Ware, die im Pestizid-Monitoring über den BNN-Orientierungswert hinaus mit Pestiziden belastet oder mit anderen unerwünschten Stoffen verunreinigt ist, gelangt nicht in die Regale der Naturkostläden. Doch oft sind nicht die Erzeuger:innen, sondern die benachbarten, konventionellen Betriebe Schuld an zu hohen Pestizidwerten, mahnt der BNN und pocht auf eine faire Lösung.
Ein Gespräch mit Holger Scharpenberg, der seit drei Jahren das BNN-Monitoring leitet.
Kristin Kasten (KK) Warum wurde das BNN-Monitoring vor zwanzig Jahren eingeführt?
Holger Scharpenberg (HS) Vor zwanzig Jahren bestand rund um das Thema Pestizidbelastung ein gewisses Vakuum. Es gab zwar bereits die gesetzlichen Rückstandshöchstgehalte, aber vielen Bio-Händler:innen ging das nicht weit genug: Man wollte es besser machen als die konventionelle Lebensmittel-Branche und orientierte sich aus diesem Grund an den wesentlich strengeren Grenzwerten für Babynahrung. So entstand die Idee des »BNN-Orientierungswerts« als Leitlinie für den Bio-Fachhandel, der mittlerweile als Standard in der Bio-Branche anerkannt ist.
Zudem hat sich der Verband dazu entschlossen, sein eigenes Pestizidmonitoring zu initiieren. Die teilnehmenden Unternehmen müssen sich – je nach Umsatz und Größe – an den Kosten für das Monitoring beteiligen. Dass sich Konkurrent:innen zusammenschließen und womöglich sogar Probleme miteinander teilen, war damals ein bahnbrechender Schritt. Das war und ist keineswegs selbstverständlich, funktioniert aber seit 20 Jahren problemlos, denn die Kooperation stärkt die Einzelunternehmen und spart zudem Kosten. Der BNN-Orientierungswert und das BNN-Monitoring bieten den Kund:innen damit zusätzliche Sicherheit.
KK Welche Bio-Produkte werden besonders häufig kontrolliert?
HS Wir haben zwei Monitorings: Eins für Obst und Gemüse, und ein zweites speziell für das Trockensortiment. Produkte, mit denen besonders viele Mitgliedsunternehmen handeln, werden von uns öfter beprobt, weil dann der Nutzen der Beprobung für alle hoch ist. Wir arbeiten zudem risikoorientiert und schauen, ob Produkte gerade besonders rar sind am Markt, beispielsweise weil die Ernte schlecht war. Wenn die Nachfrage hoch ist, weckt das schnell Begehrlichkeiten, die dann – zum Glück selten – schwarze Schafe auf den Plan rufen.
Auch wenn staatliche Monitorings auffällige Befunde aufzeigen, werden wir hellhörig und schicken solche Produktgruppen ebenfalls gerne in die Analyse. In unserem Monitoring suchen wir nicht nur nach Pestiziden, sondern – in Abstimmung mit unseren Teilnehmenden – unter anderem auch nach Kontaminanten, wie beispielsweise durch Abrieb von Verarbeitungsförderbändern, Weichmachern aus Verpackungen oder auch nach Mineralölrückständen. Das ist ein breites Feld.
»Wir wollen wirklich wissen, was passiert ist und behalten den gesamten Prozess im Blick. Nur dann können nachhaltige Maßnahmen ergriffen werden. «
KK Wie läuft das BNN-Monitoring im Frischebereich ab?
HS Wir suchen acht bis zehn unterschiedliche Produkte aus und starten einen Produktaufruf. Die Unternehmen können dann in unsere Datenbank eintragen, was sie auf Lager haben und detailliert ergänzen, wer alles – vom Anbau bis zum Vorlieferanten – in der Lieferkette involviert ist. So sind wir in der Lage, Doubletten herauszufiltern und können vermeiden, dass ein und dasselbe Produkt mehrfach analysiert wird. Wir entscheiden dann, welche Produkte beprobt werden und bitten die Unternehmen, die ausgewählten Produkte an unsere Partnerlabore zu schicken.
Die Ergebnisse der Laboranalysen pflegen wir im Anschluss wieder in unsere Datenbank ein. Rückstandsfreie Produkte werden sofort, belastete Proben nach Klärung und Ursachenrecherche für alle Teilnehmenden sichtbar. Sämtliche Laborergebnisse werden also kooperativ geteilt. Das hat den Vorteil, dass auch Unternehmen, die ein Produkt nicht selbst eingereicht haben, es aber ebenfalls im Sortiment führen, informiert werden und sofort wissen, dass auch sie betroffen sein könnten. Rund 85 bis 90 Prozent unserer Proben im BNN-Monitoring sind pestizidfrei. Die Übrigen sind rückstandsbelastet, aber oft nur im Spurenbereich.
KK Was passiert mit Ware, die über dem BNN-Orientierungswert liegt?
HS Dann beginnt die Recherche. Wo ist der Fehler im System und wie schaffen wir ihn aus der Welt? Die Frage ist immer, haben wir es mit einem vorsätzlichen Einsatz von Pestiziden zu tun oder mit einer unvermeidbaren Belastung, beispielsweise durch Abdrift von benachbarten, konventionell arbeitenden Betrieben. Wir geben dem betroffenen Unternehmen dann stets etwas Vorlaufzeit, um erstmal selbst zu recherchieren, was passiert ist. Erst dann werden alle anderen Mitglieder ebenfalls informiert. So können sich die Unternehmen untereinander absprechen und – wenn sie denselben Vorlieferanten oder Produzenten haben – auch zusammentun und gemeinsam agieren.
Wichtig ist hier: Kann der Unternehmer den Verdacht ausräumen und nachweisen, dass das betroffene Erzeugnis sowohl der EU-Öko-Verordnung als auch der Leitlinie zum BNN-Orientierungswert entspricht, darf es als Bio-Erzeugnis wieder gehandelt werden. Sobald eine Ware den gesetzlichen Höchstwert überschreitet oder sogar als gesundheitsgefährdend eingestuft wird, werden die Öko-Kontrollstellen und die Lebensmittelüberwachung eingeschaltet. Das kommt aber relativ selten vor.
KK Warum ist die Ursachenrecherche für den BNN wichtig?
HS Wir wollen wirklich wissen, was passiert ist und behalten den gesamten Prozess im Blick. Nur dann können nachhaltige Maßnahmen ergriffen werden, damit bestimmte Missstände zukünftig vermieden werden. Wenn bei der Recherche herauskommt, dass Abdrift durch konventionellen Pestizideinsatz auf einem benachbarten Acker ursächlich ist, können beispielsweise Hecken gepflanzt oder Gespräche mit der Nachbarin oder dem Nachbarn geführt werden. Die Kommunikation zwischen den Akteur:innen kann in solchen Fällen sehr hilfreich sein. Diese intensive Suche nach den Ursachen unterscheidet den Bio-Fachhandel vom übrigen Handel, beispielsweise vom LEH und den Discountern.
KK Wie reagieren die betroffenen Produzent:innen, wenn eines ihrer Produkte auffällig ist?
HS Wenn wir beispielsweise herausfinden, dass die Ursache für einen Rückstandsfund nicht geklärt werden kann, dann wird es schwierig. Denn natürlich sind solche Fälle immer mit menschlichen Schicksalen verbunden. Da hängen Existenzen dran. Wenn man auf die Menschen zugeht und bemerkt, dass man mit überzeugten Bio-Produzent:innen spricht, die mit Herz und Seele dabei sind, und sich – auch nach intensiver Recherche – selbst nicht erklären können, wie Rückstandswerte zustande kommen, ist das für keine Seite leicht.
Die Bio-Bäuerin oder der Bio-Bauer sind dann in der Beweispflicht. Sie müssen nachweisen, dass sie keine Pestizide eingesetzt haben. Und das ist oftmals schwierig. Wenn die Ware vernichtet werden muss, kann das wirklich schlimme Konsequenzen für den Betrieb mit sich bringen. Nicht nur der hohe finanzielle Verlust gefährdet die Zukunft des Betriebs, sondern auch der damit verbundene Imageschaden. Fair ist das dann nicht.
KK Was wäre aus Ihrer Sicht fair?
HS Wenn die Bio-Unternehmen beispielsweise nicht auf den Kosten für die Analysen und den Warenverlust sitzen bleiben würden. Es ist doch paradox, wenn Unternehmen, die den Schaden nicht verursacht haben, auf eigene Kosten nachweisen müssen, dass sie keine Schuld an der Verunreinigung tragen. Die Bio-Branche muss hochgerechnet rund 23 Millionen Euro pro Jahr allein für freiwillige Pestizid-Rückstandsanalysen ihrer Produkte aufbringen, insgesamt beläuft sich der Schaden nach unseren Hochrechnungen jährlich auf 100 Millionen Euro. Und das ist nur eine grobe Kalkulation. Da sind noch nicht die Folgeschäden durch die Entsorgung der geschädigten Produkte einberechnet. Deswegen haben wir kürzlich die Bundesregierung zusammen mit dem Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft aufgefordert, dem Verursacherprinzip folgend einen Schadensausgleichsfond einzurichten.
KK Gibt es Produkte, die besonders häufig über dem BNN-Orientierungswert liegen?
HS Das ist schwer zu sagen. Wir haben mehr Probleme mit Produkten, die aus Intensivanbau-Orten kommen. In Gebieten, in denen konventionelle und Bio-Produkte in geringer räumlicher Entfernung dicht gedrängt zueinander angebaut werden, finden wir häufiger belastete Proben. Die Zahl der »schwarzen Schafe«, die im Bio-Landbau bewusst Pestizide einsetzen oder konventionelle Ware zu Bio-Ware umetikettieren, ist aber nach wie vor gering.
KK Der BNN sammelt seit zwei Jahrzehnten Daten zur Verunreinigung von Bio-Produkten. Steigt die Zahl der belasteten Proben an?
HS Der überwiegende Anteil der Bio-Proben ist rückstandsfrei. Aber ja, in unseren Datensätzen sehen wir leider einen langsamen, aber stetigen Zuwachs an Rückstandsfällen im Spurenbereich, also in dem Bereich, wo Verunreinigungen zwar nicht gesundheitsgefährdend, aber bereits nachweisbar sind. Auch aktuelle wissenschaftliche Studien sprechen von einem Trend nach oben. Man könnte auch sagen: das Pestizid-Hintergrundrauschen wird allmählich lauter. Und das wird für die Bio-Betriebe natürlich zukünftig zu einem Problem: Sowohl der Bio-Fachhandel als auch die Bio-Landwirt:innen wollen den Kund:innen unbelastete und gesunde Ware anbieten, denn dafür sind sie angetreten. Mittlerweile werden Pestizide sogar in Naturschutzgebieten gefunden. Und genau da beginnt das Problem. Pestizide verbleiben eben nicht, wie von der Industrie behauptet, am Ort ihrer Ausbringung und bauen sich dort ab, sondern man findet sie mittlerweile – etwa durch Ferntransport über Stäube – nahezu überall. Selbst das Insektizid DDT, das bereits in den 70er Jahren verboten wurde, wird heute durchaus noch in Proben gefunden.
KK Soll das BNN-Monitoring in Zukunft noch ausgeweitet werden?
HS Dem BNN-Monitoring liegt – wie anfangs erwähnt – der BNN-Orientierungswert zugrunde. Dieser bezieht sich derzeit auf unverarbeitete Agrarprimär-Produkte. Im Trockensortiment kommen jedoch viele Faktoren hinzu, die die Analyseergebnisse verändern: Wenn Produkte beispielsweise getrocknet werden, kann die Konzentration von Pestiziden zunehmen oder umgekehrt sogar abnehmen. Hier müssen wir mit Verarbeitungsfaktoren arbeiten, die produktspezifisch sind. Das ist eine wirkliche Herausforderung für das BNN-Monitoring. Auch gibt es immer mehr zusammengesetzte und sogenannte Convenience-Produkte im Bio-Bereich, die die Arbeit nicht einfacher machen.
Trotzdem wollen wir einen Weg finden, dies durch neue Ideen im Monitoring zukünftig zu ermöglichen. Darüber hinaus geht in diesem Jahr unsere neuprogrammierte Monitoring-Datenbank an den Start. Das neue System lässt sehr viel mehr Rückschlüsse zwischen alten und neuen Fällen zu und unterstützt die Teilnehmenden zukünftig bei ihrer Arbeit in den Qualitäts-Fachabteilungen, damit die Bio-Kund:innen auch weiterhin alle ihre Produkte frei von Pestizidrückständen auf den Teller bekommen.
→ n‑bnn.de/leistungen-services/pestizidmonitoring
© Interview: Kristin Kasten | Fotos: Titelbild & Content © Analytica Alimentaria GmbH, Portrait © BNN
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