Superfoods sind einer der Mega-Trends moderner Ernährung. Etliche von ihnen haben längst Einzug in die Alltagsküche gehalten: Kichererbsen aus Indien, Chiasamen und Quinoa aus Südamerika. Die weitgereisten Superfoods peppen Porridge, Müslis und Smoothies auf. Ihre reichhaltigen Inhaltsstoffe gelten als Wohltat für Körper und Seele: Die Beeren, Früchte und Körner sollen das Immunsystem stärken, gegen die Zellalterung wirken und Energie bringen. Selten landen sie als frische Ware in den Ladenregalen. Meist werden sie getrocknet, als Püree, Extrakt oder Nahrungsergänzungsmittel angeboten. Bei manchen Rezepten reicht bereits eine löffelgroße Portion aus, so nährstoffreich sind sie. Das Versprechen: Superfit mit Superfoods.
Schattenseiten importierter Superfoods
Aber hier soll es nicht um Ernährungsphysiologie gehen. Denn fest steht: Die langen Transportwege und die Belastungsfolgen in den Anbauländern werfen einen Schatten über die kulinarischen Superstars. Viele Superfoods reisen in Schiffscontainern oder dem Bauch von Flugzeugen rund um den Globus. Ihre Klimabilanz fällt dementsprechend schlecht aus. Und immer wieder flammen Konflikte um Land, Wasser oder die Produktionsbedingungen auf. Das rückt die ökologisch-sozialen Folgen des Konsums in den Fokus. Bio-Unternehmen, die nachhaltige Produkte erzeugen wollen, lässt das keine Ruhe. Oft überzeugen sie sich vor Ort von fairen Arbeitsbedingungen und biologischen Anbaupraktiken. Doch an den langen Transportwegen können auch sie nichts ändern. Bis jetzt. Die Suche nach Wegen, die begehrten Nahrungsmittel hierzulande großflächig anzubauen, hat bereits begonnen.
Deutschlands erste Chiasorte
Gerade erst hat die Universität Hohenheim den Sortenschutz für den gewerbsmäßigen Anbau der ersten deutschen Chiasorte »Juana« erhalten. Die blau blühende Chiapflanze wächst bislang vor allem in Ländern Südamerikas, wo ihre Samen als Grundnahrungsmittel gelten. Sie weisen einen hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren auf und sind gleichsam reich an Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralstoffen und Antioxidantien. Ihre Wirkung auf den Körper ist vielfältig: Sie soll nicht nur langfristig sättigen, sondern auch die Darmaktivität fördern und den Cholesterinspiegel senken können. Die Pflanzenexpert:innen der Uni Hohenheim haben jahrelang daran getüftelt, die kälteempfindliche Chia-pflanze an deutsche Klimabedingungen anzupassen. Mit Erfolg. Momentan werden Saatzuchtfirmen gesucht, die »Juana« in ihr Programm aufnehmen und für Landwirt:innen nutzbar machen wollen.
Heimvorteil für regionale Produkte:
Klimafreundlichkeit
Auch die Nachfrage nach der in den Anden beheimateten Kultur Quinoa wächst beständig. Obwohl die Pflanze wie Getreide aussieht und auch so verarbeitet wird, zählt sie wie Spinat oder Mangold zu den Gänsefußgewächsen. Das glutenfreie »Pseudogetreide« ist in vielen Ländern der Welt auf dem Vormarsch. Doch die Geschichte der kleinen Körner zeigt, wie komplex die Vermarktung lokal-traditioneller Produkte auf dem Weltmarkt sein kann. Die steigende weltweite Nachfrage hat das einstige Grundnahrungsmittel in den Anbauländern so teuer werden lassen, dass es sich viele Einheimische nicht mehr leisten können. Großbetriebe verdrängen Kleinbäuer:innen, Monokulturen laugen die Böden aus. Die Wende könnte der Anbau in jenen Ländern bringen, die Quinoa derzeit aus weit entfernten Ländern importieren. Gleichzeitig würde sich der CO2-Abdruck der Superpflanze durch den heimischen Anbau um ein Vielfaches reduzieren. Die gute Nachricht: In Deutschland wächst der Markt für regional erzeugte Quinoa. In der Lüneburger Heide sorgt die Bohlsener Mühle für heimische BioQuinoa. Gleich drei BiolandBetriebe in Norddeutschland bauen das Pseudogetreide gemeinsam mit einem Saatgutexperten von Quinoa Deutschland Activoland für die Mühle an. Und siehe da: Die Pflanze ist robust, anspruchslos, frosttolerant und wächst auch im Norden Deutschlands gut an.
Klimaneutrales Superfood aus Deutschland
Im Osten der Republik will das Projekt Superfood aus Sachsen-Anhalt den immer neuen Hitzerekorden, Dürren, Bodenerosionen und dem Artensterben zukunftsfähiges Essen entgegensetzen. Mit für unsere Breitengrade eher untypischen Nahrungsmitteln wollen sie Alternativen für die Ernährung der Zukunft schaffen. Und so erprobt das Projektteam zusammen mit regionalen Landwirtschaftsbetrieben neue Anbaupraktiken. Kichererbsen aus der Börde? Warum nicht! Sie sind wahre Vitaminbomben und reich an Mineralien, Spurenelementen und Ballaststoffen – und längst in der deutschen Küche angekommen. Als hochwertige Proteinquelle ist die Kichererbse für die vegetarische/vegane Ernährung bestens geeignet. Ob als Hummus, FalafelBällchen, im Salat oder als Curry – die Hülsenfrucht ist ein wahres Chamäleon in der Küche.
Kichererbsen aus der Börde? Warum nicht! Mit für unsere Breitengerade eher untypischen Nahrungsmitteln sollen Alternativen für die Ernährung der Zukunft geschaffen werden.
Kichererbsen aus der Börde? Warum nicht! Mit für unsere Breitengerade
eher untypischen Nahrungsmitteln sollen Alternativen für die Ernährung
Tofu-Produkte aus deutschem Sojaanbau
Auch die Nachfrage nach Soja wächst in Deutschland beständig. Die nährstoffreichen
Bohnen sind in der Bio-Branche schon so lange etabliert, dass sie nicht als offizielles
Superfood gelten, dennoch: Die Hülsenfrucht ist reich an Ballast- und Mineralstoffen, steckt voller Vitamine und liefert hochwertiges pflanzliches Eiweiß. Mit der steigenden Nachfrage nimmt auch der Sojaanbau hierzulande Fahrt auf. Zu den ersten in der Züchtung von Sojasorten für den Anbau in Deutschland gehört TaifunTofu. Gerade erst hat das Bundessortenamt die neue, besonders eiweißreiche Sojasorte »Tori« für die TofuHerstellung zugelassen, die TaifunTofu zusammen mit der Universität Hohenheim gezüchtet hat. »Tori« reift vergleichsweise spät und mag die durch den Klimawandel immer länger und wärmer
werdenden Sommer Süddeutschlands.
Physalis selbst anbauen
Ein warmes Klima mag auch die Physalis. Die lange auf das Thema »Tellerdeko« reduzierte Beere, die in ihrer papierartigen Hülle wie ein kleiner Lampion daherkommt, ist eine gute Quelle für bestimmte Carotinoide, die der Körper in Vitamin A umwandelt. Das fettlösliche Vitamin unterstützt das Immunsystem und schützt die Sehkraft. Vitamin C, E und jede Menge B‑Vitamine sind gut für den Stoffwechsel und stärken das Nervenkostüm. In den Andenländern wird Physalis in der Volksheilkunde gegen Malaria, Asthma oder auch Rheuma eingesetzt. Hierzulande klappt der Anbau vor allem im Süden Deutschlands erstaunlich gut. Wer die Superbeere im eigenen Garten anbauen will, sollte sie in einem Kübel kultivieren. Die frostempfindliche Pflanze benötigt einen geschützten, sonnigen Standort und eine Rankhilfe. Als Substrat ist torffreie Bio-Erde bestens geeignet. Und ganz wichtig: Erst ernten, wenn die Lampionhülle vertrocknet ist.
Heimische Superhelden
Doch nicht immer muss es darum gehen, Exoten heimisch zu machen. Denn oft gibt es heimische Alternativen zu den populären Superfoods aus weit entfernten Ländern: Leinsamen statt Chiasamen, Walnüsse statt Avocado, Hirse statt Quinoa. Vieles was vor unserer Haustür wächst, kann mit den weit gereisten Produkten sowohl mit Blick auf die Inhaltsstoffe als auch den Geschmack mithalten. Und die regional erzeugten Lebensmittel glänzen mit einem weitaus geringeren ökologischen Fußabdruck. Dazu sind sie oft noch deutlich preiswerter. Und am Ende macht sowieso die Vielfalt den Unterschied. Denn ein Superfood für sich allein macht noch lange keine gesunde Ernährung aus. Erst im Zusammenspiel und möglichst bunt kombiniert unterstützen sie positive Effekte. Und bunt geht es auf deutschen Äckern seit jeher zu. Viele heimische Sorten verdienen den gleichen Hype, wie er um Superfoods gerade tobt. Warum also nicht zu Chicorée, Radieschen, Rote Beete, Heidelbeeren, Bärlauch oder Buchweizen greifen? Manchmal kann es so einfach sein.
→ Kristin Kasten
Fotos: © iStock
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 92 — Herbst 2021