Der Fluss Urff rauscht direkt unter dem alten Tanzsaal im Bad Zwestener Ortsteil Niederurff. Einst wurde hier gefeiert, heute können hier im Dorf unverpackte Bio-Lebensmittel eingekauft werden. Vor zwei Jahren hat Sascha Hünermann, 36, das Geschäft »Herr Krämer« in der nordhessischen Provinz eröffnet, ein halbes Jahr später folgte die Bio-Zertifizierung. Heute steht schon zum dritten Mal die Öko-Kontrolle vor seiner Tür. Den Termin hat sie angekündigt. »Beim ersten Besuch war ich noch aufgeregt, doch jetzt weiß ich, wie alles läuft und bin entspannt«, sagt Sascha Hünermann. Der Unternehmer, der im Hauptberuf als Informatiker arbeitet, ist gut vorbereitet. Seine gesamte Buchführung läuft digital. »Ich halte alle Unterlagen immer auf dem aktuellsten Stand. Schließlich kann jeden Tag jemand von der Öko-Kontrollstelle vor der Tür stehen.«
Unabhängige Kontrollen schützen Verbraucher:innen
Heute ist es Linda Tauber, Fachreferentin der Gesellschaft für Ressourcenschutz mbH (GfRS), die gleich am Morgen vor dem noch geschlossenen Laden steht. Die 31-Jährige führt im Jahr rund 50 Bio-Kontrollen durch. In kleine Betriebe, wie »Herr Krämer«, kommt sie allein, sonst sind sie auch schon mal zu zweit unterwegs. »Insgesamt sind wir 80 Mitarbeitende, die jährlich rund 5.000 Unternehmen kontrollieren.« Nicht alle Betriebe, die sie besuchen, sind so gut vorbereitet wie Sascha Hünermann. Oft fehlen Unterlagen oder müssen erst mühsam aus Aktenbergen herausgesucht werden. »Je besser die Unternehmen vorbereitet sind, umso schneller geht es«, sagt Linda Tauber, die weiß, dass ihr Besuch selten für Begeisterung sorgt. »Es ist für viele Menschen doch eine Art Prüfungssituation, einige sind spürbar angespannt«, sagt sie und lächelt, »und dann wahrscheinlich auch froh, wenn ich wieder weg bin«. Überall wo »Bio« oder »Öko« draufsteht, muss es auch drin sein. So schreibt es die EU-Öko-Verordnung vor. Ausnahmen gibt es nicht. Strenge Kontrollen sollen Täuschung oder unlauteren Wettbewerb verhindern. »Mit unserer Arbeit als unabhängige Kontrollstelle schützen wir also die Verbraucherinnen und Verbraucher«, sagt Linda Tauber, die ökologische Agrarwissenschaften studiert hat und seit drei Jahren als Öko-Kontrolleurin Betriebe prüft, die Bioprodukte erzeugen, verarbeiten, lagern oder handeln — vom landwirtschaftlichen Betrieb über den Schlachthof bis hin zum Bio-Großhändler. »Die Kundinnen und Kunden müssen am Ende immer unterscheiden können, ob sie ein Bio-Produkt oder ein konventionelles Produkt kaufen.«
Höheres Risiko, häufigerer Besuch
Jeder Bio-Betrieb muss sich bei einer der aktuell 19 zugelassenen Öko-Kontrollstellen in Deutschland melden. »Die Kontrollstellen sind unabhängige Unternehmen, die sich ebenfalls zertifizieren lassen müssen«, sagt Linda Tauber. Die Kosten für die Öko-Kontrolle müssen die Betriebe selbst bezahlen, je größer der Aufwand, desto höher die Kosten. Eine jährliche Kontrolle schreibt die EU-Öko-Verordnung zwingend vor. Hinzu kommen unangekündigte Stichproben. »Das entscheiden wir risikoorientiert. In der fleischverarbeitenden Industrie oder auch in Schlachthöfen besteht beispielsweise ein höheres Risiko, dort kommen wir häufiger unangekündigt vorbei.« Auch Unternehmen, bei denen es Auffälligkeiten bei der Regelkontrolle gab, müssen mit einem erneuten — unangekündigten — Besuch der Öko-Kontrollstelle rechnen. Eine gewisse Kooperationsbereitschaft bei der Kontrolle sei wichtig. »Manche Unternehmerinnen und Unternehmer verstehen nicht, warum Vorgaben umgesetzt werden müssen«, sagt Linda Tauber. Da gerieten Gespräche schnell auf eine persönliche Ebene, weil sich die Menschen angegriffen fühlten. »Meine Aufgabe ist es dann, Dinge in Ruhe zu erklären, Abstand zu wahren und darauf zu beharren, dass das, was ich fordere, umgesetzt wird.« Auffälligkeiten bei den Kontrollen kommen immer mal wieder vor: fehlende Dokumente, Ungereimtheiten in der Buchhaltung, falsch beschriftete Ware.
Lieferantenlisten, Lagepläne, Zertifikate
Auch im Niederurffer Unverpacktladen gab es beim letzten Besuch der Kontrollstelle eine Beanstandung. »Auf den Etiketten an den Ladenregalen muss die Code-Nummer der Kontrollstelle stehen, ich hatte aber die vom Lieferanten draufgeschrieben«, sagt Sascha Hünermann. Er musste nachbessern und schickte Musterbeispiele der aktualisierten Etiketten an die Kontrollstelle. »Das passte soweit alles«, sagt Linda Tauber. Die Kontrolleurin und der Ladenbesitzer setzen sich an einen Tisch im hinteren Bereich des Ladens und klappen ihre Laptops auf. »Wir machen zuerst die Unterlagen«, sagt Linda Tauber.
In der nächsten halben Stunde gleicht sie die Betriebsbeschreibung ab, überprüft den Lageplan, aktualisiert die Lieferantenliste, lässt sich Zertifikate von Lieferanten zeigen und hält fest, welche Waren im Sortiment konventionell hergestellt werden. Die Kontrolleurin greift nach einem kleinen Schild auf dem Tisch, auf dem »Kaffee« steht. »Ist das Bio-Kaffee?«, fragt sie. »Nein, das ist eines unser wenigen konventionellen Produkte. Wir schenken ihn im Laden an unsere Kundschaft aus«, sagt der Ladenbesitzer und schaut nun doch etwas verunsichert. »Muss ich dabei irgendwas beachten?« Linda Tauber schaut sich um. »Schenken Sie auch Milch dazu aus?« Sascha Hünermann schüttelt den Kopf. »Nur schwarz.« Die Kontrolleurin nickt zufrieden. Auf dem Schild steht Kaffee und nicht Bio-Kaffee — so ist es richtig. Ein Großteil des Sortiments im »Herr Krämer« besteht aus Bio-Produkten. Die Ausnahmen müssen für die Kundschaft klar erkennbar sein.
Mengenberechnung für Plausibilität
Nachdem der digitale Papierkram erledigt ist, stehen die beiden auf und machen einen Rundgang durch den Laden. Die Eier kommen aus einem konventionellen Betrieb und werden nicht als Bio angepriesen, genauso wenig die in weiße Papiertütchen verpackte Zitronenmelisse und der Majoran aus der Region. »Das ist okay so«, sagt Linda Tauber und lässt ihren Blick weiter über die Produkte in den Regalen schweifen. Das Etikett der Bio-Walnusskerne, die als Bruch in Schütten verkauft werden, schaut sie sich genauer an und fotografiert es ab. »Bei diesem Produkt möchte ich eine Mengenberechnung machen«, sagt sie. Der Ladenbesitzer nimmt die Schütte aus dem Regal, holt die noch verpackte Ware aus dem Lager und legt alles zusammen auf die Waage. Den Wert gleicht die Kontrolleurin mit der eingegangenen und bereits verkauften Ware ab. Am Ende muss ein plausibler Wert stehen. »So soll die sogenannte ›wundersame Bio-Vermehrung‹ vermieden und aufgedeckt werden«, sagt Linda Tauber, »es darf nicht mehr Bio verkauft als eingekauft werden.« Bei den Bio-Walnüssen berechnet die Kontrolleurin eine Differenz von 0,8 Kilo. »In Unverpacktläden gibt es immer etwas Schwund beim Umschütten«, sagt die Kontrolleurin, »Abschriften in kleinen Mengen sind völlig normal.« Bei fertig verpackten Waren wäre das etwas anderes. »Da müsste ich auf jeden Fall nachprüfen, wie es dazu kommen konnte.«
Schwerwiegende Verstöße sind selten
Linda Tauber hat klare staatliche Vorgaben, an die sich halten muss. »Wir als Kontrollstelle werden ebenfalls von den Länderbehörden kontrolliert.« So können sich bei einer Kontrolle vor Ort jederzeit Mitarbeitende der Behörden kurzfristig anmelden oder unangekündigt vor der Tür des zu kontrollierenden Betriebs warten. »Bei einer von etwa zwanzig Kontrollen ist das der Fall«, sagt die 31-Jährige. »Sie begleiten dann meinen Besuch, prüfen also, ob ich meine Arbeit richtig mache.« Linda Tauber kontrolliert nicht nur EU-Bio-zertifizierte Betriebe, sie ist auch für die Bio-Verbände Bioland, Demeter und Naturland im Einsatz, die auf noch strengere Regeln setzen. »Dafür werden wir von den Verbänden regelmäßig geschult.« Nach einer Kontrolle werden die Berichte an die Verbände geschickt, die sie auswerten und dann im Nachgang die Zertifikate ausstellen.
Auf schwerwiegende Verstöße trifft die Kontrolleurin selten. »Wir haben ein dichtes Kontrollnetz. Das Risiko erwischt zu werden, ist also sehr hoch.« Betrug ist dementsprechend selten. Kürzlich hat sie tatsächlich mal eine Pizzeria kontrolliert, die Bio-Pizza mit Bio-Tomaten auf ihrer Speisekarte anpries, in der Küche gab es aber nur konventionelle Tomaten. Der Gastronom sprach von einer unentdeckten Fehllieferung. Für die Kontrolleurin macht das keinen Unterschied. » Das hätte bei der Wareneingangsprüfung auffallen müssen. Ich schreibe meinen Bericht und leite ihn weiter«, sagt Linda Tauber. »Die Pizzeria wurde im Nachgang von uns abgemahnt, weil das ein schwerwiegender Verstoß war.« Eine unangekündigte Nachkontrolle ist der Pizzeria damit sicher. In besonders schlimmen Fällen drohen auch Geldstrafen. »Aber das entscheiden dann die Behörden.«
»Alles in bester Ordnung«
Auch im »Herr Krämer« nimmt die Kontrolleurin jedes Regal in Augenschein, zieht immer mal wieder ein Produkt heraus oder stellt Fragen zum Lieferanten. »Werden alle Waren hier im Laden gelagert?« Sascha Hünermann nickt und führt die Kontrolleurin zu einem orangenen Vorhang, hinter dem sich der Lagerraum befindet. In den blauen Regalen stapeln sich Säcke, Kartons und Eimer. Der Ladenbesitzer zeigt eine Verpackung, die ohne Etikett in seinem Laden ankam. »Das habe ich dann beim Hersteller direkt nachgefordert.« Den entsprechenden Schriftverkehr zeigt er der Kontrolleurin auf seinem Handy. Das von der GfRS bei der letzten Kontrolle ausgestellte Bio-Zertifikat hat Sascha Hünermann eingerahmt und für alle sichtbar an die Wand gleich neben der Kasse gehängt. Auch in diesem Jahr wird er das Zertifikat bekommen. »Er hat die Auflagen vom letzten Jahr erfüllt und umgesetzt«, sagt die Kontrolleurin, »es war alles in bester Ordnung.«