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Veränderung

Ver­än­de­rung
Wir kön­nen, wenn wir wollen

Das Corona-Virus hat uns gezeigt, zu welch tiefgreifenden Veränderungen wir in kürzester Zeit angesichts einer globalen Pandemie fähig sind. Der Spielraum, die kommenden Veränderungen zu gestalten, wird täglich kleiner. Dabei gibt es Ansätze.
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Siehe auch:

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Der Kli­ma­wan­del ist in Deutsch­land bereits heu­te kon­kret erleb­bar. Das Jah­res­mit­tel der Luft­tem­pe­ra­tur ist im Flä­chen­mit­tel von 1881 bis 2018 sta­tis­tisch gesi­chert um 1,5 °C ange­stie­gen. Die Som­mer 2003, 2015 und 2018 waren die wärms­ten seit Beginn der Wet­ter­auf­zeich­nun­gen. Die Zahl der »Hei­ßen Tage«, an denen die höchs­te gemes­se­ne Tem­pe­ra­tur 30 °C oder mehr beträgt, hat signi­fi­kant zuge­nom­men. 2003 star­ben etwa 7.500 Men­schen mehr, als ohne Hit­ze­wel­le zu erwar­ten gewe­sen wäre, so die Bun­des­re­gie­rung in einem im Novem­ber 2019 ver­öf­fent­lich­ten Moni­to­ring­be­richt. Zu die­sem Zeit­punkt schien die Dra­ma­tik des Gesche­hens im gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Bewusst­sein ange­kom­men zu sein.

 

Der Kli­ma­st­reik von Fri­days for Future im Sep­tem­ber 2019 brach­te über eine Mil­li­on Men­schen auf die Stra­ße. Ende Dezem­ber die ers­ten Zei­tungs­mel­dun­gen über eine mys­te­riö­se Lun­gen­krank­heit im fer­nen Wuhan. Im März 2020 wer­den Schu­len, Geschäf­te und Gren­zen geschlos­sen, es gel­ten Kon­takt- und Bewe­gungs­be­schrän­kun­gen. Eine Gesell­schaft, die noch weni­ge Wochen zuvor  dis­ku­tier­te, ob ein Tem­po­li­mit von 130 auf ­Auto­bah­nen nicht als unzu­läs­si­ger Ein­griff in die per­sön­li­chen Frei­heits­rech­te zu wer­ten wäre, war über­zeugt: Flat­ten the cur­ve, gemein­sam hal­ten wir die Kur­ve flach, sor­gen dafür, dass wir Risi­ko­grup­pen schüt­zen, das Gesund­heits­sys­tem nicht über­las­ten. Geht doch.

 

Mythos Neu­be­ginn

 

Eine schwe­re Erkran­kung, ein bit­te­rer Ver­lust, ein ein­schnei­den­des Erleb­nis: Danach ein Neu­start. Wir alle hören ger­ne Geschich­ten, wie Men­schen aus schwie­ri­gen Situa­tio­nen her­aus kom­plett neu anfan­gen, wie Lebens­ent­wür­fe ein­fach umge­krem­pelt wur­den, sich schein­bar fes­te Wahr­hei­ten ver­flüs­sig­ten und Unmög­li­ches mög­lich wur­de. Es ist ver­lo­ckend, sich vor­zu­stel­len, dass die glo­ba­le Coro­na-Kri­se so ein kol­lek­ti­ver Weck­ruf für die Mensch­heit sein könn­te: So geht es nicht wei­ter. Wir wol­len das nicht mehr. Das machen wir jetzt anders. Aber lei­der: Meis­tens ändern Kri­sen gar nichts, wie jeder resi­gnier­te All­ge­mein­me­di­zi­ner aus sei­ner Pra­xis berich­ten kann.

 

Nach dem ers­ten Schock wird wei­ter gefut­tert, getrun­ken, auf dem Sofa geses­sen. Und so erle­ben wir auch jetzt eine enor­me Wider­sprüch­lich­keit: Auf der einen Sei­te haben wir gese­hen, wie schnell sich Ver­än­de­run­gen rea­li­sie­ren las­sen, wenn die  Dring­lich­keit nur groß genug ist, und wie schnell wir uns an ver­än­der­te Situa­tio­nen anpas­sen kön­nen. Auf der ande­ren Sei­te stellt sich die Fra­ge: War­um tun wir uns – seit Jahr­zehn­ten – so schwer, auf die Kli­ma­kri­se zu reagie­ren, die nach Schät­zun­gen der WHO ab 2030 jedes Jahr 250.000 zusätz­li­che Todes­fäl­le pro Jahr for­dern wird? Es mutet an, wie in der Fabel, in der der Frosch, der in kochen­des Was­ser gewor­fen wird, sofort her­aus­sprin­gen will, wäh­rend er, wenn er all­mäh­lich erhitzt wird, gedul­dig sit­zen bleibt, bis er gekocht ist (zur Ehren­ret­tung der Frö­sche: Die Geschich­te stimmt nicht. Frö­sche haben einen guten Über­le­bens­in­stinkt). Men­schen jeden­falls tun defi­ni­tiv Din­ge, die nicht gut für sie sind: Sie essen zu viel Zucker. Sie machen kei­nen Sport. Und sie rui­nie­ren den Pla­ne­ten, auf dem sie leben – indi­vi­du­ell und glo­bal ent­schei­den wir uns für eine beque­me Gegen­wart auf Kos­ten der Zukunft. Para­do­xer­wei­se neh­men wir damit auch das Risi­ko neu­er Pan­de­mien in Kauf.

 

 

Zwei Sei­ten einer Medaille

 

Denn die Zer­stö­rung von Öko­sys­te­men und der Kli­ma­wan­del spie­len eine wich­ti­ge Rol­le, wenn es dar­um geht, dass sich neu­ar­ti­ge Viren ver­brei­ten. Ein Bei­spiel dafür sei nicht nur Sars-CoV‑2 son­dern auch das Ebo­la­vi­rus, wie der Viro­lo­ge Jonas Schmidt-Cha­na­sit in einem Inter­view der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung erläu­tert. »Hier hat der Mensch mas­siv in den Lebens­raum der Wild­tie­re ein­ge­grif­fen, ihn ver­nich­tet, in dem er Plan­ta­gen ange­legt hat oder Mas­sen­tier­hal­tung betreibt.« Der enge Zusam­men­hang zwi­schen der Zer­stö­rung bestimm­ter Öko­sys­te­me, der glo­ba­len Erwär­mung und dem Aus­bruch sol­cher Pan­de­mien sei vie­len nicht so klar gewe­sen, sagt der For­scher und bilan­ziert: »Die mas­si­ve Zer­stö­rung unse­rer Umwelt ist dabei der wesent­li­che Punkt. Die­se Pan­de­mie ist kein Natur­er­eig­nis, das plötz­lich über uns hereinbrach.«

 

Über unse­re Verhältnisse

 

»Earth Over­shoot Day«, zu Deutsch Erd­überlastungstag: Das ist der Tag, an dem die Res­sour­cen, die unser Pla­net für ein Jahr pro­du­zie­ren kann, erschöpft sind. Die­ses Jahr war er am 22. August erreicht. Damit lag das Datum das ers­te Mal seit Jahr­zehn­ten spä­ter als im ver­gan­ge­nen Jahr – wenn auch nur drei Wochen, wie das Glo­bal Foot­print Net­work, das die  ent­spre­chen­den Daten berech­net, mit­teilt. Trotz­dem wäre das eine gute Nach­richt, wenn die Ver­schie­bung auf einem glo­ba­len Umden­ken beru­hen wür­de. Tat­säch­lich sind die durch den Coro­na-Virus aus­ge­lös­ten glo­ba­len Lock­downs die Ursa­che. Sie haben zu einem Rück­gang der Wald­ro­dung und des Ver­brauchs fos­si­ler Brenn­stof­fe geführt.

 

Seit 1971 lässt sich anhand des Datums ver­fol­gen, wie sehr die Mensch­heit über ihre Ver­hält­nis­se lebt: Damals lag der Erd­über­las­tungs­tag am 21. Dezem­ber, seit­dem wur­de er bis 2019 jedes Jahr frü­her erreicht. Die Mensch­heit ver­braucht der­zeit 60 Pro­zent mehr als das, was unser Pla­net erneu­ern kann – oder so viel, als ob wir auf 1,6 Erden leben wür­den. Die natio­na­len Unter­schie­de sind dabei enorm: Wür­den alle Men­schen so leben wie in Deutsch­land, bräuch­ten wir gleich drei Erden – wäh­rend der glo­ba­le Erd­über­las­tungs­tag 2019 am 29. Juli war, lag er in Deutsch­land bereits am 3. Mai. »Unse­re Bemü­hun­gen mit COVID-19 haben gezeigt, dass es mög­lich ist, den Ver­brauchs­trend der öko­lo­gi­schen Res­sour­cen inner­halb kur­zer Zeit zu ver­schie­ben. Aus die­ser Gesund­heits­kri­se und den Dis­kus­sio­nen um einen Wirt­schafts­sti­mu­lus ler­nen wir auch neue Stra­te­gien für Res­sour­cen­si­cher­heit und mensch­li­chen Wohl­stand«, so das Glo­bal Foot­print Network.

 

Genug für alle

 

Wenn die Mensch­heit, spe­zi­ell die Bewoh­ner der rei­chen Indus­trie­na­tio­nen, sich einig wären, wür­de es funk­tio­nie­ren? Und wie wür­den wir leben? Eine mög­li­che Ant­wort für den Ernäh­rungs­sek­tor lie­fert die Pla­ne­ta­ry Health Diet, die 2019 von der EAT-Lan­cet-Kom­mis­si­on ver­öf­fent­licht wur­de. Die inter­na­tio­na­le Kom­mis­si­on von Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern erar­bei­te­te einen Spei­se­plan, der sowohl Mensch als auch Pla­net zugu­te kom­men soll­te. Ermu­ti­gen­des Fazit: Es wäre mach­bar, bis zum Jahr 2050 ca. 10 Mil­li­ar­den Men­schen gesund zu ernäh­ren, ohne den Pla­ne­ten zu zer­stö­ren. Aller­dings: In den west­li­chen Wohl­stands­na­tio­nen müss­ten vie­le lieb gewon­ne­ne Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten auf­ge­ge­ben wer­den. Deut­lich weni­ger Fleisch, Fisch und Milch­pro­duk­te, viel mehr Gemü­se, Obst, Nüs­se und Hül­sen­früch­te, im Durch­schnitt 2.500 Kalo­rien pro Tag und Mensch. Die Men­gen sind nicht üppig: Ein Ei pro Woche, knapp 200 Gramm Rind­fleisch, aber immer­hin täg­lich 300 Gramm Gemü­se, 230 Gramm Voll­korn­pro­duk­te, 50 Gramm Nüs­se und 75 Gramm  Hül­sen­früch­te. Zum Ver­gleich: Der aktu­el­le Fleisch­kon­sum in Deutsch­land liegt bei 60 Kilo pro Kopf und Jahr, das sind ca. 165 Gramm pro Tag.

 

Neben der indi­vi­du­el­len  Ernäh­rungs­um­stel­lung müss­te sich auch die Land­wirt­schaft ver­än­dern und Fak­to­ren wie Was­ser, Boden, bio­lo­gi­sche Viel­falt, Kli­ma, Stick­stoff und Phos­phor berück­sich­ti­gen. Der öko­lo­gi­schen Land­wirt­schaft kommt dabei eine Schlüs­sel­rol­le zu, so die EAT-Lan­cet-Kom­mis­si­on, aller­dings müs­se sie pro­duk­ti­ver wer­den. Die Welt­ernäh­rung so umzu­stel­len, dass sie Mensch und Pla­net glei­cher­ma­ßen gerecht wer­de, sei »nicht weni­ger als eine neue glo­ba­le Agrar­re­vo­lu­ti­on«, so Johan Rock­ström, einer der Vor­sit­zen­den der Kom­mis­si­on und Lei­ter des Stock­holm Resi­li­en­ce Cen­ters. Immer­hin, so hat die Kom­mis­si­on errech­net, lie­ßen sich nicht nur die Lebens­grund­la­gen der Mensch­heit für die Zukunft sichern„ auch 11 Mil­lio­nen Todes­fäl­le pro Jahr durch Krank­hei­ten, die durch fal­sche Ernäh­rung mit­ver­ur­sacht wür­den, könn­ten ver­hin­dert werden.

 

 

Bio-Anbau pro­duk­ti­ver machen

 

Dass Bio-Anbau ein unpro­duk­ti­ver Luxus sei und nur die inten­si­ve indus­tri­el­le Land­wirt­schaft die Welt ernäh­ren kön­ne – ein (Vor-)Urteil, das die öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft von Anfang an beglei­tet. Ein­drucks­voll ent­kräf­tet wur­de es bereits 2011 von Felix Prinz zu Löwen­stein, damals wie heu­te Vor­sit­zen­der des Bund Öko­lo­gi­sche Lebens­mit­tel­wirt­schaft Deutsch­land (BÖLW) und selbst Bio-Land­wirt. »Was wir uns nicht mehr leis­ten kön­nen, ist eine kon­ven­tio­nel­le Land­wirt­schaft, in der wir mehr Res­sour­cen ver­brau­chen, als uns zur Ver­fü­gung ste­hen«, so Löwen­stein in einem Bioboom-Interview.

 

In sei­nem Buch »Food Crash – wir wer­den uns öko­lo­gisch ernäh­ren oder gar nicht mehr« ana­ly­siert er die Begrenzt­heit eines Sys­tems, das enor­me Men­gen kli­ma­schäd­li­cher Gase aus­stößt, das Was­ser ver­gif­tet, die Arten­viel­falt bedroht und die Böden aus­laugt. Auch für ihn geht es dar­um, die öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft pro­duk­ti­ver zu machen. Das, so der Land­wirt, kön­ne nicht gelin­gen, wenn der euro­päi­sche Bio-Anbau eins zu eins glo­bal über­ge­stülpt wer­de – es gel­te dabei, sich an ört­li­che Gege­ben­hei­ten anzu­pas­sen und auf die jahr­hun­der­te­al­ten Erfah­run­gen klein­bäu­er­li­cher Land­wirt­schaft zurückzugreifen.

 

Was kommt nach dem Öl?

 

Fos­si­le Brenn­stof­fe sind welt­weit (noch) die Basis der Indus­trie und Logis­tik. Auch für die Lebens­mit­tel­pro­duk­ti­on sind sie von zen­tra­ler Bedeu­tung: Erd­öl ist Grund­la­ge für die Pro­duk­ti­on von Kunst­dün­ger und Pes­ti­zi­den, ermög­licht welt­wei­te Trans­por­te. Der Ver­brauch fos­si­ler Brenn­stof­fe ist nicht nur Trei­ber für den Kli­ma­wan­del, sie sind auch eine end­li­che Res­sour­ce. Was kommt, wenn das Erd­öl zu Ende geht? Ant­wor­ten auf die­se Fra­ge will die Tran­si­ti­on-Bewe­gung geben. Sie bringt Men­schen vor Ort zusam­men, die gemein­sam nach Lösun­gen für die Zeit nach »Peak Oil«, dem Ölför­der­ma­xi­mum suchen. Sie wur­de vom bri­ti­schen Dozen­ten und Umwelt­ak­ti­vis­ten Rob Hop­kins gegrün­det. Der Tran­si­ti­on-Bewe­gung geht es dar­um, unab­hän­gig von fos­si­len Ener­gie­trä­gern zu wer­den, regio­na­le und loka­le Struk­tu­ren zu stär­ken. Vor­bild dabei sind die Gestal­tungs­prin­zi­pi­en der Per­ma­kul­tur. Das Ziel sind nicht nur land­wirt­schaft­li­che, son­dern auch gesell­schaft­li­che Sys­te­me, die so effi­zi­ent, wider­stands­fä­hig und selbst­re­gu­lie­rend sind, wie natür­li­che Ökosysteme.

 

Coro­na-Kri­se und Kli­ma-Kri­se nicht gegen­ein­an­der aufrechnen

 

In vie­ler Hin­sicht sind die Coro­na-Kri­se und die Kli­ma­kri­se nicht mit­ein­an­der ver­gleich­bar. Ange­sichts des Virus haben Staa­ten, Gesell­schaf­ten, Indi­vi­du­en ihr Ver­hal­ten schnell und gründ­lich ver­än­dert – aller­dings immer unter der Prä­mis­se, dass es sich um eine begrenz­te Kri­sen­re­ak­ti­on han­delt, nach der es wie gewohnt wei­ter­ge­hen kann, selbst wenn zukünf­tig viel­leicht ein paar Mee­tings mehr vir­tu­ell statt­fin­den und mehr Urlaub im eige­nen Land gemacht wird. Kon­sum und Wachs­tum blei­ben die trei­ben­den Fak­to­ren, an denen gemes­sen wird, wie gut es uns geht – als Unter­neh­men oder als Pri­vat­haus­halt. Maß­nah­men wie die aktu­el­le Sen­kung der Mehr­wert­steu­er oder die For­de­rung nach Anrei­zen für den Kauf neu­er Autos zie­len dar­auf, das Wirt­schafts­wachs­tum schnell wie­der in Gang zu brin­gen. Auch wenn vie­le Stim­men for­dern, das neue Wachs­tum müs­se nach­hal­tig, umwelt­scho­nend und kli­ma­freund­lich aus­ge­rich­tet sein, geht es doch fast immer um Wachstum.

 

Auch Her­stel­ler und Han­del in der Bio-Bran­che freu­en sich selbst­ver­ständ­lich nicht nur über wach­sen­de Flä­chen im öko­lo­gi­schen Land­bau son­dern auch über wach­sen­de Umsät­ze und erfolg­rei­che Pro­dukt­kam­pa­gnen. Immer­hin han­delt es sich um eine flo­rie­ren­de Bran­che mit eige­nen wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen – die glück­li­cher­wei­se weni­ger kon­trär zum All­ge­mein­wohl sind, als in manch ande­rem Wirt­schafts­zweig. Ent­spre­chend machen sich Bio- und nach­hal­ti­ge Unter­neh­men mit ihrer (recht über­schau­ba­ren) Lob­by-Macht stark dafür, dass die Coro­na-Kri­se nicht nur als Del­le in der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung, son­dern als Impuls für eine Neu­aus­rich­tung genom­men wird. »Kli­ma­schutz, Soli­da­ri­tät und Coro­na las­sen sich nicht gegen­ein­an­der auf­rech­nen«, so lau­tet ein Auf­ruf von nachhaltig-zusammen.de, den bereits über 1.000 Unter­neh­men, davon vie­le aus der Bio- und Nach­hal­tig­keits­bran­che, unter­zeich­net haben. Sie for­dern, Kon­junk­tur­pro­gram­me mit dem 1,5‑Grad-Ziel und dem Green Deal der EU zu ver­knüp­fen, erneu­er­ba­re Ener­gien aus­zu­bau­en und in öffent­li­che Infra­struk­tu­ren, sowohl im Ver­kehr als auch digi­tal, zu inves­tie­ren sowie wirt­schaft­li­che Anrei­ze für nach­hal­ti­ge Tech­no­lo­gien – kurz, eine zukunfts­fä­hi­ge Wirtschaft.

 

 

Die Gren­zen des Wachstums

 

Doch es bleibt eine grund­sätz­li­che Fra­ge: Ist unbe­grenz­tes Wachs­tum, in wel­chen Bah­nen auch immer, auf einem begrenz­ten Pla­ne­ten über­haupt eine Opti­on? Bereits in den 1970er Jah­ren zeig­te der Club of Rome »Die Gren­zen des Wachs­tums« auf und warn­te vor dem öko­lo­gi­schen Kol­laps. So genann­te »Aus­stei­ger« ver­wei­ger­ten sich dem Kon­sum und zogen aufs Land (die Wur­zeln etli­cher Bio-Mar­ken lie­gen dort). Auch heu­te wird das Kon­zept des »immer mehr, immer schnel­ler, immer grö­ßer« in Fra­ge gestellt: Tiny Houses und die Finan­cial Inde­pen­dence Bewe­gung, Mini­ma­lis­ten und Maker. Doch poli­tisch-gesell­schaft­lich sind die Stim­men (noch) leise.

 

Einer der pro­mi­nen­tes­ten deut­schen Ver­tre­ter der Post-Wachs­tums­öko­no­mie ist Pro­fes­sor Dr. Niko Paech. Durch den Rück­bau von Wachs­tum und die Abkehr vom Kon­sum könn­te, so sei­ne Über­zeu­gung, nicht nur eine gerin­ge­re Abhän­gig­keit von der glo­ba­len Res­sour­cen­ket­te und damit mehr Kri­sen­si­cher­heit, son­dern auch eine höhe­re indi­vi­du­el­le Lebens­qua­li­tät und mehr sozia­ler Zusam­men­halt ent­ste­hen. Den »grü­nen Kon­sum« will er in sei­ne Kri­tik grund­sätz­lich mit­ein­be­zo­gen wis­sen: »Alle Ver­su­che, wirt­schaft­li­ches Wachs­tum durch eine Stra­te­gie der Begrü­nung oder Öko­lo­gi­sie­rung umwelt­ver­träg­lich zu gestal­ten, sind kra­chend geschei­tert«, so Paech in einem Inter­view für das Mes­se­Ma­ga­zin der Bio­Mes­sen. Eine Aus­nah­me macht er für den öko­lo­gi­schen Land­bau, der kein Wachs­tums­pro­blem habe: »Die land­wirt­schaft­lich nutz­ba­ren Flä­chen sind begrenzt. Wenn der öko­lo­gi­sche Land­bau wächst, geht das zu Las­ten der kon­ven­tio­nel­len Landwirtschaft.«

 

Wenn es uns ernst ist, poli­tisch, gesell­schaft­lich und indi­vi­du­ell unse­re Welt enkel­taug­lich zu machen, dann wird das hand­fes­te Kon­se­quen­zen im All­tag jedes und jeder ein­zel­nen haben. Wir wür­den nicht nur weni­ger Fleisch essen, son­dern auch weni­ger Avo­ca­dos. Zu ver­zich­ten wäre nicht nur auf das ver­län­ger­te Wochen­en­de auf Mal­le, son­dern auch auf das Ayur­ve­da-Spa mit Bio-Essen in Sri Lan­ka. Wir wür­den mehr Fahr­rad fah­ren und weni­ger Auto und das mög­li­cher­wei­se auch, wenn es reg­net. Wir hät­ten es unbe­que­mer. Wären wir unglück­li­cher? Was bedeu­tet uns Lebens­stan­dard, wie defi­nie­ren wir Lebens­qua­li­tät? Und: Was ist uns unser zukünf­ti­ges Selbst wert? Das ist ein Dis­kurs, den es zu füh­ren gilt. Die Bio-Bran­che kann dabei mit gutem Bei­spiel vor­an­ge­hen – nicht immer. Aber doch oft genug.

→ Jea­ni­ne Tovar

 

 


Wenn du dich für das The­ma Kli­ma­wan­del interessierst:
→ Hier fin­dest du einen Arti­kel zum The­ma »bewuss­ter Verzicht«


 

 

Die­ser Bei­trag erschien in Aus­ga­be 88 — Herbst 2020

 

 

 

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