Prof. Dr. Claudia Hornberg
JT Der SRU vertritt die Position, dass die Gesundheitsdimension des Umweltschutzes sehr viel stärker als bisher in der Politik zum Tragen kommen solle. Warum ist das so wichtig?
CH Umweltschutz und Gesundheitsschutz sind eng miteinander verknüpft; sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Eine gesunde Umwelt ist die Basis für ein gesundes Leben. Umweltbelastungen wie Luftverschmutzung, Lärm und Hitze haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Besonders wichtig ist mir dabei das Thema Umweltgerechtigkeit: Umweltbelastungen sind vor allem in Städten ungleich verteilt und treffen oft Menschen in sozial benachteiligten Vierteln besonders stark. Der Klimawandel verschärft gesundheitliche Risiken zusätzlich. Umweltschutz ist daher auch Gesundheitsschutz.
Gerade in der Stadt bietet die Natur viele Vorteile. Grünflächen und städtische Gewässer bieten nicht nur Erholungsräume, sondern mindern auch die Belastungen durch Hitze und Starkregen. Es gibt also viele positive Wechselwirkungen zwischen Umwelt‑, Klima- und Gesundheitsschutz, die wir nutzen sollten, um positive Veränderungen zu fördern. Leider sind Grünräume nicht für alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße verfügbar, was ein weiteres Ungleichgewicht darstellt.
JT Welche Maßnahmen wären notwendig, um das konkret umzusetzen?
CH Wir sehen die Lösung in einem ganzheitlichen Ansatz, den wir »Ökosalute Politik« nennen. Dabei geht es um eine Politik, die Gesundheit und Umweltschutz zusammen denkt. Das Ziel ist es, eine gesunde und gerechte Umwelt für alle zu schaffen. Dabei sollen die Synergien zwischen Naturschutz und Gesundheit besser genutzt und Schadstoffe in der Umwelt konsequenter reduziert werden. Städte sollten gesund und umweltgerecht gestaltet werden, was eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Sektoren und eine bessere Integration der Maßnahmen in der Politik erfordert. Ein konkretes Beispiel ist die Luftverschmutzung in Deutschland, die weiterhin Krankheiten verursacht, insbesondere durch Feinstaub. Am höchsten ist die Belastung an stark befahrenen Straßen. Weniger Autoverkehr und mehr Fuß- und Radverkehr sowie öffentlicher Nahverkehr würde die Luft- und Lärmbelastung reduzieren. Aktive Mobilität — also Radfahren und Zu-Fuß-Gehen — ist nicht nur gesund, sondern schützt auch das Klima.
JT Welche Rolle kann der ökologische Landbau bzw. der Konsum von Bio-Produkten in diesem Zusammenhang spielen?
CH Der ökologische Landbau ist in vielen Bereichen vorteilhaft für den Umwelt- und Ressourcenschutz. Er fördert die Artenvielfalt, reduziert die Stickstoffbelastung und trägt zum Schutz von Wasser und Luft bei. In der ökologischen Tierhaltung werden weniger Medikamente eingesetzt, was das Risiko von Antibiotikaresistenzen verringert. Diese Resistenzen sind ein wachsendes Problem auch in der Humanmedizin, das zeigt, wie eng die Gesundheit von Menschen und Tieren verknüpft sind. Allerdings ist der Ertrag pro Fläche im ökologischen Landbau niedriger als im konventionellen Anbau. Deshalb ist es umso wichtiger, den Flächenbedarf insgesamt zu reduzieren, beispielsweise durch eine stärker pflanzenbasierte Ernährung.
JT In Ihrer Arbeit weisen Sie auch auf den Zusammenhang zwischen individuellem Handeln und politischen Rahmenbedingungen hin. Wo sehen Sie die Rolle des Individuums und wo die der Politik, konkret im Hinblick auf gesunde Ernährung und eine gesunde Umwelt?
CH Wir alle können durch die Anpassung unseres Lebensstils etwas für unsere Gesundheit und die Umwelt tun. Aber unser Verhalten und unsere Entscheidungen werden stark vom Umfeld und den verfügbaren Angeboten beeinflusst. Hier kommt die Politik ins Spiel: Sie sollte dafür sorgen, dass gesunde Umweltbedingungen und Ernährungsumgebungen geschaffen werden. In unserem Gutachten »Politik in der Pflicht: Umweltfreundliches Verhalten erleichtern« schlagen wir vor, gesunde und nachhaltige Ernährungsentscheidungen einfacher und attraktiver zu machen. Pflanzliche Lebensmittel spielen dabei eine zentrale Rolle, da ihre Produktion klimafreundlicher und flächenschonender ist. Maßnahmen wie Preisanreize, attraktivere vegetarische Angebote in Kantinen, Bildungsinitiativen und klare Kennzeichnungen der Umweltwirkungen von Lebensmitteln können helfen, den Konsum von tierischen Lebensmitteln zu reduzieren. Letztlich geht es darum, dass Politik und Gesellschaft gemeinsam an einem Strang ziehen, um nachhaltige und gesunde Lebensweisen zu fördern.
Ähnlich ist es beim Verkehr: Menschen sollten ihr Mobilitätsverhalten ändern, aber die Politik sollte ökologische Optionen auch attraktiver machen — etwas durch einen guten ÖPNV und sichere Fahrradwege. Und wenn wir einen Garten oder eine Terrasse haben, können wir viel für die Biodiversität tun. Übrigens auch einfach durch weniger Pflege: Was wir als Unordnung bezeichnen gibt es in der Natur nicht. Selbst die Ritzen von Pflastersteinen haben ihre eigene Lebenswelt — wir müssen es nur zulassen.
JT Vielen Dank für das Gespräch!