Kontakt  |  Über Bioboom  |  Bioboom abonnieren

Bioboom-Ortstermin-Solidarische-Landwirtschaft-Titel

Soli­da­ri­sche Land­wirt­schaft 42
Gren­zen­los solidarisch

Die Mitglieder der Solidarischen Landwirtschaft 42 in Frankfurt am Main erhalten ihr Gemüse von einem ­nahegelegenen Bio-Bauernhof. Seit vier Jahren kooperieren sie darüber hinaus mit einer über 2000 Kilometer entfernten Olivenöl-Genossenschaft in Griechenland. Ein Widerspruch? Keineswegs. 
Olivenöl Vertrieb durch die Solidarische Landwirtschaft 42
Olivenöl Vertrieb durch die Solidarische Landwirtschaft 42

Siehe auch:

Siehe auch:

Der Geruch von nas­ser Erde, rei­fem Obst und fri­schem Gemü­se wabert durch den alten Apfel­wein­kel­ler, der in einem Hin­ter­hof im Frank­fur­ter Stadt­vier­tel Eschers­heim liegt. An den Stein­wän­den ste­hen Holz­re­ga­le, in denen sich Kis­ten mit Kar­tof­feln, Stau­den­sel­le­rie, Zwie­beln und Gur­ken anein­an­der­rei­hen. Alexis Pas­s­a­da­kis legt drei Ruck­sä­cke auf den Boden und nimmt einen Zet­tel in die Hand, der gut sicht­bar auf einem Holz­tisch in der Mit­te des Raums liegt. »530 Gramm Toma­ten«, liest er und greift in eine gegen­über­lie­gen­de blaue Kis­te, in der sich knall­ro­te Toma­ten häufen.

 

Neben aller­lei Gemü­se darf der Frank­fur­ter sich heu­te auch drei Liter Apfel­saft und 100 Gramm Phy­sa­lis ein­pa­cken. »Da freut sich mein 7‑jähriger Sohn, die kom­men in sei­ne Früh­stücks­box für die Schu­le.« Alexis ist Mit­glied der Soli­da­ri­schen Land­wirt­schaft 42, kurz Solawi42. Das Prin­zip ist ein­fach: Die Mit­glie­der stre­cken einem Bau­ern­paar das Geld für Saat­gut, land­wirt­schaft­li­che Gerä­te und Löh­ne vor, tei­len somit das wirt­schaft­li­che Risi­ko des Ern­te­jah­res und erhal­ten im Gegen­zug Gemü­se frisch vom Feld.

 

Jeder zahlt, so viel er kann bei der Solawi

 

Deutsch­land­weit sind Soli­da­ri­sche Land­wirt­schaf­ten im Trend. Im Netz­werk »Soli­da­ri­sche Land­wirt­schaft« sind bun­des­weit 301 Sola­wis ver­zeich­net. Ten­denz stei­gend. In Frank­furt am Main lie­fert Bau­er Arno Eckert vom Bir­ken­hof im ­nahe­lie­gen­den Egels­bach jeden Mitt­woch feld­fri­sches Gemü­se, manch­mal auch Obst, Saft und Eier in das Depot an der Eschers­hei­mer Stra­ße. Die Mit­glie­der haben dann bis Don­ners­tag­abend Zeit, ihren Anteil abzu­ho­len. Doch nicht jedes Mit­glied zahlt den glei­chen Preis für sei­nen Anteil. »Im Schnitt zah­len die Mit­glie­der momen­tan 80 Euro im Monat«, sagt Alexis. Wer wie viel zahlt, ent­schei­det sich in der »Bieter­runde«, die immer vor Beginn des Ern­te­jah­res statt­fin­det. Der Bau­er stellt ­allen Anteils­in­ha­bern die Aus­ga­ben für das kom­men­de Jahr vor, wor­aus sich ein Durch­schnitts­bei­trag pro Ern­te­an­teil ergibt. Jedes Mit­glied bie­tet jedoch für sei­nen Anteil nur so viel, wie es kann. Ano­nym. »Men­schen mit höhe­ren Ein­kom­men wer­den auf­ge­for­dert, mehr zu zah­len«, sagt Alexis. Schließ­lich sol­le es auch unter­ein­an­der eine Soli­da­ri­täts­kom­po­nen­te geben.

 

»Momen­tan haben wir 34 Ern­te­an­tei­le und ich schät­ze, dass etwa 90 Per­so­nen das Obst und Gemü­se kon­su­mie­ren«, sagt Alexis, der die gut sie­ben Kilo­me­ter von sei­ner Woh­nung ins Depot immer mit dem Fahr­rad fährt. Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, der in Bonn, Ber­lin und Brighton stu­diert hat, ist seit vier Jah­ren Mit­glied der Solawi42. »Beim The­ma Welt­han­del spie­len land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­te eine gro­ße Rol­le, weil sie auf­zei­gen, wie unge­recht unser Welt­han­dels­sys­tem ist«, sagt Alexis. Die Soli­da­ri­schen Land­wirt­schaf­ten sei­en ein guter Ansatz, der zei­ge, dass es trotz des Preis­drucks des Welt­markts auch anders gehe.

 

Anteilsverteilung bei der SoLaWi 42

 

Soli­da­risch pro­du­zier­tes Olivenöl

 

Aus einer Sat­tel­ta­sche sei­nes Fahr­rads zieht Alexis einen 5‑Li­ter-Kanis­ter Oliven­öl. »Auch die Oli­ven­öl-Geschich­te ist so ein Bei­spiel dafür«, sagt er und setzt sich auf einen der vie­len Holz­stüh­le, die auf dem Hof vor dem Ein­gang zum Kel­ler ste­hen. Er nimmt den Kanis­ter in die Hand und zeigt auf einen Auf­kle­ber, der die Unter­stüt­zer in Deutsch­land zeigt, dar­un­ter auch die Solawi42. Die Geschich­te der außer­ge­wöhn­li­chen Koope­ra­ti­on begann vor vier Jah­ren. Damals orga­ni­sier­te der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler die ers­te Oli­ven­öl-Lie­fe­rung aus dem über 2000 Kilo­me­ter ent­fern­ten Dorf Daras in der Regi­on Mes­se­ni­en. »Wenn man ange­sichts der Klima­krise und des Zustands des glo­ba­len Ernäh­rungs­sys­tems eine Alter­na­ti­ve möch­te, ist es natür­lich pri­mär eine loka­le Form«, sagt Alexis, »aber Oli­ven­bäu­me las­sen sich hier eben nicht anbau­en.« Des­halb gehe es dar­um, öko­lo­gi­sche, fai­re und soli­da­ri­sche Infra­struk­tu­ren zu schaf­fen – wenn nötig auch über Deutsch­lands Gren­zen hin­aus. »Die Euro­zo­nen­kri­se hat 2010 zu hef­ti­gen Ver­wer­fun­gen geführt. Das Brut­to­in­lands­pro­dukt ist in Grie­chen­land um 25 Pro­zent ein­ge­bro­chen.« Danach hät­ten sich im Land For­men soli­da­ri­scher Öko­no­mie ent­wi­ckelt – auch im Bereich der Land­wirt­schaft. »Vie­le Leu­te sind aus den Städ­ten zurück in ihre Dör­fer gekehrt, so ent­stand ein Nähr­bo­den für etwas Neues.«

 

In Daras haben sich meh­re­re Klein­bau­ern zusam­men­ge­tan, um Oli­ven­öl aus öko­lo­gi­scher Land­wirt­schaft her­zu­stel­len. Das Öl trägt den Namen »Mazi« – »gemein­sam«. Part­ner­ge­nos­sen­schaf­ten in Athen und Ber­lin küm­mern sich um den Trans­port und alle steu­er­recht­li­chen Fra­gen. Die Sola­wi-Mit­glie­der in Frank­furt zah­len fünf­zig Euro für den Kanis­ter Oli­ven­öl. Davon gehen jeweils fünf Euro an die Genos­sen­schaf­ten in Athen und Ber­lin und 35 Euro direkt an die Her­stel­ler. »Für die Bäue­rin­nen und Bau­ern ist das ein guter Deal«, sagt Alexis, »mitt­ler­wei­le konn­ten sie sogar schon eige­ne Tanks und eine Pres­se kau­fen, müs­sen also nichts mehr anmie­ten.« Genau­so wich­tig sei es, dass die Pflü­cker fair bezahlt wer­den. »Die Ern­te­hel­fer erhal­ten oft­mals einen ultra­ge­rin­gen Lohn.« Die grie­chi­sche Oli­ven­öl-Koope­ra­ti­ve hin­ge­gen zah­le fai­re Gehälter.

 

 

Ein Euro pro Liter für huma­ni­tä­res Projekt

 

Und es gibt noch einen wei­te­ren soli­da­ri­schen Aspekt: Die übri­gen fünf Euro pro 5‑Li­ter-Kanis­ter gehen an ein huma­ni­tä­res Pro­jekt vor Ort. In die­sem Jahr war es eine Bür­ger­initia­ti­ve auf Les­bos, die Jugend­li­che betreut, die im »Dschun­gel« von Moria leb­ten, also in den Büschen um das Camp her­um. »Noch bes­ser wäre es natür­lich, wenn es ein Camp wie Moria gar nicht geben müss­te«, sagt Mari­us, 27, der gera­de den Ern­te­an­teil für sich und sei­nen WG-Mit­be­woh­ner abho­len will, »aber es gibt es nun mal«, daher unter­stüt­ze er das Hilfs­pro­jekt gerne.

 

Von sei­nem 5‑Li­ter-Kanis­ter, den er im letz­ten Jahr gekauft hat, sei­en noch zwei Liter über, dar­um habe er bei der letz­ten Lie­fe­rung im April aus­ge­setzt. Damals wur­den 2900 Liter inner­halb von drei Stun­den ver­teilt. Einer, der gleich meh­re­re Kanis­ter gekauft hat, ist David, 38, der über den Hof gelau­fen kommt und bei Alexis ste­hen­bleibt. »Wir bekom­men das Öl erzeu­ger­nah gelie­fert, ohne Groß­händ­ler dazwi­schen. Alle Abläu­fe sind trans­pa­rent und auch preis­lich liegt es voll im Rah­men«, sagt der Fami­li­en­va­ter, der seit drei Jah­ren Mit­glied der Solawi42 ist, »und schme­cken tut es auch.« Alexis nickt, »es gab auch schon wie­der vie­le Anfra­gen. Even­tu­ell gibt es im Novem­ber die nächs­te Lieferung.«

 

Sai­so­nal limi­tier­te Vielfalt

 

Das Oli­ven­öl müs­sen die Mit­glie­der der Sola­wi vor­be­stel­len, eben­so wie den fair gehan­del­ten Bio-Tee aus Indi­en, um des­sen Lie­fe­rung sich ein Mit­glied der Sola­wi immer küm­mert. Die Lie­fe­rung vom Bir­ken­hof hin­ge­gen kommt regel­mä­ßig und ist jedes Mal eine Über­ra­schung. »Ich habe hier eigent­lich erst rich­tig gelernt, was regio­nal und sai­so­nal ist«, sagt David. »Bei Hafer­wurz wuss­te ich nicht mal, was das ist und Pas­ti­na­ke habe ich als Kind das letz­te Mal geges­sen«, sagt er und lacht. ­Alexis geht es ähn­lich. »Pos­te­lein und schwar­zen Ret­tich kann­te ich vor­her nicht.« Sein gan­zes Ernäh­rungs­ver­hal­ten habe sich geän­dert. »Und ich ver­brin­ge mehr Zeit in der Küche, auch weil das Gemü­se nicht in dem Maße gerei­nigt und makel­los ist.« Der Geschmack mache die Mehr­ar­beit aber wie­der wett. Die Essens­pla­nung für die nächs­ten Tage beginnt bei Alexis in dem Moment, in dem er den Kel­ler verlässt.

 

Genau­so ergeht es Danie­la, 31, die ihre ers­te Sai­son dabei ist. »Aber ich fin­de das tat­säch­lich span­nend, auch dass man her­aus­ge­for­dert wird, etwas Neu­es zu machen.« Im Win­ter habe es Win­ter­por­tu­lak gege­ben, »das ist ein Win­ter­sa­lat, den ich aber noch nie im Laden gese­hen hat­te.« Er sei »super lecker« gewe­sen. Genau­so wie der fri­sche Spi­nat, der sogar ihren anfangs noch skep­ti­schen Mann über­zeugt habe. Woher die anfäng­li­che Skep­sis kam? Der Preis. »Es ist ja schon einen Ticken teu­rer. Aber ich mag es, zu wis­sen, wo mein Gemü­se her­kommt.« Zudem gebe es immer wie­der Mails, in denen auch die Pro­ble­me des Bau­ern­paa­res the­ma­ti­siert wer­den. »Im Super­markt sieht man nur das makel­lo­se Gemü­se, ohne zu wis­sen, was damit ver­bun­den ist.«

 

Vertrieb von solidarisch produziertem Bio-Olivenöl

 

Fair, nach­hal­tig, global

 

Und so stei­gen die Mit­glie­der­zah­len der Solawi42 ste­tig an. Momen­tan gebe es Bemü­hun­gen ein zwei­tes Depot in einem ande­ren Stadt­teil auf­zu­ma­chen, sagt Alexis. »Das wür­de unse­re Kapa­zi­tä­ten deut­lich erwei­tern.« Bei fast allen Sola­wis in Deutsch­land gebe es War­te­lis­ten, »auch wir haben eine Inter­es­sen­ten­lis­te für das nächs­te Ern­te­jahr.« Ob es dann neben dem Oli­ven­öl und dem indi­schen Tee noch wei­te­re aus­län­di­sche Pro­duk­te geben wird, bleibt abzu­war­ten. »Die Bau­ern und Bäue­rin­nen aus Grie­chen­land haben uns auch Ore­ga­no ange­bo­ten, aber da haben wir abge­lehnt.« Kräu­ter kön­ne man auch pro­blem­los in Deutsch­land anbauen.

 

Ande­re Ideen wur­den hin­ge­gen bereits dis­ku­tiert, wie den Ein­kauf vom fair und nach­hal­tig pro­du­zier­ten Teikei-Kaf­fee, der mit dem Segel­schiff aus Mexi­ko impor­tiert wird. »Aber bis­lang hat­te ein­fach noch nie­mand Zeit, sich dar­um zu küm­mern«, sagt Alexis. Auch Alter­na­ti­ven zum grie­chi­schen Oli­ven­öl wären denk­bar. »Viel­leicht ent­deckt jemand eine loka­le Bio-Son­nen­blu­men­öl­pro­duk­ti­on, dann könn­ten wir das ­Oli­ven­öl abschaf­fen.« Aber das sei noch Zukunfts­mu­sik. Es gebe nur sehr weni­ge Bio-Pro­duk­ti­ons­or­te in der Umge­bung. »Die Lage ist desas­trös«, sagt Alexis, »es gibt ein paar Leucht­turm­pro­jek­te, aber wir haben noch einen lan­gen Weg vor uns.« Und so wer­den sich schon bald die nächs­ten Palet­ten mit soli­da­ri­schem Oli­ven­öl auf ihren Weg von Grie­chen­land nach Frank­furt machen. © Fotos: Solawi42 und Kris­tin Kasten

 

solawi42.org

→ Kris­tin Kasten

 

Die­ser Bei­trag erschien in Aus­ga­be 89 — Win­ter 2020

 

Bioboom Magazin Cover Ausgabe 89

Weiterlesen

Das könnte dir auch gefallen
Bioboom 100 Jubiläumsausgabe Herbst 2023
Vor Ort

Zu Besuch bei der Schlag­müh­le Wal­lau
Alles auf einen Schlag: Hier wird umgestellt.

Im Rhein-Main Gebiet bewirt­schaf­ten Ann­kathrin Tem­pel und Boris Danie­low­ski den Hof der Schlag­müh­le Wal­lau in der 13. ­Genera­ti­on. Kurz nach der Über­nah­me und mit­ten in schwie­ri­gen Zei­ten stellt das Paar den Betrieb auf Bio um, baut einen Hof­laden, einen mobi­len Hüh­ner­stall und öff­net den Hof für klei­ne und gro­ße Gäs­te. Zahlt sich ihr Mut aus?

Bioboom Ausgabe 101 Vor Ort — Vegane Landwirschaft — Gülle war gestern
Vor Ort

Vega­ne Land­wirt­schaft
Gül­le war gestern

Der vega­ne Öko­land­bau arbei­tet ohne Nutz­tie­re und Dün­ge­mit­tel tie­ri­schen Ursprungs. Für den säch­si­schen Bio-Land­wirt Dani­el Haus­mann ist der bio­zy­klisch-vega­ne Anbau eine kli­ma- und umweltfreundliche
Alter­na­ti­ve mit Zukunfts­po­ten­zi­al. Sein Traum: Eine bio-vega­ne Hafer­milch aus eige­ner Ernte.

Essen besser machen
Hintergrund

Kein zurück zum »busi­ness as usu­al«
Essen bes­ser machen

Coro­na hat den Blick geschärft: Unse­re Kon­sum­welt ist insta­bil und unge­recht, Groß­struk­tu­ren und glo­ba­li­sier­ter Welt­han­del sind fra­gil. Vier Leh­ren aus einer schwie­ri­gen Zeit. Die meis­ten Geschäf­te und alle Restau­rants geschlos­sen, eben­so Kitas und Schulen.

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner