Müssen wir Verbraucher angesichts des Klimawandels unser Leben und unseren Alltag verändern? Oder muss die Politik aktiv werden? Beides, findet Autorin Birgit Schumacher. Hauptsache, es passiert überhaupt etwas. Denn viel Zeit haben wir nicht mehr.
Es ist schon paradox: Seit Jahrzehnten wissen wir, dass sich das Klima dramatisch verändern wird, wenn wir weiter so leben und wirtschaften wie bisher. Gleichzeitig wissen wir, wie wir den Ausstoß von Treibhausgasen wirksam reduzieren könnten. Passiert ist aber bislang viel zu wenig. Die von Schülerinnen und Schülern angestoßenen Fridays for Future-Proteste haben diese Tatsache gleichermaßen lautstark und fundiert auf die Tagesordnung gesetzt – in der Politik und in Familien, Gemeinschaften und Unternehmen.
Ein Fünftel der europäischen Treibhausgasemissionen aus Deutschland
Insgesamt ist allein Deutschland mit seinem Ausstoß von über 906 Millionen Tonnen Treibhausgasen verantwortlich für ein gutes Fünftel der gesamten Emissionen der Europäischen Union. Umgerechnet produziert jeder Deutsche jährlich über elf Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases CO2. Damit liegen wir deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 8,4 Tonnen. 13 der 28 EU-Länder schaffen es sogar, unter 8 Tonnen pro Kopf zu bleiben, zeigt die Statistik der Europäischen Umweltagentur für 2017.
Kohle und Fleisch
Dr. Michael Bilharz vom Umweltbundesamt weiß, warum Deutschland zu den großen Emittenten gehört: »Unser ganzer Konsum ist sehr stark auf der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas ausgerichtet. Aber auch unser Fleischkonsum und die damit verknüpften Methanemissionen sind überdurchschnittlich hoch.« Aber nur wenn wir bis spätestens 2050 auf einen Pro-Kopf-Ausstoß von unter einer Tonne CO2 pro Kopf kommen, kann das von der weltweiten Staatengemeinschaft 2015 in Paris vereinbarte Ziel erreicht werden, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu halten, betont der Experte. Der Weltklimarat IPCC meint sogar, dass es maximal 1,5 Grad sein dürften, um die Risiken für Mensch und Planet einigermaßen einzugrenzen.
Konzentration auf die »Big Points«
Können wir als Privatpersonen und Verbraucher angesichts der überwältigenden globalen Veränderung überhaupt etwas ausrichten? Und wenn ja, was können wir tun, damit nicht im wahrsten Sinne des Wortes »nach uns die Sintflut« kommt? Was sind die wichtigsten Stellschrauben im persönlichen Bereich? Experte Bilharz rät, sich auf die ›Big Points‹ zu konzentrieren, also auf die Maßnahmen, die besonders viel CO2 einsparen. Seine Vorschläge: zu einem Ökostrom-Anbieter wechseln, für Kurzstrecken das Fahrrad oder Bus und Bahn nehmen, das Haus gut dämmen bzw. sparsamer heizen.
Und vor allem: seltener ins Flugzeug steigen. Der International Council on Clean Transportation hat untersucht, für welche Menge Kohlendioxid die kommerzielle Luftfahrt 2018 weltweit verantwortlich ist und kam auf 918 Millionen Tonnen – das meiste stammte von Passagiermaschinen, und zwar zu je einem Drittel von Kurz‑, Mittel- und Langstreckenflügen. Kritisch zu betrachten sind vor allem Inlandsflüge: Durch den hohen Energieaufwand beim Start wird auf kurzen Stecken in etwa doppelt so viel CO2 pro Kilometer und Person ausgestoßen wie bei längeren Flügen. Die Fahrt mit der Bahn ist hier deutlich klimafreundlicher.
Bio-Lebensmittel: Klimaschutz inklusive
Auch das Ernährungsverhalten hat Einfluss auf den CO2-Ausstoß. Hier wirkt sich insbesondere die Menge des Fleischkonsums, aber auch der Kauf von Bioprodukten aus. Der Anteil der Landwirtschaft an den Gesamtemissionen liegt in Deutschland zwar nur bei knapp acht Prozent. Aber auch in diesem Bereich soll langfristig etwa ein Drittel der Emissionen eingespart werden. Und das geht nur, wenn deutlich weniger Tiere gehalten werden und auf Kunstdünger verzichtet wird. Beides ist in der Bio-Landwirtschaft schon die Regel. Wer also weniger Fleisch isst und auch noch im Bioladen einkauft, ernährt sich nicht nur bewusst und gesund, sondern schont auch Umwelt und Klima. Regionale und saisonale Ware muss überdies nicht über weite Wege transportiert werden.
Moderner Ablasshandel?
Und noch einen anderen Tipp hat Experte Bilharz vom Umweltbundesamt: »Ich kann CO2 auch bei anderen, auch mit anderen einsparen. Zum Beispiel, indem ich in bestehende Klimaschutzprojekte investiere und so meinen eigenen CO2-Ausstoß kompensiere. Oder indem ich mich finanziell beim Ausbau erneuerbarer Energien beteilige. Das ist oft einfacher und wirkungsvoller, als mit schlechtem Gewissen kleine CO2-Einsparmöglichkeiten im Alltagskonsum detektivisch aufzuspüren.« Für den Effekt von Treibhausgasen auf das Klima sei es zum Großteil eben unerheblich, wo die Emissionen stattfinden. Deshalb sei es möglich, einen Flug von Berlin nach Barcelona beispielsweise über die Finanzierung eines Projekts in Südamerika zu kompensieren.
Besser als gar nichts
Es klingt ein bisschen nach modernem Ablasshandel, die eigenen Klimasünden an anderer Stelle durch Ausgleichszahungen zu neutralisieren. Kritiker monieren deshalb, dass solche Kompensationsm glichkeiten dazu verleiten, sich nicht mehr um eine klimaschonende Lebensweise zu bemühen, sondern sich mit relativ geringem finanziellen Aufwand ein reines Gewissen zu erkaufen. Befürworter dagegen argumentieren, dass durch eine freiwillige Kompensation das Bewusstsein für die selbst verursachten Emissionen geschärft werde. Egal, wer recht hat: Besser als gar nichts zu machen sind Kompensationszahlungen
allemal.
Individuum vs. Politik
Aber auch wer mit gutem Beispiel voran geht, aufs Auto verzichtet, mit der Bahn in den Urlaub fährt, mit Strom und Heizwärme sparsam haushaltet, fragt sich nicht selten, ob das individuelle Handeln Sinn macht. Immerhin stammen in Deutschland »nur« 10,2 Prozent der Treibhausgasemissionen aus privaten Haushalten, so das Bundesumweltministerium in der neuesten Broschüre »Klimaschutz in Zahlen«.
»Gute Gesetzgebung fällt nicht vom Himmel«
Philosophisch betrachtet ist die Sache ganz klar. »Vieles spricht dafür, dass Kohlestrom, Fernreisen und SUV einfach nicht mehr drin sind. Je klarer das gesagt, je besser dafür argumentiert und je häufiger es einfach vorgelebt wird, desto eher setzt sich die Überzeugung durch, dass es unrecht ist, die Gegenwart gegenüber der Zukunft zu bevorzugen«, meint Prof. Dr. Christian Seidel, Philosoph und Sprecher des Instituts für Technikzukünfte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Und auch Dr. Christian Baatz vom Lehrstuhl für Philosophie und Ethik der Umwelt an der Uni Kiel ermutigt zu individuellem Handeln: »Gute Gesetzgebung fällt nicht vom Himmel. Fridays for Future zeigt, dass sich Politiker häufig in dem Moment bewegen, in dem dies von einer Vielzahl der Bürger gefordert wird. Durch seine Konsumentscheidungen kann man Politikern signalisieren, dass einem Klimaschutz wichtig ist. Dadurch hat das klimafreundliche Handeln des Einzelnen einen doppelten Effekt.«
Keinem auf die Füße treten
Und den Druck auf die Politik zu erhöhen, ist wichtiger als je zuvor. Das geplante Klimapaket der Bundesregierung, das im September vorgestellt wurde, wird von Fachleuten als mutlos und ineffizient kritisiert. Und es zeichnet sich ab, dass es vor der Verabschiedung noch weiter verwässert wird. Die selbst gesteckten Klimaziele – 55 Prozent CO2-Reduktion im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2030, weitgehende Klimaneutralität gar bis zum Jahr 2050 – dürften mit den zögerlich-verhaltenen Maßnahmen, die mehr auf mögliche Wutbürger als auf das Klima Rücksicht nehmen, kaum zu erreichen sein.
Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung »Energie, Verkehr und Umwelt« beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung beurteilt die von der großen Koalition vorgestellten Pläne als eindeutig unzureichend: »Beschlossen wird nicht, was klimapolitisch notwendig ist, sondern was politisch kompromissfähig erscheint. Das Paket bleibt daher hinter dem Notwendigen zurück.« Dabei sind politische Weichenstellungen dringend notwendig, denn den größten Anteil am Treibhausgasausstoß in Deutschland hat mit 37,8 Prozent die Energiewirtschaft – vor allem, weil immer noch viel Braun- und Steinkohle zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt wird.
Zweitgrößter Emittent ist dann die Industrie mit 20,7 Prozent – 96 Prozent davon wiederum werden im Straßenverkehr verursacht. Diese Zahlen des Bundesministeriums für Umwelt zeigen deutlich, wo mutige und weitreichende Zukunftsentscheidungen getroffen werden müssen: Der rasche Ausbau erneuerbarer Energien ist genauso dringend erforderlich wie eine Reform des Individualverkehrs.
Nicht warten, bis alle mitmachen
Angesichts dessen fordern die Klima-Aktivistinnen und ‑Aktivisten von Fridays for Future nachdrücklich, dass die Politik handeln muss. Klimaschutz soll nicht ins Private delegiert werden und schon gar nicht auf dem Rücken derer ausgetragen werden, die wenig verdienen (mehr ab S. 12). Andererseits: Demokratisch gewählte Politiker haben den Auftrag, den Wählerwillen umzusetzen. Je deutlicher wir nicht nur an der Wahlurne, sondern auch im Alltag durch unser Handeln oder auch auf Demonstrationen klar machen, was uns wichtig ist, umso klarer ist der Wählerwillen zu erkennen. Dabei ist klar, dass nicht alle im gleichen Umfang oder überhaupt mitmachen. Das gilt für den Nachbarn, der weiterhin mit dem SUV zum Bäcker fährt, genauso wie für Staatenlenker, die dem Klimaschutz trotz der eindeutigen Fakten keine dringliche Bedeutung beimessen. Das ist mehr als ärgerlich – aber wir können nicht darauf warten, dass alle mitmachen, bevor wir uns selbst bewegen, denn sonst geht es nie voran.
Nicht aufgeben, bevor wir angefangen haben
Aber ist das Klima überhaupt noch zu retten? Immerhin ist die globale Temperatur im Vergleich zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis 2017 schon um ein Grad Celsius gestiegen, so ein Sonderbericht des Weltklimarats IPCC vom vergangenen Jahr. Trotzdem ist es noch nicht zu spät, meint der Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: »Jeder, der meint, das Paris-Ziel sei nicht mehr zu schaffen, fällt lediglich ein Urteil über die Fähigkeit der Politik, entschlossen zu handeln – und nicht über die naturwissenschaftlichen Fakten.« Nichts zu tun ist für ihn keine Option: »Unsere Kinder und Enkel verdienen etwas Besseres, als dass wir die Hände in den Schoß legen und den Kampf gegen die Erderhitzung aufgeben, bevor wir ihn überhaupt ernsthaft begonnen haben.«
→ Birgit Schumacher
Wenn du dich für das Thema Klimawandel interessierst:
→ Hier findest du einen Artikel zum Thema »Veränderung«
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 85 — Winter 2019