba­sier­te Ernäh­rung (IFPE) in Gie­ßen lei­tet. So pau­schal kön­ne man das nicht sagen, fin­det er, man müs­se schon genau­er hin­schau­en. Genau das haben Kel­ler und sein Team näm­lich getan: Bereits 2017 unter­such­ten sie 80 Lebens­mit­tel auf ihren Nähr­wert. Die vega­nen Alter­na­ti­ven schnit­ten dabei oft bes­ser ab als die tie­ri­sche Opti­on. Sie ent­hiel­ten zum Bei­spiel deut­lich weni­ger gesät­tig­te Fett­säu­ren, aber mehr und hoch­wer­ti­ge­re Pro­te­ine. Und eine Stu­die der land­wirt­schaft­li­chen Fakul­tät an der Uni Göt­tin­gen stell­te fest, dass in pflan­zen­ba­sier­ten Würst­chen und Bur­gern ähn­lich viel Zink und sogar mehr Eisen als im Ori­gi­nal steck­ten. Ver­bes­se­rungs­be­darf sieht auch Kel­ler aller­dings beim The­ma Salz­ge­halt, der in vie­len Pro­duk­ten hoch war. Spit­zen­rei­ter war eine vega­ne Sala­mi mit 3,4 Gramm Salz pro 100 Gramm, auch in Bio-Pro­duk­ten steck­te übri­gens reich­lich Salz. Die Deut­sche Gesell­schaft für Ernäh­rung (DGE) emp­fiehlt, pro Tag nicht mehr als sechs Gramm zu essen. Doch auch die­ser Befund ist rela­tiv: Die her­kömm­li­che Sala­mi ent­hielt noch mehr Salz.

 

 

Bioboom Ausgabe 101 Hintergrund — Bio und vegan — Ein echtes Dreamteam

 

Seit den 60er-Jah­ren kön­nen sich in der ­Bun­des­re­pu­blik die meis­ten Haus­hal­te reich­lich tie­ri­sche Pro­duk­te leis­ten. Wer heu­te voll­jäh­rig ist, wuchs daher höchst­wahr­schein­lich mit Fleisch, Milch und Käse auf: »Vie­le Men­schen macht das Schnit­zel eben nicht nur satt, es spen­det auch Trost, gibt ein Gefühl von Gebor­gen­heit, ist Hei­mat und Identität.«

 

Weni­ger Zusatz­stof­fe in Bio-Produkten

 

Im Sep­tem­ber 2023 nahm das Ver­brau­cher­ma­ga­zin Öko-Test vega­ne Fisch­stäb­chen unter die Lupe und lis­tet auf, was so alles drin­steckt: Emul­ga­to­ren, Sta­bi­li­sa­to­ren und natür­lich Aro­ma. »Bes­ser wäre es in unse­ren Augen, die Pro­duk­te erzeug­ten allein mit lecke­ren Zuta­ten einen guten Geschmack, anstatt die­sen künst­lich auf­pim­pen zu müs­sen«, gars­tel­ten die Autorin­nen. Und genau das schaf­fen vega­ne Bio-Pro­duk­te: Denn vie­le der bemän­gel­ten Zuta­ten kom­men in Bio-Lebens­mit­teln schlicht nicht vor. Denn hier kom­men nur 56 der ins­ge­samt über 300 Zusatz­stof­fe zum Ein­satz, die in Deutsch­land zuge­las­sen sind (und die sich übri­gens auch in vie­len Fleisch- und Wurst­wa­ren finden).

 

Das IFPE fand im Schnitt in bio-vega­nen ­Alter­na­ti­ven genau einen Zusatz­stoff. Vie­le kom­men sogar ganz ohne Sta­bi­li­sa­to­ren, Farb- und Kon­ser­vie­rungs­stof­fe aus. In pflanz­li­chen Alter­na­ti­ven aus kon­ven­tio­nel­ler Her­stel­lung waren es durch­schnitt­lich 3,5 Zusatz­stof­fe — dar­un­ter auch umstrit­te­ne wie das Ver­di­ckungs­mit­tel Kon­jak (E 425). Künst­li­che Aro­men sind in Bio-Lebens­mit­teln ohne­hin tabu.

 

»Ersatz­pro­duk­te erleich­tern den Übergang«

 

Ob Fleisch oder Flei­sch­al­ter­na­ti­ve: Wer Lust auf Schnit­zel, Auf­schnitt und Wurst hat, greift bes­ser zu Bio. Und wie beim tie­ri­schen Pro­dukt gilt: Sie kön­nen Bestand­teil einer aus­ge­wo­ge­nen Ernäh­rung mit vie­len fri­schen pflanz­li­chen Zuta­ten sein, wie die DGE sie emp­fiehlt. Damit weni­ger Tie­re auf unse­ren Tel­lern enden, fin­det Pame­la Kerschke-Risch sol­che Lebens­mit­tel den­noch wich­tig. »Ersatz­pro­duk­te erleich­tern den Über­gang«, sagt die Ernäh­rungs­so­zio­lo­gin, die an der Uni Ham­burg unter ande­rem zu Vega­nis­mus forscht. »Ernäh­rung ist eine Fra­ge der Sozia­li­sa­ti­on«, erklärt sie. Und die sei für vie­le Deut­sche, die heu­te im Erwach­se­nen­al­ter sind, recht fleisch­las­tig ver­lau­fen: Seit den 60er-Jah­ren kön­nen sich in der Bun­des­re­pu­blik die meis­ten Haus­hal­te reich­lich tie­ri­sche Pro­duk­te leis­ten. Wer heu­te voll­jäh­rig ist, wuchs daher höchst­wahr­schein­lich mit Fleisch, Milch und Käse auf: »Vie­le Men­schen macht das Schnit­zel eben nicht nur satt, es spen­det auch Trost, gibt ein Gefühl von Gebor­gen­heit, ist Hei­mat und Iden­ti­tät«, erklärt Kerschke-Risch. Sie wür­den daher stets die bekann­ten Gerich­te essen. Wol­le man sie dazu bewe­gen, weni­ger tie­ri­sche Lebens­mit­teln zu ver­spei­sen, sei es hilf­reich, wenn sie ihr Ess­ver­hal­ten nicht groß­ar­tig ändern müss­ten. Mit­tags Fleisch, Kar­tof­feln und Gemü­se, abends Brot mit Auf­schnitt: Vega­ne Ersatz­pro­duk­te ermög­li­chen, dass sich (fast) nichts ändert.

 

Vegan Cui­sine — Blick über den Tellerrand

 

Der klas­si­sche »Drei­tei­ler« aus Fleisch, Stär­ke­bei­la­ge und Gemü­se ist in ande­ren Regio­nen weit weni­ger ver­brei­tet. In ande­ren Län­dern hat es die vega­ne Ernäh­rung daher bis­wei­len leich­ter. Arne Ewer­beck, der in Ham­burg die vega­ne Koch­schu­le »Kur­ku­ma« lei­tet, emp­fiehlt Men­schen, die ihren vega­nen Hori­zont erwei­tern wol­len, des­halb eher nicht den Griff zum fleisch­lo­sen Gulasch — son­dern den Blick über den kuli­na­ri­schen Tel­ler­rand: »In vie­len asia­ti­schen Län­dern aber zum Bei­spiel kommt man gar nicht in die Ver­le­gen­heit, Fleisch erset­zen zu müs­sen.« An sei­ner Koch­schu­le setzt er auf tra­di­tio­nel­le pflanz­li­che Pro­te­in­lie­fe­ran­ten wie Tofu, Tem­peh und Hül­sen­früch­te. Die­se Zuta­ten sind für ihn aber kein Ersatz, son­dern eine voll­wer­ti­ge Zutat — und eine gesun­de noch dazu: »Tofu, Tem­peh und Co. sind nicht nur tol­le Pro­teinquellen. Sie ste­cken auch vol­ler wert­voller Nähr­stof­fe — und las­sen sich sehr viel­fäl­tig zubereiten.«

 

Weni­ger Tier­hal­tung, weni­ger Fleisch und tie­ri­sche Pro­duk­te auf den Tel­lern: Das tut Gesund­heit, Umwelt und Kli­ma gut — erst recht, wenn die Zuta­ten aus öko­lo­gi­schem Land­bau stam­men. Bio und vegan sind eben ein ech­tes Dreamteam.

 

 


Lese­emp­feh­lung: Bio­zy­klisch-vega­ne Land­wirt­schaft — ein Bio-Land­wirt zeigt wie es geht. → Gül­le war gestern


 

 

→ The­re­sa Horbach

 

Die­ser Bei­trag erschien in Aus­ga­be 101 — Win­ter 2023

Bioboom Cover Ausgabe Nr. 100 — Winter 2023

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