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Bio im Angebot vs. Bio im Herzen – Bioboom Magazin

Bio im Dis­coun­ter
Bio im Ange­bot vs. Bio im Herzen

Discounter und Lebensmittelketten wie Lidl, Aldi, Rewe und Edeka werben längst intensiv für Bio-Lebensmittel. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Unternehmen tatsächlich durch nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften auszeichnen. Anders sieht es in echten Bio-Märkten aus.
Warum es nicht egal ist, wo man einkauft
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Hier steht Bio nicht nur mit im Regal, son­dern auf dem Laden­schild: Und rund um die Uhr auf der Agen­da. Nein, iro­nisch sei das nicht gemeint gewe­sen, beteu­ert Eva Kie­ne von der Fir­ma Rapun­zel. Unter­neh­mens­grün­der Joseph Wil­helm habe eine posi­ti­ve Lebens­ein­stel­lung. Und »dan­ke« zu sagen, gehö­re nun mal zu sei­nen Prin­zi­pi­en. Gleich­wohl mute­te die Pla­kat­ak­ti­on von Rapun­zel im Früh­jahr auf den ers­ten Blick etwas selt­sam an: »Dan­ke, lie­be Rewe, Ede­ka, Lidl, Aldi, dm und Co., dass ihr so viel Wer­bung für Bio­pro­duk­te macht«, hieß es dort in fett gedruck­ten Buch­sta­ben. Nur wer wei­ter las, erkann­te, dass die Sache doch einen klei­nen Haken hat­te. »Wenn ihr eure Bio­pro­duk­te mit der glei­chen Begeis­te­rung ver­kauft wie die 95 Pro­zent eures kon­ven­tio­nel­len Sor­ti­ments, freut das unse­re Umwelt sehr.«

 

Ein grün getupf­tes Mäntelchen

 

Die Rapun­zel-Akti­on spricht einen Umstand an, über den sich der soge­nann­te Bio-Fach­han­del in den ver­gan­ge­nen Jah­ren sehr geär­gert hat: Der kon­ven­tio­nel­le Lebens­mit­tel-Ein­zel­han­del (LEH), sprich Rewe, Ede­ka, Aldi, Lidl und Co., ver­sucht, sich mit dem Ver­kauf von öko­lo­gisch her­ge­stell­ten Pro­duk­ten ein grü­nes Män­tel­chen umzu­hän­gen – das aber in Wirk­lich­keit allen­falls ein paar grü­ne Tup­fer hat, der Rest dage­gen ist von grün weit ent­fernt. Denn es gibt sie zwar, die Bio-Sor­ti­men­te in den Super­märk­ten und Dis­coun­tern. Doch das Gros der Regal­wa­re im LEH kommt noch immer von pes­ti­zid­ge­spritz­ten Fel­dern und aus der qual­vol­len Mas­sen­tier­hal­tung, wird ohne Rück­sicht auf fai­res Wirt­schaf­ten oder die end­li­chen Res­sour­cen unse­res Pla­ne­ten hergestellt.

 

Damit las­sen sich aber kei­ne Plus­punk­te beim Ver­brau­cher sam­meln, mit den Bio-Lebens­mit­teln dage­gen schon. Ent­spre­chend offen­siv wird dafür Wer­bung gemacht. Das ist nicht nur gut fürs Image, son­dern auch für die Bilanz. Das Geschäft brummt: Der LEH stei­ger­te sei­nen Umsatz mit Bio-Lebens­mit­teln und ‑Geträn­ken im Jahr 2019 um 11,4 Pro­zent. Mit ins­ge­samt 7,13 Mil­li­ar­den Euro erreich­ten Super­märk­te, Dis­coun­ter und Dro­ge­rie­märk­te fast 60 Pro­zent des gesam­ten Bio-Umsat­zes – so die Zah­len des aktu­el­len Bran­chen­re­ports vom Bun­des­ver­band Öko­lo­gi­sche Lebensmittelwirtschaft.

 

Bes­tes Bio beim Billigheimer

 

Zusätz­lich zu einem gro­ßen Stück vom Umsatz-Kuchen hat sich der LEH auch noch das Sah­ne­häub­chen geholt: Die soge­nann­te »Ver­bands­wa­re«. Lan­ge Zeit gab es Lebens­mit­tel mit den Sie­geln der öko­lo­gi­schen Anbau­ver­bän­de (Bio­land, Deme­ter, Natur­land) näm­lich aus­schließ­lich im Bio-Fach­han­del. Die Bio-Pro­duk­te in Super­märk­ten und Dis­coun­tern hat­ten in der Regel »nur« das EU-Bio­sie­gel. Das stellt zwar auch bestimm­te Anfor­de­run­gen an die Pro­du­zen­ten und Ver­ar­bei­ter. Die Anbau­ver­bän­de aber haben in etli­chen Punk­ten deut­lich stren­ge­re Vor­schrif­ten. So konn­te der Bio-Han­del sicher damit punk­ten, dass es das »Pre­mi­um-Bio« eben nur im ange­stamm­ten Kanal gab. Doch das ist Vergangenheit.

Seit Herbst 2018 gibt es bei Lidl auch Pro­duk­te des öko­lo­gi­schen Anbau­ver­ban­des Bio­land. Die eben­falls zur Schwarz-Grup­pe gehö­ren­de Ket­te Kauf­land zog Anfang 2019 mit Deme­ter-Arti­keln nach. Für die Bran­che ein Tabu­bruch: Bio­land und Deme­ter lie­fer­ten qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Bio-Lebens­mit­tel an Geschäfts­part­ner, deren Erfolgs­mo­dell auf Bil­lig-Ange­bo­ten und Preis­dum­ping beruht. Befürch­tet wur­de nicht nur, dass sich die Bil­lig­hei­mer nun mit dem Bio-Ange­bot brüs­ten und noch mehr Kun­den abwer­ben. Son­dern auch, dass die klas­si­schen Nur Bio-Händ­ler einem Preis­kampf aus­ge­setzt wer­den, den sie nicht gewin­nen können.

 

Mehr Bio-Absatz, öko­lo­gi­sche­re Zukunft

 

Auf der ande­ren Sei­te: Für die Anbau­ver­bän­de gab es gute Grün­de, sich für die Koope­ra­ti­on mit Lidl und Co. zu ent­schlie­ßen. Schließ­lich kau­fen vie­le Leu­te ein, die nicht in den Bio-Markt gehen, die Absatz­mög­lich­kei­ten sind groß. Und wenn mehr Bio ver­kauft wird, dann ist das ein gutes Argu­ment, wenn es dar­um geht, noch mehr Bau­ern zur Umstel­lung von kon­ven­tio­nell auf öko­lo­gisch zu bewe­gen. Denn der Flä­chen­an­teil des öko­lo­gi­schen Land­baus an der gesam­ten Land­wirt­schaft liegt in Deutsch­land erst bei 10,1 Pro­zent. Poli­tisch gewollt sind 20 Pro­zent bis zum Jahr 2030. Für den Kli­ma­schutz und die Arten­viel­falt wäre es gut, wenn der Öko­land­bau noch viel stär­ker wüchse.

 

Bio für alle – aber wo und wie?

 

Mehr Bio-Land­wirt­schaft wird es also nur geben, wenn auch mehr Men­schen Bio- Lebens­mit­tel kau­fen, so die ein­fa­che Rech­nung. »Wir als Bran­che haben es nicht geschafft, die brei­te Mas­se für Bio zu begeis­tern, das müs­sen wir uns ein­ge­ste­hen«, merkt Eva Kie­ne von Rapun­zel selbst­kri­tisch an. »Bio für alle – das ist eben allein mit dem Fach­han­del nicht zu schaf­fen, dafür braucht es auch die ande­ren Ver­triebs­ka­nä­le.« Dort wünscht sie sich aller­dings »ein ande­res Enga­ge­ment und eine ande­re Über­zeu­gung« mit Blick auf das Gesamt­sor­ti­ment: »Viel­leicht kön­nen wir die gro­ßen Play­er inspi­rie­ren, mehr auf ihre Lie­fer­ket­ten zu ach­ten.« Ins­ge­samt wün­sche sie sich »mehr Mit­ein­an­der als Gegeneinander«.

 

Klar ist aber auch, dass es die Mar­ke Rapun­zel wei­ter­hin nur im Natur­kost-Fach­han­del geben wird. So wie Rapun­zel machen es vie­le der Unter­neh­men, die mit den Bio-Pio­nie­ren gewach­sen und groß gewor­den sind: Sie lie­fern nicht in Super­märk­te und Dis­coun­ter. Die­se soge­nann­te »Fach­han­del­streue« wird vom Bio-Han­del häu­fig vehe­ment ein­ge­for­dert. Schließ­lich sol­len sei­ne Kun­den im Regal »ihres« Bio-Mark­tes mög­lichst Pro­duk­te und Mar­ken fin­den, die es anders­wo nicht gibt – »Allein­stel­lungs­merk­mal« heißt das im Händlerdeutsch.

 

Deut­lich zei­gen, dass man bes­ser ist

 

Nicht nur, dass Allein­stel­lungs­merk­ma­le in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ver­lo­ren gin­gen – oft wer­den sie auch ein­fach von den Wer­be­stra­te­gen des LEH geka­pert. Zum Bei­spiel das The­ma »Nähe zum Erzeu­ger« bezie­hungs­wei­se »Regio­na­li­tät«: Längst ste­hen im Dis­coun­ter kan­ti­ge Bau­ern­ty­pen mit erdi­gen Hän­den als lächeln­de Papp­fi­gur neben dem Gemü­se, sug­ge­rie­ren Regio­na­li­tät und direk­te Lie­fer­be­zie­hun­gen. Die Bios, die seit Ent­ste­hung in den 1970er Jah­ren tra­di­tio­nell auf enge und fai­re Bezie­hun­gen zu regio­na­len (und glo­ba­len) Erzeu­gern set­zen, hal­ten sich oft vor­nehm zurück. Nicht, weil sie nichts zu sagen hät­ten, son­dern oft schlicht, weil sie es für selbst­ver­ständ­lich halten.

 

Dabei wäre es höchs­te Zeit, sich deut­lich zu pro­fi­lie­ren, fin­det Prof. Ulrich Hamm von der Uni­ver­si­tät Kas­sel. Er lei­te­te bis März 2020 am Fach­be­reich Öko­lo­gi­sche Agrar­wis­sen­schaf­ten das Fach­ge­biet »Agrar- und Lebens­mit­tel­mar­ke­ting«, beob­ach­tet die Bio-Bran­che schon seit lan­gem und spart nicht mit Kri­tik. So hät­ten es die Bio-Händ­ler ver­passt, sich früh­zei­tig als Ein­kaufs­ge­mein­schaft zusam­men­zu­schlie­ßen, von einer gemein­sa­men Logis­tik zu pro­fi­tie­ren und damit im Preis­wett­be­werb mit den Super­märk­ten bestehen zu kön­nen. »Die Tan­te-Emma-Läden auf dem Dorf frü­her, das waren auch Indi­vi­dua­lis­ten. Aber die haben es trotz­dem geschafft, sich zu Ede­ka- oder Rewe-Ein­kaufs­ge­mein­schaf­ten zusammenzutun.«

 

 

Mit gemein­sa­men Han­deln hät­ten sich die Bio-Han­dels­ak­teu­re zu lan­ge schwer getan. Jetzt müs­se jeder eben sei­ne Nische fin­den – und ein Sor­ti­ment, das den jewei­li­gen Kun­den gefällt und sie anspricht. »Das kann neben regio­na­len Spe­zia­li­tä­ten auch eine gut sor­tier­te Fleisch­the­ke sein«, fin­det Hamm, »Hof­lä­den machen damit teil­wei­se rich­tig gute Umsät­ze«. Allein mit dem Ver­weis dar­auf, sich immer schon für Kli­ma­schutz, fai­ren Han­del, Tier­wohl und Arten­viel­falt ein­ge­setzt zu haben, sei­en auf Dau­er kei­ne neu­en Kun­den zu gewin­nen: »Das ist ein Stroh­feu­er, das ist nach ein bis zwei Jah­ren erlo­schen und inter­es­siert nie­man­den mehr.« Viel wich­ti­ger sei es, auf gesell­schaft­li­che Strö­mun­gen zu reagie­ren und The­men wie die Kreis­lauf­wirt­schaft im Öko­land­bau oder die Bedeu­tung von Bio-Pro­jek­ten in ent­fernt gele­ge­nen Anbau­ge­bie­ten breit und offen zu diskutieren.

 

Mit Glaub­wür­dig­keit punkten

 

Das sieht Klaus Braun, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­ra­ter für den Bio-Fach­han­del, ein wenig anders: Er hält die hohe Glaub­wür­dig­keit der Bio-Läden, allen vor­an der inha­ber­ge­führ­ten Geschäf­te, für ein wich­ti­ges Pfund, mit dem es zu wuchern gel­te. »Die­ser Ver­trau­ens­vor­schuss soll­te genutzt und gegen den Preis­druck gestellt wer­den.« Mit gro­ßem Selbst­be­wusst­sein müs­se ver­mit­telt wer­den, dass die Bios eben nicht nur Lebens­mit­tel­händ­ler sind, son­dern auch gesell­schafts­po­li­ti­sche Akteu­re, denen öko­lo­gi­sche und sozia­le Wer­te am Her­zen lie­gen – und immer schon lagen.

 

»Lan­ge hat man ver­ges­sen, die­se Grund­hal­tung erkenn­bar her­aus­zu­stel­len, Pro­fes­sio­na­li­sie­rung ging über alles.« Jetzt sei es an der Zeit, wie­der mit brei­ter Brust dar­auf hin­zu­wei­sen – und dar­auf zu ver­trau­en, dass das auch neue Kun­den inter­es­siert. Braun ist zuver­sicht­lich: »Vom Vegan-Hype vor zwei bis drei Jah­ren hat der Bio­han­del auch pro­fi­tiert, obwohl das eine jun­ge Kli­en­tel ist, die sich nicht pri­mär für Bio inter­es­siert. Aber die Leu­te wuss­ten, dass es der Fach­han­del ernst meint und qua­li­ta­tiv gute Pro­duk­te ohne Pes­ti­zi­de und Gen­tech­nik anbietet.«

 

»Die Hal­tung macht den Unterschied«

 

2019 konn­te der Bio-Fach­han­del ein deut­li­ches Umsatz­plus von 8,6 Pro­zent ver­bu­chen – eini­ge spra­chen dar­auf­hin schon vom »Gre­ta-Effekt«: Die jun­ge Schwe­din und die Fri­days-for-Future-Bewe­gung hät­ten das Inter­es­se für nach­hal­tig erzeug­te Pro­duk­te deut­lich wach­sen las­sen. Die vom Bun­des­ver­band Natur­kost und Natur­wa­ren initi­ier­te Kam­pa­gne »Öko statt Ego«, die im Herbst ver­gan­ge­nen Jah­res gestar­tet ist, kam da gera­de zur rech­ten Zeit. Sie will eine star­ke Stim­me für die sein, die Bio nicht nur im Akti­ons­re­gal, son­dern auf dem Laden­schild haben – und die mit ihrem Enga­ge­ment unter­strei­chen will, dass es nicht nur dar­auf ankommt, was gekauft wird, son­dern auch wo es gekauft wird. Manu­el Pick vom Kam­pa­gnen­bei­rat drückt das tref­fend so aus: »Die Hal­tung macht den Unter­schied. Ohne Hal­tung ist ein Bio­müs­li bei Rewe auch nur irgend­ein Müs­li.« Anders for­mu­liert: Wer dort ein­kauft, wo das gesam­te Sor­ti­ment aus öko­lo­gi­schen Pro­duk­ten besteht – egal, ob im Hof­la­den, im tra­di­tio­nel­len Bio­la­den oder im Bio­su­per­markt – tritt eben kon­se­quent für eine ande­re Land­wirt­schaft und einen sorg­sa­men Umgang mit der Natur ein.

 

→ Bir­git Schumacher

 

Die­ser Bei­trag erschien in Aus­ga­be 87 — Som­mer 2020

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